Mehr als ein Sommerloch in der Brandmauer

EDITORIAL: Mehr als ein Sommerloch in der Brandmauer

MELDUNGEN: Kündigungen bei Open Society Foundations | LovePolitics-Jahrgang 2023/24 | Potential von Gelegenheitswähler:innen | Diskursanalyse der “Cancel Culture” | Deutscher PR-Preis u.v.m.

WAHLTREND: AfD weiterhin klar zweitstärkste Kraft

TWEET: Barbie vs. Oppenheimer: Too close to call

STAKEHOLDER: Es geht LOS

Liebe Leserin, lieber Leser,

während der politische Betrieb weitestgehend ruht, ist die Aufmerksamkeitsschwelle in der medialen Berichterstattung recht niedrig. Mit anderen Worten: Es braucht nicht viel, um in die Schlagzeilen zu kommen. Diese “Saure-Gurken-Zeit” bringt dann Themen hervor, die mal aus taktischem Kalkül, mal aus Versehen oder Verlegenheit angestoßen werden und bei denen alle Beteiligten eigentlich wissen, dass sie in “normalen” Zeiten kein Wildschwein vor den Scheinwerfer locken würden.

Doch nach dem ersten Kriegssommer 2022, dem Bundestagswahlkampf 2021 und der Corona-Pandemie 2020 ist die Sehnsucht nach einem Sommerloch, wie es früher einmal war, besonders groß. Und blendet man die allgegenwärtige Klimakatastrophe, den festgefahrenen Krieg in der Ukraine und eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei bei 20 % mit viel Willenskraft aus, lässt es sich diesem Jahr zumindest gut an: Mit der “Löwin von Kleinmachnow” hat es ein verwackeltes Handyvideo bis in die internationale Live-Berichterstattung geschafft.

  • Die besten Tweets dazu haben Business Punk und RTL gesammelt.
  • Was die Faszination an so einer “einfachen Geschichte” ausmacht, hat Matthias Koch vom RND aufgeschrieben.
  • Warum Tiere die verlässlichsten Lieferanten von Sommerloch-Geschichtensind, hat der stellvertretende JuLi-Vorsitzende Tobias Weiskopf in einem Twitter-Thread mit Beispielen der letzten Jahre – vom Känguru Skippy bis hin zu Problembär Bruno – zusammengefasst.

Wenn man es gut meint mit Friedrich Merz, könnte man sagen, dass er kein Freund des Sommerlochs ist. Denn was der CDU-Chef in den letzten Tagen vom Stapel ließ, hatte es in sich. Seine Aussage, dass die CDU eine “Alternative für Deutschland – aber mit Substanz” sei, irritierte schon mal gehörig. Nur ein paar Tage machte Merz durch einen neuen Personalwechsel von sich reden: Der bisherige und eher unauffällige CDU-Generalsekretärs Mario Czaja wurde vom meinungsstarken und offensiven Carsten Linnemann abgelöst. Das Konrad-Adenauer-Haus kommt unter Merz personell also nach wie vor nicht zur Ruhe.

Gestern schoss Merz jedoch den Vogel ab: Auf kommunaler Ebene schließe er eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr aus, sagte er im ZDF-Sommerinterview (der entscheidende Ausschnitt). Eine Aussage von enormer politischer Sprengkraft, die in direktem Widerspruch zur Beschlusslage der CDU und auch seinen eigenen Erklärungen steht. Nachdem er damit gestern Abend nicht nur die politische Konkurrenz, sondern vor allem die eigene Partei aufgebracht hat und seinen neuen Generalsekretär zu einer mäßig erfolgreichen Klarstellung um Mitternacht – an einem Sonntag, in der Sommerpause – zwang, ruderte er heute heftig zurück.

Natürlich hat er es – bewusst oder nicht – anders gesagt, doch so oder so: Die Risse in der Brandmauer werden größer, die AfD hat das Interview bereits instrumentalisiert und mag anscheinend auch die Metapher. Weitere Hintergründe zur Debatte um Merz und die AfD, die einen Umfragerekord nach dem anderen einfährt:

  • Reaktionen von CDU-Politiker:innen auf Merz’ Aussage  hat Spiegel-Journalist Jonas Schaible in einem Twitter-Thread gesammelt.
  • Was trieb den CDU-Chef um? Eine interessante These hat Journalist Jan Schippmann.
  • Warum die AfD sich aktuell in einem solchen Umfragehoch befindet, hat Belltower News anhand diverser Studien, Umfragen und Interviews analysiert und als zweiteiligen Artikel veröffentlicht.
  • Eine weitere Erklärung für den Erfolg der AfD, insbesondere in den ostdeutschenBundesländern, liefert der Politologe Benjamin Höhne im Gespräch mit ntv.
  • Vergangene Woche fiel Armin Laschet im Bundestag durch eine spontaneBrandrede gegen die AfD auf. Was er im Nachhinein darüber denkt, erklärt er beim RND.
  • Unterdessen stört sich die AfD weniger daran, im Parlament widerlegt zu werden – wichtig sind vielmehr ihre Debattenbeiträge im Netz, die nicht auf Widerrede stoßen. Wie die AfD auf diesem Wege manipuliert, weiß die FAZ (€).
  • Thüringen ist eine der Hochburgen der AfD – wird aber gleichzeitig von einem linken Ministerpräsident regiert. Über Bodo Ramelows Kampf gegen die AfD berichtet die SZ (€).

Einen Höhenflug der Populisten erwarteten viele auch bei der gestrigen Wahl in Spanien. Dieser blieb jedoch aus und die regierenden Sozialisten konnten hinter den Konservativen überraschend gut abschneiden. Jetzt droht aber ein politisches Patt, so die Tagesschau. Dennoch bleibt die gesellschaftliche Polarisierung in europaweites Phänomen. Diesem hat sich nun die Midem-Studie gewidmet. Autor Hans Vorländer stellt im Gespräch mit dem Spiegel seine wichtigsten Erkenntnisse vor und erklärt, warum Klima und Migration die brisantesten Themen auf dem Kontinent sind.

Spanien ist eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen. Ob hier auch deutsche Spitzenpolitiker:innen ihren Urlaub verbringen, hat Neele Schomburg für NW recherchiert. Das beliebteste inländische Urlaubsziel bleibt hingegen Mecklenburg-Vorpommern. Und nicht nur zum Tourismus möchte die regierende SPD mit den Bürger:innen im Nordosten “im Gespräch bleiben”. Das war besonders dem SPD-Abgeordneten Philipp da Cunha wichtig zu betonen, was zu einem viralen Interviewauftritt zwischen Groteske und Performance Art führte. Was man daraus für diepolitische Kommunikation lernen kann, hat Markus Reuter bei netzpolitik.orgkommentiert.

Mit den Bürger:innen ins Gespräch kommen will auch der Bundestag. Daher gibt es nun einen Bürgerrat, der sich insbesondere mit dem Bereich Ernährung befassen wird und abschließend Handlungsempfehlungen für die Politik formulieren soll. Die wichtigsten Infos über die “Bürgerlotterie im Bundestag” hat die Tagesschau zusammengefasst.

Ein Ziel der Bürgerräte ist dabei auch eine diversere Debatte über Politik. Diese ist auch im Hinblick auf den Bildungshintergrund bitter nötig, denn niedrige Bildungsabschlüsse sind im Politikbetrieb chronisch unterrepräsentiert. So kommen etwa auf 20 Millionen Deutsche nur 20 Bundestagsabgeordnete mit Hauptschulabschluss. Clemens Dörrenberg ist für die taz auf Spurensuche im Parlament der Abiturient:innen gegangen. Für CDU Sozialpolitiker Laumann sind zu viele Jurist:innen in Politik übrigens auch ein Mitgrund für den Erfolg der AfD.

Mit Jurist:innen kennt sich Elon Musk aus. Seit seiner Übernahme hat der Tesla-Chef Twitter so multidimensional runtergerockt, dass ihm das auch einige Rechtsstreitigkeiten einbrachte. Nun kommt der nächste Akt: Heute hat Musk Twitter in “X” umbenannt. Auch das neue Logo lassen wir mal so stehen:

  • Was die neue “App für alles” können soll, hat die dpa aufgeschrieben.
  • Eine erste Analyse für die politische Kommunikation hat Marian Bracht.
  • Warum künftig die Zahl der Direktnachrichten für unverifizierte Accounts begrenzt wird, weiß heise.de
  • Der Tagesspiegel hingegen, wie Steffen Hebestreit und Olaf Scholz die Twitter-Regeln per Screenshot umgehen.

Wenn Sie von Twitter oder X genug haben und die Sommerpause eher fürlanganhaltende Lektüre nutzen wollen, hat das polisphere-Team elf Buchempfehlungenfür Sie gesammelt. Auch sonst gibt Lesetipps für den Urlaub in Spanien, Mecklenburg-Vorpommern oder Kleinmachnow gibt es auf www.politbooks.de – und ab September auch wieder im “Buch der Woche” hier im Newsletter.

Mit den besten Grüßen zum Wochenanfang

 

 

Aktuelle politjobs
Politticker
Ausschreibung des Deutschen PR-Preises

“Kampagnen, die bewegen”: Unter diesem Slogan läuft die Ausschreibung des diesjährigen Deutschen PR-Preises der Deutschen Public Relations Gesellschaft, bei der noch bis zum 12. Oktober international Kommunikationskampagnen eingereicht werden können. Dabei wird dieses Jahr eine Sonderkategorie “Gesellschaftlicher Zusammenhalt” ausgeschrieben, die insbesondere Kampagnen zentrieren soll, die gegen gesellschaftliche Polarisierung und für eine Stärkung des Zusammenhalts werben. Die Fachjury des Preises wird geleitet von Olaf Hoffjann, Professor an der Universität Bamberg….

Diskursanalyse der “Cancel Culture”

Insbesondere in konservativen Kreisen wird die Gefahr der “Cancel Culture” zunehmend als politischer Kampfbegriff genutzt. Joschua Helmer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Instituts für Demokratieforschung der Universität Göttingen, hat sich nun mit der Verwendung dieses Begriffes im Krisendiskurs beschäftigt. Im Ergebnis kommt er zu dem Schluss, dass der aktuelle Diskurs zur “Cancel Culture” keine Kritik dieser Praxis an sich sei, sondern primär als Abwehrreaktion auf Forderungen marginalisierter Gruppen fungiere.

Potential von Gelegenheitswähler:innen

Wie lassen sich Gelegenheitswähler:innen wieder zur Wahl motivieren – und was führt dazu, dass sie ihr Wahlrecht nicht nutzen? Diesen Fragen sind die Friedrich-Ebert-Stiftung und pollytix in einer Studie nachgegangen: Anhand qualitativer Forschung in sechs Wahlkreisen wurden die Nichtwahlgründe und dahinterstehende politische Überzeugungen systematisch gruppiert und in sechs “Personas” unterteilt. Dazu gehören etwa die “Zurückgekehrten”, die “Vergesslichen” oder die “Wütenden”. Während bei ersteren Gruppen noch hohes Mobilisierungspotential und Vertrauen…

Förderkürzungen und Kündigungen bei den Open Society Foundations

“Limitierungen der Förderungen” bis Februar 2024, Kündigungen für mindestens 40 % der weltweiten Belegschaft und ein stärkerer US-Fokus: Das sind zentrale Punkte für die Neuaufstellung der Open Society Foundations. Die von Multimilliardär George Soros gegründete Stiftung steht nun unter Leitung seines Sohnes Alexander, der “signifikante Veränderungen” angekündigt hat. Durch ein neues Betriebsmodell soll die Stiftung besser global agieren können.

Vorstellung des LovePolitics-Jahrgangs 2023/24

Der erste LovePolitics-Jahrgang 2023/24 wurde vorgestellt: 35 Teilnehmer:innen aus der DACH-Region wurden ausgewählt, um am Ausbildungsprogramm der LovePolitics-Initiative teilzunehmen. Dabei sind u. a. die Geschäftsführerin des betterplace lab, Katja Jäger, und SINGA-Gründerin Luisa Weiler. Das Programm umfasst neun Module und hat das Ziel, politische Talente zu fördern. Gesucht wurden Menschen mit möglichst diversen Erfahrungen und Hintergründen. Im September beginnt das erste Modul, das sich mit Gruppendynamik und Teamarbeit befasst.

Wahltrend
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Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Tweet der Woche

@OAlexanderDK

Barbie vs. Oppenheimer: Too close to call

Zwei Filme, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, beschäftigen gerade die Newsfeeds: Barbie und Oppenheimer. Wie sich der Diskurs in den einzelnen US-Staaten verschiebt, hat OSINT-Experte Oliver Alexander analysiert.

Stakeholder der Woche

Es geht LOS

Die Initiative “Es geht LOS” agiert überparteilich und zivilgesellschaftlich für mehr zufallsbasierte Bürgerbeteiligung und deren Verankerung in der Politik. Aktuell läuft hierzu das Projekt “Hallo Bundestag”, das durch die Etablierung von Wahlkreisräten Vorschläge zur Institutionalisierung bürgerlicher Partizipation erarbeiten soll. Der Verein wird von Katharina Liesenberg, Dr. Joachim Haas und Jonas Beuchert geleitet und wurde von Ilan Siebert mitgegründet.

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24. Juli 2023