Abhören unter Feinden

EDITORIAL: Abhören unter Feinden

MELDUNGEN: Reform des Lobbyregisters | SPD und FDP auf Instagram | Studie zur “verunsicherten Öffentlichkeit” | Neue Brand New Bundestag-Kandidat:innen | Policy Lab von Hertie School und PD u.v.m.

WAHLTREND: BSW über der Fünf-Prozent-Hürde

BUCH: Spielball der Politik. Eine kurze Geschichte der Bundeswehr

FUNDSTÜCK: Lawrows Lachen

STAKEHOLDER: Militärischer Abschirmdienst

Liebe Leserin, lieber Leser,

wer unter Ihnen ohne Videokonferenz-Fail ist, der werfe den ersten Screenshare. Doch was vier Bundeswehroffizieren passiert ist, ist etwas brisanter als ein versehentlich aktivierter Mute-Button: Russische Geheimdienste konnten vor zwei Wochen ein fast 40-minütiges Gespräch, u. a. mit dem Chef der Luftwaffe, abhören und mitschneiden. Am Freitag wurde es von der RT-Chefredakteurin Simonjan veröffentlicht.

Das Gespräch drehte sich um Einsatzszenarien für Taurus-Raketen, Pro- und Contra-Argumente der Lieferung, auch sensible technische Details, aber keine Militärgeheimnisse. Die Aussage, dass die Briten im Rahmen der Storm-Shadow-Lieferungen “ein paar Leute vor Ort hätten”, dürfte aber insbesondere London verärgern. Gerade, nachdem Olaf Scholz sich selbst schon vor kurzem zu diesem Thema aus Sicht der Verbündeten “verplappert” hat.

Der Call lief auf dem berühmt-berüchtigten WebEx-Tool, das jedoch durch die Teilnehmer nicht sicher genutzt worden und auch selbst dann kein geeigneter Kommunikationsraum für solche Themen ist. Zudem war ein Teilnehmer aus einem Hotel in Singapur, also über eine relativ unsichere Leitung, zugeschaltet. Damage done, das Gespräch ist nun ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda, denn es wird als Beleg präsentiert, dass Deutschland bereits Kriegspartei ist. Der “Informationskrieg” des Kreml “ist ein hybrider Angriff zur Desinformation, um zu spalten”, stellte Verteidigungsminister Pistorius gestern fest. Und in diesem Krieg gibt es willige Helfer:innen: Die ersten AfD-Politiker stellten bereits Strafanzeige „wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs“, auch Linke haben das angekündigt. Längst sollte klar sein: Deutschlands Sicherheit wird auch im VPN-Tunnel und im Newsroom verteidigt. Weitere Hintergründe zur Abhöraffäre:

  • Die ersten politischen Reaktionen auf den Leak, etwa die mögliche Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, hat der Tagesspiegel dokumentiert.
  • Bundeswehrintern gibt es erste Konsequenzen: Der Militärgeheimdienst MAD habe Ermittlungen eingeleitet, um die interne Kommunikation auf Abhörsicherheit zu überprüfen, berichtet der Spiegel (€).
  • Über die Nutzung des Videokonferenz-Tools WebEx bei der Bundeswehr macht sich Helmut Martin-Jung bei der SZ Gedanken.
  • Verantwortlich für die Veröffentlichung ist Margarita Simonjan, eine Putin-Vertraute und Chefredakteurin von RT (ehemals Russia Today). t-online mit einem Porträt.
  • Wie russische Reporter:innen den deutschen Botschafter in Russland bei einem Termin im dortigen Außenministerium bedrängten, weiß die Bild.
  • Angesichts dieser Nachrichten ging eine andere Meldung beinahe unter: Der Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek soll bereits seit Jahren Teil russischer Spionagenetzwerke sein, zeigen gemeinsame Recherchen mehrerer Medien. Nicht wenige sehen im Zeitpunkt der Veröffentlichung ein Ablenkungsmanöver.
  • Vergangenen Mittwoch hielt Putin zudem seine Rede zur Lage der Nation, deren zentrale Aussagen der Deutschlandfunk zusammengefasst hat.

Der Leak kam für Scholz am Ende einer Woche, in der die Militärhilfe für die Ukraine eh schon für viel Zwist gesorgt hat. Die Briten sind sauer, weil Scholz zu viel erzählt hat (siehe oben). Macron ist sauer, weil er Bodentruppen nicht ausschließen will, Scholz aber schon. Grüne, FDP und Opposition sind sowieso dauersauer, weil die SPD sich bei den Taurus-Lieferungen querstellt. Dass die Fregatte „Hessen“ im Roten Meer versehentlich auf eine US-Drohne schoss, rundet eine sicherheitspolitische Woche zum Vergessen ab.

  • Warum Scholz’ Argumente gegen die Taurus-Lieferung längst widerlegt sind, erklären Vivian Micks und Frauke Niemeyer bei ntv.
  • Auf Twitter/X wurden dafür sogar die “Community Notes” zu den Tweets des Kanzlers genutzt, also die Möglichkeit, Falschinformationen richtigzustellen.
  • Die fünf größten Streitpunkte zwischen Macron und Scholz erklärt der Tagesspiegel (€), während Michaela Wiegl bei der FAZ (€) für eine Versöhnung der beiden Regierungschefs plädiert.
  • Wie Russlands Außenminister Sergej Lawrow auf eine Frage zu Macrons Überlegungen reagiert, zeigt unser Fundstück der Woche.
  • Die Skandale und Affären der Bundeswehr aus den letzten Jahrzehnten greift zudem unser Buch der Woche auf.

Mithören war beim Schlagabtausch von Vizekanzler Robert Habeck und Markus Söder ausdrücklich erwünscht. Der Wirtschaftsminister konnte dabei einen Punktsieg davontragen: Seine Replik ging viral. Auch eine andere Meldung könnte die Grünen gefreut haben: Mit 8.000 Neumitgliedern in zwei Monaten verzeichnet die Partei den „stärksten Jahresstart” ihrer Geschichte, nachdem 2023 allerdings auch das erste Netto-Minus mit sich brachte. Außerdem wird den Grünen ihre “Schwäche auf dem Land” zunehmend zum Verhängnis, wie der Tagesspiegel (€) erklärt. Im baden-württembergischen Amtszell wurde nun sogar ein Kandidat der Grünen niedergeschlagen.

Ebenfalls nach oben geht es mit den Diäten der Bundestagsabgeordneten und zwar um ganze 6 %. Das wäre die größte Anhebung seit 30 Jahren. Die Erhöhung ist an den Nominallohnindex gekoppelt und würde zum 1. Juli in Kraft treten. Damit würden die Diäten von derzeit 10.591,70 Euro monatlich um 635,50 auf dann 11.227,20 Euro angehoben werden. Ein Automatismus ist die Anpassung aber nicht: Der Bundestag kann auf die Erhöhung verzichten, wie etwa 2020 während der Corona-Pandemie.

Ein bundesdeutsches Trauma brach vergangenen Dienstag wieder auf, als die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette nach 30 Jahren Flucht festgenommen wurde. Sie lebte unter falscher Identität in der Nähe des Berliner Checkpoint Charlie: “Claudia Ivone” gab dort Mathematik-Nachhilfe, verschenkte Kekse und war als freundliche Nachbarin bekannt. Die Suche nach ihren Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub geht weiter, die Polizei hat nun Fotos von Garweg veröffentlicht, die sie vermutlich in der Wohnung von Klette gefunden hat. Für die Fahndung sind diese ebenfalls mit unterschiedlichen Tarnungen abgewandelt verfügbar. Beide Komplizen standen in regelmäßigem Kontakt zur Gefassten und alle gehören zur sogenannten “Dritten Generation” der RAF.

  • Eine Chronologie der “Roten Armee Fraktion” von den Anfängen bis zur Auflösung bietet der NDR.
  • Einen Überblick über die führenden Köpfe der RAF aller drei Generationen hat der Spiegel zusammengestellt.
  • Garweg und Staub finden sich nun auch auf der EU-weiten “Most wanted list”, auf der Europol die meistgesuchten flüchtigen Straftäter:innen versammelt.
  • Bereits Ende 2023 hatte eine KI-basierte Gesichtserkennungs-Software im Rahmen einer ARD-Recherche Klettes Internetpräsenz auffinden können. Die Chancen und Risiken der “PimEyes”-Anwendung stellt Gregor Schmalzried beim BR dar.

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

 

Aktuelle politjobs
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Politticker
Neue Brand New Bundestag-Kandidat:innen

Über 20 Menschen aus dem gesamten demokratischen Parteienspektrum unterstützt die Initiative Brand New Bundestag bei ihrem Wahlkampf für die diesjährigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die ersten sieben Kandidat:innen wurden nun vorgestellt: Zu den Brandenburger Politiker:innen gehören die drei Grünen-Mitglieder Tammo Westphal, Anna Posenauer und Sebastian Gellert sowie der CDU-Politiker Christian Schroeder. Aus Sachsen werden Coretta Storz (Grüne) und Anne Herpetz (Piratenpartei) gefördert, als Thüringer Kandidatin wurde die…

Reform des Lobbyregisters

Seit dem 1. März ist die aktualisierte Version des Lobbyregistergesetzes in Kraft. Die Reform war mit dem Ziel beschlossen worden, die Transparenz im Bereich der Interessenvertretung zu steigern, etwa durch die Verpflichtung zur Angabe konkreter Regelungsvorhaben. Bereits bestehende Einträge im Lobbyregister müssen nun bis zum 30. Juni 2024 an die neuen Vorgaben angepasst werden, wofür der Bundestag ein aktualisiertes Handbuch für Interessenvertreter:innen bereitstellt. Bislang wurden ca. 0,5 % der rund 6.000 Lobbyregister-Einträge an…

Studie zur “verunsicherten Öffentlichkeit”

84 % der Menschen in Deutschland betrachten absichtlich verbreitete Falschinformationen im Internet als ein großes gesellschaftliches Problem; 81 % sehen darin eine Gefahr für die Demokratie; 54 % sind zudem der Meinung, dass Desinformation zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Das sind einige der Ergebnisse einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung und von pollytics, die sich besonders mit der Wahrnehmung, den Quellen und Auswirkungen von Desinformation beschäftigt. Ein Vergleich mit Zahlen aus den…

Vergleich von SPD und FDP auf Instagram

Gleiches Instagram-Anzeigenbudget, unterschiedlicher Einfluss auf das Wachstum: Die Bundestagsfraktionen der FDP und SPD gaben im Januar 2024 beide rund 15.000 € für Instagram-Anzeigen aus, erzielten jedoch unterschiedliche Effekte dabei: Während die Followerschaft der SPD in diesem Zeitraum um 20 % wuchs, stagnierte der Account der FDP. Die Gründe für diese Unterschiede hat der Social-Media-Berater Andreas Rickmann analysiert: So nutzte die SPD-Fraktion häufig Reels als Format, in denen aktuelle Themen konkret,…

Policy Lab von Hertie School und PD

Mit Studierenden an Policy-Lösungen für die Politik arbeiten: Dies ist der Zweck des Policy Lab der Hertie School, das gemeinsam mit der Beratung PD zu Beginn des Sommersemesters gestartet wird. Dort sollen Studierende die Fähigkeiten erwerben, praktische Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen und zu lösen. Um hier möglichst breite Einblicke und Anwendungsfelder zu ermöglichen, arbeitet die Hertie School im Rahmen des Policy Labs mit diversen Stakeholdern zusammen, etwa…

Wahltrend
04.03.

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Hauke Friederichs

Spielball der Politik. Eine kurze Geschichte der Bundeswehr

Der nun bekannt gewordene Taurus-Leak ist gewiss nicht der erste Skandal in der fast 70-jährigen Geschichte der Bundeswehr. Dass die deutschen Streitkräfte zum Ziel ausländischer Spionage werden, ist allerdings keine überraschende Neuigkeit. Einen historischen Überblick über die Bundeswehr und die wechselnden politischen Ansprüchen ihr gegenüber bietet das Buch von Hauke Friederichs.
Der Historiker und Journalist beschreibt darin sachlich das Auf und Ab der deutschen Parlamentsarmee: von der Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren, über die Stärkung unter dem Entspannungspolitiker Willy Brandt, bis zu den Veränderungen und Auslandseinsätzen seit dem Ende des Kalten Kriegs. Dabei kommen auch die diversen Rüstungsskandale und Affären zur Sprache, die das öffentliche Bild der Bundeswehr häufig geprägt haben. Friederichs zeigt aber ebenso auf, wie jahrelange Sparmaßnahmen zunehmend mit den Anforderungen durch die Politik kollidierten – bis die Bundeswehr angesichts von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine schließlich „blank“ dastand. Hinsichtlich der notwendigen Bewältigung aktueller Zukunftsfragen konstatiert der Autor bisher jedoch vor allem „viel Zeit, wenig Wende“.

Alle Buchempfehlungen finden Sie auch unter www.politbooks.de.

Social-Media-Fundstück der Woche

Lawrows Lachen

Wie (un)ernst Russland die Überlegungen Macrons zum Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine nimmt, zeigt diese Reaktion von Außenminister Lawrow auf die Frage einer Journalistin am Rande des “Diplomatie-Forum” im türkischen Antalya vor wenigen Tagen.

Stakeholder der Woche

Militärischer Abschirmdienst

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt als einer der drei deutschen Nachrichtendienste seit 1956 die Aufgaben einer Verfassungsschutzbehörde des Bundes wahr. Er überwacht dabei insbesondere die Bundeswehr und analysiert verfassungsfeindliche Bestrebungen, Spionage- und Sabotageaktivitäten mit dem Ziel, die innere Sicherheit zu wahren. Seinen Sitz hat der MAD in Köln, geleitet wird er seit 2020 von Präsidentin Martina Rosenberg.

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5. März 2024