Liebe Leserin, lieber Leser,
populistische Plattformen und Botschaften für die eigenen politischen Ziele zu instrumentalisieren, ist immer gefährlich und geht auf lange Sicht meistens schief. Diese Binse des politischen Betriebs scheint sich jedoch noch nicht überall herumgesprochen zu haben.
Das musste Markus Söder am Samstag schmerzhaft erfahren, als er bei einer Demo “gegen die grüne Heizungsideologie” im bayerischen Erding auftrat, zu der auch die AfD aufgerufen hatte. Als Bayerns Ministerpräsident die Bühne als Hauptredner betrat, erntete er Pfiffe und Buhrufe (hier im Video), ebenso wie der bayerische FDP-Vorsitzende Martin Hagen. Söder hatte zuvor von einem „Signal aus der Mitte der Gesellschaft“ gesprochen – und dabei wohl Publikum und Stimmung der Demo unterschätzt. Im Gegensatz zu Hubert Aiwanger, Bayerns Wirtschaftsminister von den Freien Wählern, der bei seinem Auftritt komplett ins populistische Narrativ rutschte. Für seine Forderung “unsere Demokratie zurückzuholen” (Video) wurde er mit Applaus belohnt. Ob ihm das bei der Landtagswahlam 8. Oktober helfen wird, bleibt fraglich, denn die AfD legt auch in Bayern seit Monaten zu und steht in den Umfragen mittlerweile bei 12 %, dem zweithöchsten Wert in den westdeutschen Ländern.
Der Mann, der jetzt den Job hat, den Söder eigentlich wollte, hatte vergangene Woche auch eine Demo-Erfahrung der unangenehmeren Art. Olaf Scholz löste diese aber anders. Kai Clement analysiert den Ausbruch des “Klartext-Kanzlers” gegenüber Störern im brandenburgischen Falkensee (Video). Dort und im übrigen Ostdeutschland (außer Berlin) ist die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik besonders groß. Das zeigt auch eine aktuelle Forsa-Umfrage: Die AfD ist hier mit 32 % deutlich stärkste Kraft, Grüne und FDP müssten um den Einzug ins Parlament kämpfen. Das ist aber nicht der einzige Anlass, weshalb Forsa Aufmerksamkeit auf sich zog: Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Manfred Güllner irrlichterte ähnlich stark wie Aiwanger und kritisiert eine vermeintliche “Grüne Diktatur” im Welt-Interview (Auszug bei Twitter + Volltext €).
Die anstehenden Kommunalwahlen in den fünf ostdeutschen Ländern (außer Berlin) im Juni kommenden Jahres werden daher eine entscheidende Wegmarke sein. Ebenso die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst 2024. Nicht nur in Thüringen könnten die Mehrheitsverhältnisse dabei besonders schwierig ausfallen.
- Dort haben die Grünen nun ein Vier-Parteien-Bündnis gegen die AfD von Björn Höcke ins Spiel gebracht.
- Der Thüringer AfD-Chef muss sich bis dahin übrigens mit einer erneuten Anklagewegen der Verwendung von NS-Vokabular auseinandersetzen.
- Zuvor könnte es im thüringischen Sonneberg womöglich bald den ersten AfD-Landrat geben, worüber in zwei Wochen eine Stichwahl entscheidet.
- Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) über das “No Go mit der Ampel über die AfD zu streiten”.
- Mecklenburg-Vorpommern wählt nächstes Jahr zwar nicht auf Landesebene, aber die Erkenntnisse, die eine neue Studie über das Vertrauen und die politische Kultur im Nordosten gesammelt hat, sind trotzdem für den gesamten Osten interessant (siehe politticker).
Die nächste Bundestagswahl wird voraussichtlich mit einem neuen Wahlrecht stattfinden. Bundespräsident Steinmeier unterzeichnete die umstrittene Wahlrechtsreform am vergangenen Donnerstag, die bereits im März vom Bundestag verabschiedet worden war. Das Bundespräsidialamt hatte bisher noch geprüft, ob das Vorhaben grundgesetzkonform ist. Die Unionsfraktion, die Linke und der Freistaat Bayern sehen das aber anders und bereiten derzeit Verfassungsklagen vor.
- Das RND fasst den aktuellen Stand zusammen und verweist darauf, dass Bundespräsidenten erst acht Mal Gesetze nicht durchgewunken haben. Der letzte Fall liegt bereits 17 Jahre zurück.
- Aus der Sicht von Robert Roßmann macht es sich Steinmeier zu leicht mit der Unterschrift.
- Ulrich Reitz vom Focus sieht sogar die Gefahr einer Verfassungskrise, sollte Karlsruhe der Einschätzung des Bundespräsidenten widersprechen.
Änderungen soll es bald auch am Parteiengesetz sowie am Lobbyregister geben. Für ersteres planen die Schatzmeister der Parteien eine Anpassung, um die vom Bundesverfassungsgericht kürzlich kassierte Erhöhung der jährlichen Zuwendungen zu retten.
Für die Aktualisierung des Lobbyregisters hat hingegen das Kabinett am Mittwoch eine Formulierungshilfe für die Regierungsfraktionen auf den Weg gebracht, die schärfere Regeln der Offenlegung vorsehen. Unter anderem sollen künftig Kontakte in die Ministerien schon ab Referentenebene, die Stellungnahmen von Lobbyisten sowie die betroffenen Gesetzesvorhaben der Lobbyarbeit transparent gemacht werden. Zudem ist eine Übersicht zu Wechseln von Mandats- und Amtsträgern zu Lobbyakteuren geplant. Die Saarbrücker Zeitung mit mehr Hintergründen.
Der Kampf für mehr Transparenz im Politikbetrieb war sicher kein Hauptanliegen des früheren italienischen Regierungschefs und Medienunternehmers Silvio Berlusconi. Dieser hat die Politik Italiens in den vergangenen Jahrzehnten stark geprägt und ist nun im Alter von 86 Jahren gestorben. Der Spiegel mit einem Nachruf.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
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Über 90 % der Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns sind an aktuellen Themen in ihrem Bundesland interessiert, allerdings genießen die Bundesregierung, der Bundestag und die Parteien im Allgemeinen nur durchschnittliches Vertrauen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie zur Mediennutzung und politischen Kultur vom Hans-Bredow-Institut. Es wurde untersucht, über welche Medien sich die Bürger:innen informieren, welche Rolle Social Media spielt und welche Meinungen und Einstellungen die Bürger:innen zu aktuellen politischen Themen haben. Dabei…
Über 1,7 Millionen ehrenamtliche Helfer:innen sorgen in Deutschland für den Bevölkerungsschutz. Um diese Arbeit zu würdigen, vergibt das Bundesinnenministerium jährlich den Förderpreis Helfende Hand. Diese Auszeichnung wird in den drei Kategorien Innovative Konzepte, Nachwuchsarbeit und Unterstützung des Ehrenamtes vergeben, zusätzlich findet über ein offenes Voting die Vergabe eines Publikumspreises statt. Auch Sonderpreise sind möglich für ehrenamtliche Projekte, die in keine der Kategorien passen. Letztes Jahr wurden so insgesamt 15…
Nur 26 % der Deutschen sehen durch die EU-Mitgliedschaft Deutschlands eher Vorteile, 27 % gehen dagegen davon aus, dass hierdurch eher Nachteile entstehen. Dies zeigt eine Sonderausgabe des ARD-DeutschlandTrends, die sich mit dem Blick der Deutschen auf Europa beschäftigt. Besonders im Vergleich zu früheren Umfragen wird deutlich, dass große Teile der Bevölkerung der EU mittlerweile kritischer gegenüberstehen. So wünschen sich 38 % der Befragten, dass mehr Kompetenzen wieder bei…
Kommunalpolitiker:innen sehen sich seit Jahren zunehmenden Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt. Um dem entgegenzutreten, ist nun eine neue Einrichtung geplant: Die “Allianz zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger” schlägt eine zentrale Ansprechstelle vor, die als Informations- und Beratungsstelle agieren sowie den Kontakt zwischen Betroffenen und Sicherheitsbehörden, Justiz und Verwaltung sichern soll. Darüber beriet die Allianz nun mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die die finalen Vorschläge mit den Ländern und Kommunen abstimmen…
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Susanne Kaiser
Backlash.
Die neue Gewalt gegen Frauen
Ein Drittel der jungen Männer in Deutschland findet Gewalt gegen ihre Partnerinnen akzeptabel, so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Zugleich sorgen Berichte über sexuelle Übergriffe z.B. in der Film- und Musikbranche, über Femizide oder über den politischen Kampf gegen das Recht auf Abtreibung in vielen Ländern für Aufsehen. Susanne Kaiser macht mit ihrem Buch klar, dass solche Ausprägungen toxischer Männlichkeit überall zu finden sind, egal ob im privaten, im digitalen oder im politischen Raum.
Die Journalistin zeigt mit Geschichten aus der Mitte der Gesellschaft auf, dass es sich dabei um einen Backlash handelt – eine reaktionäre Gegenbewegung gegen der Aufstieg der Frauen. Ihre These: Je sichtbarer und erfolgreicher Frauen sind, umso mehr Anfeindungen, Hass und Gewalt erleben sie. Mit dem Ziel, die erkämpfte Gleichberechtigung der Geschlechter rückgängig zu machen. Im öffentlichen Raum betrifft dieses „feministische Paradox“ besonders Regierungschefinnen, Abgeordnete, Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen oder Influencerinnen. Die Autorin schildert eindrücklich, wie Frauen durch Hass und Gewalt aus Berufen, Führungsebenen und politischen Ämtern gedrängt werden sollen. Um die Dynamik aus Gleichberechtigung und Gegenbewegung zu durchbrechen, plädiert Kaiser dafür, insbesondere das Schweigen über die Gewalt gegen Frauen zu beenden und in den relevanten Institutionen wie Polizei und Justiz keine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben.
Alle Buchempfehlungen finden Sie auch unter www.politbooks.de.
Wer Excel beherrscht, schafft an
Der Umgang mit Excel will gelernt sein, das wissen auch die Büchereien Wien – besonders wenn davon die Neuwahl eines Parteivorsitzenden abhängt. So geschehen in Österreich, wo der eigentlich unterlegene Bewerber für den SPÖ-Vorsitz wegen einer vertauschten Excel-Liste zunächst zum Sieger der Parteitagsabstimmung erklärt wurde. Der Fehler wurde aber schließlich erkannt und Andreas Babler zum neuen SPÖ-Chef.
Hans-Bredow-Institut
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