Liebe Leserin, lieber Leser,
“Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung.“ Es war nicht der übliche Duktus des Kanzlers, den Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung am Donnerstag aufblitzen ließ. Etwa ein Jahr nach der legendären Rede zur Zeitenwende verteidigte der Kabinettschef die Arbeit der Ampel. t-online analysiert Scholz’ Rede, der Stern hat die Pressestimmen zum rhetorischen Zeitenwende-Jubiläum zusammengefasst.
Am Tag darauf ist Scholz zu seinem zweiten Besuch im Weißen Haus als Kanzler aufgebrochen. Es war ein äußerst ungewöhnlicher Staatsbesuch: Ohne nennenswerte Delegation und Pressetross wie -konferenzen, Abendessen oder sonstige repräsentative Termine. Ein “Arbeitsbesuch” sollte es sein und am Ende sprachen Scholz und US-Präsident Biden auch nur eine gute Stunde miteinander. Einzig für CNN nahm sich Scholz noch Zeit, das Exklusiv-Interview mit Fareed Zakaria gibt es hier zum Nachschauen. Bastian Brauns berichtet aus Washington über einen „knappen, geheimnisvollen Besuch“.
Zurück in Berlin erwartete den Bundeskanzler die zweitägige Regierungsklausur auf Schloss Meseberg. Die Spannungen innerhalb der Ampel böten derzeit zwar Stoff für eine ganze Woche an interner Reflexion, aber solange kann der Regierungsbetrieb natürlich nicht warten.
- Worüber die Ampel gerade am intensivsten streitet, hat Cosima Gill für die Tagesschau zusammengefasst.
- Zum Auftakt der Klausur war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyenzu Gast, die den Schulterschluss mit Scholz gesucht hat, wie das ZDF berichtet.
- Kristina Dunz blickt für das RND auf einige denkwürdige Kabinettsklausuren
auf dem Brandenburger Gut zurück.
Einig ist sich die Ampel sicherlich in Bezug auf Gerhard Schröder. Doch dieser darf trotz seiner Nähe zu Wladimir Putin weiter SPD-Mitglied bleiben, wie die Bezirksschiedskommission Hannover am Mittwoch entschied. Die Anträge für einen Parteiausschluss seien „nicht begründet“ und Schröder hätte sich keines „ehrlosen Verhaltens“ schuldig gemacht. Nun denn. Widerstand regt sich schon: Der SPD-Ortsverein Leutenbach aus Baden-Württemberg hat Berufung gegen die Entscheidung angekündigt.
Auch ein anderer SPD-Politiker ist der Partei mittlerweile eher unangenehm, wenngleich auf weitaus harmloseren Level. Der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann sorgte in den letzten Monaten mit seinem Kleben am Amt für ein unwürdiges Schauspiel und ein Worst Practice politischer Fehlerkultur. Nach der Abwahl Feldmanns im vergangenen November stand nun die Wahl seines Nachfolgers an. Hoffnung auf das Oberbürgermeister-Amt dürfen sich noch Uwe Becker (CDU) und Mike Josef (SPD) machen, die in drei Wochen in die Stichwahl gehen.
Diese ist in Mainz nicht mehr nötig. Der parteilose Nino Haase – seines Zeichens „Schlag den Raab“-Gewinner von 2009 – wurde hier gestern zum neuen Oberbürgermeister gewählt.
Wahlen hatte Berlin in letzter Zeit genügend. Dafür gab es in der Hauptstadt nun Aufregung um die Proteste der „Letzten Generation“. Diese gipfelten in einem Angriff auf das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ des israelischen Künstlers Dani Karavan (hier im Video). Dies wurde parteiübergreifend scharf verurteilt.
- Stellvertretend für viele Kommentare kritisiert Angelika Slavik von der Süddeutschen (€) die Aktion als nicht zielführend für die Sache des Klimaschutzes.
- Dimitri Blinski hingegen argumentierte vor wenigen Tagen bei RTL.de noch dafür, dass Protest radikal sein müsse, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen.
- Von Taliban-Vergleichen bis zu Verständnis: Reaktionen auf die Aktion hat die Berliner Morgenpost zusammengestellt.
- Hintergrundwissen zum Kunstwerk gibt es hier.
Die Deutsche Nationalbibliothek fällt auf einmal ebenfalls im politischen Diskurs auf: Sie will vier Milliarden deutschsprachige Tweets seit 2006 für die Nachwelt sichern. Aus Angst, dass durch die Übernahme von Elon Musk bald der Zugriff erschwert oder unmöglich wird. 33 Jahre würde das Vorhaben derzeit einen einzelnen Archivar kosten – diesen und weitere Hintergründe zum Wettlauf gegen die Zeit und Musks Laune hat Lena Jakat in der Augsburger Allgemeinen zusammengestellt. Stephan Reich vom Hessischen Rundfunk erklärt in einer Glosse, warum das für ihn der schlimmste Job der Welt wäre.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff
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Knapp zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind gut gewappnet für die Umbrüche der digitalen Transformation, fast 15% der Bürger:innen sitzen diese jedoch bisweilen völlig aus. Zu diesen Erkenntnissen kommt der aktuelle D21-Digital-Index 2022/2023. Zum zehnjährigen Jubiläum erhebt der Index neben dem Digitalisierungsgrad der Gesellschaft nun in einem digitalpolitischen Monitoring auch Daten zu einzelnen Zielen der Digitalstrategie der Bundesregierung. Damit sollen (Miss-)Erfolge sichtbar und ein eventuell nötiges Gegensteuern ermöglicht werden.
70% der deutschen Bürger:innen haben grundsätzlich Vertrauen in das hiesige Rechtssystem – üben aber auch Kritik, bspw. an langen Gerichtsverfahren und der Überlastung der Gerichte. Die Wahrnehmung dieser Probleme habe sich zudem verschärft, so der aktuelle Rechtsreport über Einstellungen zum Rechtssystem und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Report, der vom Unternehmen ROLAND Rechtsschutz veröffentlicht wird, geht zudem auf die Stimmung speziell in der Justiz ein.
Mobiltelefone waren 2022 das beliebteste Gerät für die Notfallkommunikation, E-Mails dagegen das beliebteste Krisen-Kommunikationsmittel. Diese Ergebnisse finden sich im aktuellen Emergency & Crisis Communications Report des Business Continuity Institute, der im Februar veröffentlicht wurde. Der Report verfolgt zwei Ziele: Einerseits sollen Organisationen in die Lage versetzt werden, ihre Kommunikationsmittel und -verfahren zu bewerten; andererseits möchte das BCI Debatten anstoßen und “Best Practices” des Krisenmanagements aufzeigen.
Während in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie eine Zunahme an konfrontativen Protestformen zu verzeichnen war, setzte sich dieser Trend 2022 nicht fort. Das Protest-Monitoring des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung kommt zum Ergebnis, dass im vergangenen Jahr weniger, aber dafür größere Protestereignisse stattfanden und insgesamt weniger mobilisiert wurde als erwartet. Die Radikalisierungstendenzen, die 2020 und 2021 auffielen, stagnierten bzw. gingen zurück. Das Monitoring wurde vergangene Woche von Forschenden des WZB…
Rund 60% aller Kandidat:innen für Parlamentswahlen zwischen 2013 und 2022 traten zum ersten Mal an, wobei dieser Wert je nach Wahl stark schwankt. Das zeigt das Projekt “CandiData”des Instituts für Parlamentarismusforschung. In dessen Rahmen untersuchten Daniel Hellmann und Danny Schindler, inwieweit bei den Bundes- und Landtagswahlen neue, erstmals zur Wahl antretende Kandidat:innen von den Parteien aufgestellt werden.
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- Russland & China: Wie eng ist die Verbindung? (Podcast)
- Analyse: Putin so mächtig wie nie & der Zerfall seines Imperiums
- Grüne: Partei wächst das siebte Jahr in Folge
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- Expertenbeitrag: Risiken im Umgang mit ChatGPT und Co.
Dirk Oschmann
Der Osten: eine westdeutsche Erfindung
Als der Ostbeauftragte der Bundesregierung vor kurzem feststellte, dass Ostdeutsche unter den Führungskräften der Bundesbehörden unterrepräsentiert sind, sorgte dies medial zumindest für eine gewisse Aufmerksamkeit. Allerdings scheint sich das Land 33 Jahre nach der Wiedervereinigung mehr oder weniger an solche ungleichen Zustände gewöhnt zu haben. Dies ist der Hintergrund, vor dem Dirk Oschmann sein Buchverfasst hat.
Dem Germanistikprofessor geht es dabei aber weniger um eine empirische Bestandsaufnahme, sondern um die diskursive Konstruktion “des Ostens” als einheitlicher Block. Er betrachtet die negativ konnotierte ostdeutsche Identität dabei als eine Zuschreibung durch den Westen: als rückständig, unkultiviert, populistisch, fremdenfeindlich, undankbar. Aus Oschmanns Sicht definiert sich der Westen noch immer als Norm und den Osten als Abweichung, zum Beispiel in der Beschreibung der deutschen Nachkriegsgeschichte oder im Narrativ, der Osten müsse seit 1990 zum Westen aufholen.
Dass der Autor dabei eine Menge Wut im Bauch hat, wird an seinem Schreibstil deutlich: polemische Rhetorik, starke Zuspitzung und das Kokettieren mit dem Vorwurf des “Jammerossis”, um Kritik vorzubeugen. Es lässt sich etwa trefflich darüber streiten, ob Ostdeutsche in der Demokratie der Bundesrepublik tatsächlich erneut “entmündigt” wurden, wie der Autor schreibt. Trotzdem ist Oschmanns Buch ein Debattenbeitrag, der zum weiteren Zusammenwachsen von Ost und West beitragen könnte.
Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.
Benjamin Triebe
Lethal Presidents
Nachdem letzte Woche alle US-Präsidenten hier bereits im Pixar-Look vertreten waren, setzt Cam Harless diesmal noch einen drauf und präsentiert sie dank KI im (gemein)gefährlichen 80er-Jahre-Stil, inklusive entsprechender Sonnenbrillen und Vokuhilas. Ihr Revival im echten Politikbetrieb ist derzeit zum Glück nicht zu befürchten.
Mareile Ihde
Deutsche Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands, in der alle seit 1913 erschienenen Medienwerke aus und über Deutschland gesammelt werden. Die Institution besteht seit 1990 in ihrer aktuellen Form und trägt seit 2006 den Titel “Nationalbibliothek”. Ihre Standorte befinden sich in Leipzig und Frankfurt am Main, geleitet wird die Bibliothek von Generaldirektor Frank Scholze.
Gregor Bauer
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