Wie das Kabinett über den Krieg spricht

EDITORIAL: Wie das Kabinett über den Krieg spricht

MELDUNGEN: Neue Parteienfinanzierung | Einkommensungleichheit und Demokratie | Engagement europäischer Jugend | Glossar demokratischer Medienkompetenz | Fellowship für demokratische Transformation u.v.m.

WAHLTREND: Union verliert, SPD & AfD legen zu

BUCH: Am Ende der gewohnten Ordnung. Warum wir Macht neu denken müssen

FUNDSTÜCK: Zuckersüße Auseinandersetzung

STAKEHOLDER: Bundesministerium des Innern und für Heimat

Liebe Leserin, lieber Leser,

auch nach einem Monat beschäftigen der Überfall der Hamas auf Israel und seine Folgen die Bundesregierung auf verschiedenen Ebenen – vor allem der kommunikativen. Für aktuelle Entwicklungen zum Kriegsverlauf hat die Zeit einen interaktiven Zeitstrahl aufbereitet.

Innenministerin Nancy Faeser hat nun die Hamas und das israelfeindliche “Solidaritätsnetzwerk” Samidoun verboten. Den bundesweiten Pro-Palästina-Demos hat das keinen Abbruch getan. Dort wurden nicht nur viele antisemitische Parolen skandiert, sondern teilweise auch ISIS- und Taliban-Flaggen geschwenkt.

  • Eine Unterscheidung der Flaggen, die in dem Kontext gezeigt werden.
  • Die rechtlichen Grundlagen für die Verbote kennt die Tagesschau.
  • Warum Faesers Vorgehen handwerklich kritikwürdig war und die Kommunikation der Ministerin eventuell sogar Strafverfolgung verhindert hat, hat der Tagesspiegel recherchiert.

Besser lief es bei ihrem Kabinettskollegen und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sein nuanciertes Video zum Krieg in Nahost erinnerte nicht nur an die Hochphase seiner erklärenden Politikkommunikation der ersten Ampel-Monate, sondern bekam parteiübergreifend viel Zuspruch.

  • Auch vom Bundeskanzler gab es Lob für seinen Vize.
  • Trotz aller Zustimmung: Habecks Rede verschweige das, “was es noch zu sagen gäbe”, argumentiert Doris Akrap in einer taz-Kolumne.
  • Warum die Rede auch für die “redensmüden Deutschen” so wichtig ist, erklärt dagegen Hendrik Wieduwilt bei ntv.

Außenministerin Annalena Baerbock dürfte den Kommunikationserfolg des Kollegen in ihrem Zuständigkeitsbereich mindestens ambivalent zur Kenntnis genommen haben. Zumal ihre letzte Woche medial eher herausfordernd war.

  • Bei ihrem Auftritt in der ZDF-Sendung “Was nun?” hat sie sich unter anderem für die viel kritisierte deutsche Enthaltung bei einer UN-Resolution zu Israel gerechtfertigt.
  • Warum Baerbock diese Abstimmungsentscheidung wiederholt verteidigen musste, fasst das RND zusammen.
  • Schließlich musste sie sich bei einem Treffen der EU-Außenminister auch noch eines ungelenken Begrüßungskusses ihres kroatischen Kollegen erwehren (hier im Video), wofür er sich mittlerweile entschuldigt hat.

Für Aufregung sorgte auch Verteidigungsminister Boris Pistorius, der “uns wieder kriegstüchtig” machen will. Wenig später formulierte er dann vorsichtiger, dass man angesichts der Kämpfe in der Ukraine und Israel in der Lage sein müsse, “einen Verteidigungskrieg zu führen”. Im neuesten Politiker-Ranking bleibt er trotzdem ganz vorn (siehe Politticker).

  • Warum das ein unnötiger Weckruf in Kriegsrhetorik war, hat Daniel Goffart bei der Wirtschaftswoche dargelegt. Auch SPD-Fraktionschef Mützenich ging auf Distanz.
  • Goffarts Kollege Hauke Reimer wundert sich in seinem Kommentar “Kriegstüchtig, ja was denn sonst?”, warum selbstverständliche Aussagen solche Wellen schlagen.
  • “Checks ausstellen und andere halten den Kopf hin” ist vorbei: Warum der Begriff in der deutschen Debatte so schwierig ist, hat Marco Seliger von der NZZ reflektiert.

Der Krieg im Nahen Osten sind auch für Journalist:innen und den alltäglichen Diskurs im privaten Umfeld eine Herausforderung:

  • Wie junge Menschen die Kriegsberichterstattung auf Social Media wahrnehmen, zeigt diese Straßenumfrage des Tagesspiegel.
  • Ob wir zwischen Bildern von Gräueltaten und Propagandameldungen die Fähigkeit verlieren, differenziert zu streiten, diskutieren Benjamin Hammer und Ofer Waldman im Deutschlandfunk.
  • Über eine Flut an Desinformation und die damit verbundenen Absichten spricht zudem die Correctiv-Faktencheckerin Sophie Timmermann im DLF.

Kommunikativ nicht so gut lief es vergangene Woche für die CDU. Dass die Partei bei Trauerbekundungen für die von der Hamas getötete Shani Louk das Partei-Logo in ihrem Instagram-Gedenkpost verwendete, sorgte weithin für Kritik und den Vorwurf, die CDU instrumentalisiere den Tod der deutsch-israelischen Frau.

Zwar sind alle Ampel-Parteien im Stimmungstief, bei der FDP ist die Lage durch den erneuten Kontakt mit der 5-Prozent-Hürde jedoch am dramatischsten. Nun haben 26 FDP-Kommunalpolitiker in einem Brandbrief gefordert, die Ampel zu verlassen, da sich die Partei in der Bundesregierung “bis zur Unkenntlichkeit verbiege”. Sogar ein Mitgliederentscheid über den Verbleib in der Koalition steht im Raum.

  • Den Brief mit dem Titel “Weckruf Freiheit!” gibt es hier im Wortlaut.
  • Warum der Vorstoß eine Gefahr für Parteichef Lindner werden könnte, erläutert Tim Kummert bei t-online.
  • Inwiefern die Zahl 85 dabei an den Liberalen nagt, erklärt Stefan Braun von Table.Media.
  • Bei der Kür des FDP-Spitzenkandidaten in Mecklenburg-Vorpommern für den Europawahlkampf musste derweil das Los entscheiden. Die Details kennt die Ostsee-Zeitung.

Bei allem Ärger in der Ampelkoalition läuft es zumindest bei einem gemeinsamen Projekt zwischen Lindner und Habeck gut: Die beiden Minister geben gemeinsam ein Buch heraus. Julian Olk mit einem Ausblick auf den Sammelband zum “Jahrzehnt der Entscheidung”.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

 

Aktuelle politjobs
Politticker
Neue Regelung der Parteienfinanzierung

Bei 185 Millionen Euro soll die absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung ab dem Jahr 2018 liegen. Dies ist Kern des neuen Gesetzentwurfs zur Parteienfinanzierung, auf die sich die Bundestagsfraktionen der Ampelparteien mit Union und Linken geeinigt haben, so Informationen von Table.Media. Neu ist auch, dass Parteitage künftig digital möglich sind und Spenden ab 35.000 Euro sofort veröffentlicht werden müssen (bisher: 50.000 Euro). Notwendig geworden war die Neuregelung der Parteienfinanzierung durch…

Einkommensungleichheit und Demokratie

Einkommensungleichheit trägt zur Entfremdung einzelner Gruppen vom demokratischen System bei. Dies ergibt der neue Verteilungsbericht der Hans-Böckler-Stiftung, der seit 1995 jährlich herausgegeben wird. Die aktuelle Ausgabe zeigt, dass besonders ärmere Menschen weniger Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen haben: 47 % der dauerhaft Armen haben z.B. nur ein geringes Vertrauen in den Bundestag, bei mittleren Einkommen liegt dieser Wert bei rund 30 %, während er bei den hohen Einkommen…

Engagement europäischer Jugend

Die europäische Jugend sorgt sich um ihre Zukunft, insbesondere um gesellschaftliche Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Spaltungen. Rund 80 % sind sich unsicher, ob ihre Generation Kinder bekommen sollte. Diese Ergebnisse stellt die Allianz Foundation mit ihrer ersten Engagement-Studie “The Movers of Tomorrow?” vor, für die 10.000 junge Erwachsene in fünf EU-Staaten befragt wurden. Von den Befragten sei noch rund die Hälfte bereit, sich stärker für eine “gerechte und grüne Zukunft”…

Glossar für demokratische Medienkompetenz

“Von Algorithmus bis Zivilcourage”: Unter diesem Titel gibt die Amadeu Antonio Stiftung ein neues Lexikon für demokratische Medienkompetenz heraus, das demokratische und digitale Bildung verbinden soll und so zu einer demokratischen Gestaltung des digitalen Raums beiträgt. Das Lexikon entstand im Rahmen des Projekts “firewall – Hass im Netz begegnen” und möchte besonders für den Bereich Medienpädagogik eine Art Glossar bieten. Aufgeführt und erklärt werden dabei Begriffe, die zentral sind…

Fellowship für demokratische Transformation

Demokratische Erneuerung und neue wirtschaftliche Paradigmen: Wer in Europa zu diesen Themen arbeitet, kann sich auf das neue Fellowship “Changemakers for Democracy” von ChangemakerXChange bewerben und eine einjährige Förderung erhalten. Diese Förderung besteht nicht nur aus finanziellem Funding, sondern bietet auch Zugang zu Netzwerken, Workshops und Kollaborationsmöglichkeiten. So sollen insgesamt 15 Personen ausgewählt werden, die innovativ, in Bewegungen oder Kollektiven zu demokratischer Transformation arbeiten und so eine weitere Ausbreitung…

Wahltrend
Wahltrend 06 November 2023

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Sophie Pornschlegel

Am Ende der gewohnten Ordnung. Warum wir Macht neu denken müssen

In der aktuellen Zeit multipler Krisen – von der Erosion der Demokratie über Kriege und Konflikte bis hin zum Klimawandel – fragen sich immer mehr Menschen, wie ein Ausweg aus dem dauerhaften Ausnahmezustand aussehen könnte. Vor allem ist es die Aufgabe der Politik, adäquate Antworten auf die Krisen zu finden. Aus Sicht von Sophie Pornschlegel scheitert dies jedoch häufig an einem negativen Bild von politischer Macht, wie die Politikwissenschaftlerin in ihrem Buch analysiert.

Ausgehend von einer Untersuchung zentraler Krisen der Gegenwart zeigt sie auf, wie die Politik unter einem machiavellistischen, zynischen und individualistischen Machtverständnis leidet, bei dem oft Machterhalt oder -zuwachs im Vordergrund stehen. Die Autorin plädiert deshalb für ein positives, demokratischeres Verständnis von Macht, das Handlungsoptionen offen hält und den gesellschaftlichen Wandels adressiert. Dabei sollten besonders die Aspekte Gestaltungsmacht, kollektive Macht und moralische Macht in den Mittelpunkt gestellt werden, was von Pornschlegel mit entsprechenden Beispielen aus dem Politikbetrieb unterfüttert wird.

Alle Buchempfehlungen finden Sie auch unter www.politbooks.de.

Social-Media-Fundstück der Woche

@cem_oezdemir

Zuckersüße Auseinandersetzung

Der Postillon hat es geahnt: Der Bundesernährungsminister sorgt selbst an Halloween auf unkonventionelle Weise für das Allgemeinwohl. Und Cem Özdemir und die Polizei Stuttgart zeigen mit ihren lyrischen Reaktionen, dass es auch auf X/Twitter manchmal noch süß zugehen kann.

Stakeholder der Woche

Bundesministerium des Innern und für Heimat

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sieht sich selbst als Hüter der Verfassung, Integrationstreiber und Förderer des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Zudem liegen seine Aufgabenschwerpunkte bei der Modernisierung von Staat und Verwaltung und der Informationstechnik. Weiterhin übernimmt das BMI Sicherheitsaufgaben, z.B. Vereinsverbote zur Bekämpfung des Extremismus. Das BMI wird von Bundesinnenministerin Nancy Faeser geleitet und hat seinen Hauptsitz in Berlin.
Jobs

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Das Redaktionsteam
6. November 2023