Verzeihen ist gut, Aufarbeiten ist besser?

EDITORIAL: Verzeihen ist gut, Aufarbeiten ist besser?

MELDUNGEN: Kritik an Social Media-Auftritten der Fraktionen | Nominierungen für Roman Brodwell Preis | Atlas der Zivilgesellschaft 2024 | Umfrage unter EU-Erstwähler:innen | Langzeitstudie zum Rechtsaußen-Milieu u.v.m.

WAHLTREND: Österlicher Stillstand

BUCH: Ein deutscher Kanzler. Olaf Scholz, der Krieg und die Angst

FUNDSTÜCK: Snoop Dogg im Landtag

STAKEHOLDER: Robert Koch-Institut

Liebe Leserin, lieber Leser,

“wir werden uns viel zu verzeihen haben.” Dieser Satz von Jens Spahn steht wie kaum ein zweiter für die politische Unsicherheit der Corona-Pandemie. Und mittlerweile geht es auch darum, was denn genau und vor allem wem verziehen werden soll: Die Debatte um eine gesellschaftliche und politische Aufarbeitung der Corona-Zeit hat neu an Fahrt gewonnen. Zumal nun in Folge einer Klage Protokolle des Robert Koch-Instituts veröffentlicht worden sind, die insbesondere die Anfangszeit der Pandemie dokumentieren und in verschwörungsideologischen Kreisen sowie auf Social Media hohe Wellen schlagen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun für die kommenden Wochen die Veröffentlichung einer “entschwärzten” Version angekündigt und auch das RKI hat Stellung genommen. Weitere Hintergründe gibt es hier: 

  • Die Debatte um die Aufarbeitung fasst der Deutschlandfunk zusammen.
  • Die Unterschiede zwischen Enquete-Kommission und Untersuchungsausschuss als Instrumente der Aufarbeitung werden im Online-Lexikon der BPB ersichtlich.
  • Warum die Erkenntnisse aus den “RKI-Files” weniger skandalös sind, als oft behauptet wird, analysiert Pascal Siggelkow beim ARD-faktenfinder.
  • Weshalb der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg als einer der wenigen aus seiner Partei die Aufarbeitung der Corona-Zeit fordert, erklärt er im Interview mit der taz.
  • Bereits aufgearbeitet wurde Lauterbachs Werbekampagne fürs Impfen vom Oktober 2022: Der Bundesrechnungshof hat deren Vergabe an die Agentur brinkertlück nun als unrechtmäßig eingestuft.
  • Bei der Maskenbeschaffung von Ex-Gesundheitsminister Spahn sehen die Rechnungsprüfer dagegen eine Überbeschaffung “ohne gesundheitspolitischen Wert”, schreibt der Spiegel.

Zwar nicht gegen eine Pandemie, aber gegen einen Rechtsruck soll das Bundesverfassungsgericht abgesichert werden. Dafür soll eine Grundgesetzänderung her, über die Ampel und Union aktuell noch beraten. Wie das genau funktionieren soll, hat die Tagesschau aufgeschrieben. Einen Überblick über Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht, die insbesondere von der AfD ausgehen, hat Felix Huesmann für das RND zusammengestellt.

Auf internationaler Ebene ließen in den vergangenen Tagen unter anderem diese Meldungen aufhorchen:

  • Bei der Kommunalwahl in der Türkei musste Erdogan eine Schlappe einstecken. Seine AKP kam mit 35,5 % der Stimmen landesweit nur auf den zweiten Platz – erstmals seit ihrer Gründung 2002. Die mit 37,7 % erstplatzierte CHP gewann 35 der 81 Bürgermeisterposten inklusive der großen Städte. Die Tagesschau mit einer Analyse und warum aus der Wahl ein neuer Herausforderer für den Präsidenten erwachsen könnte.
  • Den hat US-Präsident Biden schon lange. Gegen Trump konnte der Demokrat in den letzten Umfragen nun endlich etwas Boden gut machen. Der erste gemeinsame Auftritt mit seinen beiden demokratischen Vorgängern Obama und Clinton bei einer Spendengala sorgte vor allem für einen Höchststand an Einnahmen für den Wahlkampf.
  • In Tschechien haben Sicherheitsbehörden ein europaweites russisches Propagandanetzwerk ausgehend von der Internetseite “The Voice of Europe” enttarnt, dessen Betreiber auch Verbindungen zu AfD-Politiker:innen besitzen.
  • Ein Ziel pro-russischer Desinformation ist die baldige Europawahl. Eine Übersicht aller Parteien, die in Deutschland zur Wahl zugelassen sind, bietet die Tagesschau. Definitiv nicht mehr zur Wahl stehen wird dagegen Fernsehköchin Sarah Wiener, die sich von ihrer Zeit als EU-Abgeordnete “enttäuscht” zeigt.
  • Enttäuscht sind auch viele Bürger:innen von ihren gewählten Regierungschefs. Die New York Times hat daraus ein – besonders für Olaf Scholz bitteres – Ranking gemacht und die politischen Gründe zusammengestellt.
  • Wie Scholz versucht, mit der Kriegsangst in Deutschland umzugehen, zeigt unser Buch der Woche.

Beliebter war Angela Merkel. Die ehemalige Bundeskanzlerin hat laut Informationen von Table.Media nun den Großteil ihrer Memoiren fertiggestellt, an denen sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Vertrauten Beate Baumann arbeitet. Die geplanten Übersetzungen in mehr als 30 Sprachen können also demnächst beginnen, damit das Buch in einem halben Jahr nicht nur in Deutschland, sondern u. a. auch in Kanada, England und den USA erscheinen kann.

Die Teillegalisierung von Cannabis (siehe auch Fundstück der Woche) musste aber auf die Post-Merkel-Ära warten. Doch zum gestrigen Quartalsbeginn wurden auch weitere Gesetzesänderungen wirksam, über die die Bundesregierung einen Überblick bietet.

Gestern war auch der Tag des Aprilscherzes, an dem z.B. Unbekannte spaßeshalber Einträge zur CDU auf Google Maps gegendert haben. Allerdings leidet die Tradition lustiger Falschmeldungen mittlerweile sehr unter der Verbreitung von Desinformation an allen anderen Tagen des Jahres. Das RND fragt sich deshalb, ob der Aprilscherz überhaupt noch zeitgemäß ist. Den eigenen, sofortigen Rückzug aus dem Bundestag am 1. April zu verkünden, ist trotzdem gewagt. Doch Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer meint es ernst, wie der Spiegel weiß. 

Zum Ende der Legislatur wird sich zudem Michael Roth aus dem Politikbetrieb verabschieden, u.a. wegen schleichender Entfremdung von der Partei. Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses gehört er zu den aktivsten Unterstützern der Ukraine – was in der SPD-Fraktion offenbar nicht gut ankam.

Ob er sich bei den Chauffeuren des Bundestagsfahrdienstes über seine Parteikolleg:innen ausgelassen hat, ist zwar nicht bekannt. Was die Fahrbereitschaft der Spitzenpolitik aber sonst so erlebt, hat die Augsburger Allgemeine aufgeschrieben.

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

 

Aktuelle politjobs
Politticker
Langzeitstudie zum Rechtsaußen-Milieu

Wie konnte das deutsche Rechtsaußen-Spektrum von den Krisen der vergangenen Jahre profitieren, welche Kommunikationsstrategien werden genutzt und welche Inhalte sind zentral? Dies hat das Institute for Strategic Dialogue über zwei Jahre lang online beobachtet und nun eine daraus resultierende Langzeitstudie veröffentlicht. Untersucht wurden dabei die Plattformen Twitter/X, Facebook und Telegram, wobei sowohl Inhalte als auch Accounts Gegenstand der Analyse waren. Dadurch lassen sich zentrale Narrative und Dynamiken identifizieren und das Online-Verhalten…

Umfrage unter deutschen EU-Erstwähler:innen

Sieben Jahrgänge werden bei der diesjährigen Europawahl erstmals ihre Stimme abgeben können. Aus diesem Anlass hat die Konrad-Adenauer-Stiftung Erstwähler:innen zu ihren europapolitischen Einstellungen befragt. Dabei zeigte sich unter den Befragten zunächst durchweg hohe Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft Deutschlands (81 %) und 75 % sahen darin Vorteile für Deutschland. Hinsichtlich der politischen Aktivitäten der EU erwarten die Erstwähler:innen überdurchschnittlich oft Engagement für den Klimaschutz, fordern in anderen politischen Bereichen wie Wirtschaft, Verteidigung und…

Atlas der Zivilgesellschaft 2024

Nur 2 % der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen ihre zivilgesellschaftlichen Grundfreiheiten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert sind. Dabei konnten sich im vergangenen Jahr lediglich fünf Staaten verbessern, sieben verschlechterten sich – darunter auch Deutschland, dessen gesellschaftlicher Status sich von “offen” auf “beeinträchtigt” änderte. Dies bildet der CIVICUS-Monitor ab, der von Brot für die Welt jährlich erstellt wird und nun als Teil des Atlas der Zivilgesellschaft für 2024 veröffentlicht wurde….

Nominierungen für den Roman Brodmann Preis

“Politische Dokumentarfilme mit besonderer Autorenhandschrift” möchte der Roman Brodmann Preis würdigen. Die zehn Nominierten für die diesjährige Ausgabe wurden nun vorgestellt: Dazu gehören neben sieben Einzelfilmen auch die fünfteilige Dokuserie “Capital B – Wem gehört Berlin?”, die Kurz-Doku “Supernova: The Music Festival Massacre” sowie die Trilogie “Einzeltäter”. Über den Preisträger entscheidet eine 14-köpfige Jury, die Preisverleihung wird am 19. April in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin stattfinden. Ins Leben gerufen wurde der Preis…

Unzulässige Social Media-Auftritte der Fraktionen

Eine “Gefährdung für die Legitimation der Parteienfinanzierung”: So bewertet der Bundesrechnungshof die Social Media-Auftritte der Bundestagsfraktionen. Er hatte die Social Media-Posts der Parteien in den sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2021 geprüft und den überwiegenden Teil davon als unzulässig eingestuft. Besonders in der Woche vor der Wahl seien 70 bis 100 Prozent der Beiträge durch entsprechende Inhalte aufgefallen. Unzulässige Postings zeichnen sich demnach dadurch aus, dass nicht primär über die Fraktionstätigkeiten…

Wahltrend
Wahltrend politnews 02.04

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Daniel Brössler

Ein deutscher Kanzler. Olaf Scholz, der Krieg und die Angst

Als Bundeskanzler steht Olaf Scholz oft im Mittelpunkt politischer Entscheidungen und Debatten, besonders angesichts der vielen Krisen in der Ampel und außenpolitischen Konflikte. Speziell bei der Unterstützung der Ukraine gilt er den einen als Zauderer, den anderen als besonnener „Friedenskanzler“, obwohl er eine Zeitlang auch schon als Kriegstreiber beschimpft wurde. Wie und warum Scholz in der aktuellen Lage seine Entscheidungen trifft, versucht Daniel Brössler in seinem Buch zu ergründen.

Der Journalist hat den Kanzler dafür seit Amtsantritt regelmäßig begleitet und Gespräche mit ihm und seinen Weggefährten geführt. Brössler porträtiert Scholz’ Werdegang vom Schülersprecher und friedensbewegten Hamburger Juso zum Regierungschef, der über Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet entscheiden muss, streift die Rolle der SPD-Ostpolitik und beleuchtet vor allem die Monate vor dem Großangriff Russlands gegen die Ukraine. Auch der aktuelle Versuch, sich als „Friedenskanzler“ bei verängstigten Wählern zu profilieren, spielt eine Rolle. Dabei wird zudem das öffentliche Auftreten des Kanzlers betrachtet, der nach allgemeiner Wahrnehmung seine Politik oft nicht erklärt: Scholz sei eigentlich durchaus emotional, versuche aber die Kontrolle durch seine distanzierte Art und wenig prägnante Kommunikation zu behalten, so der Autor.

Alle Buchempfehlungen finden Sie auch unter www.politbooks.de.

Social-Media-Fundstück der Woche

@die.da.oben

Snoop Dogg im Landtag

Dass ein Songtext von US-Rapper Snoop Dogg einmal im Landtag von Sachsen-Anhalt zitiert werden würde, hatten wohl die wenigsten auf dem Zettel. Dieses vom FDP-Abgeordneten Guido Kosmehl gewählte Zeichen der Unterstützung für die Teillegalisierung von Cannabis hat der Instagram-Kanal von DIE DA OBEN! hier mit dem passenden Sound unterlegt.

Stakeholder der Woche

Robert Koch-Institut

Das Robert Koch-Institut (RKI) ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung für die Krankheitsüberwachung und -prävention. Dementsprechend liegen seine zentralen Tätigkeiten auf dem Feld der Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von (Infektions-)Krankheiten, zudem soll das RKI wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen erarbeiten. Das bereits 1891 gegründete Institut mit Hauptsitz in Berlin wird seit Oktober 2023 von Präsident Lars Schaade geleitet.

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2. April 2024