Ziemlich beste Brieffreunde

Die politnews vom 20. Februar 2023

Zukunftszentrum Deutsche Einheit geht nach Halle | Neuer Podcast “LobbyVersum” | Stiftung Grundeinkommen wird zum Zentrum für neue Sozialpolitik | Petition für mehr Diversität im Bundestag | DACH-Projekt zur Demokratieförderung u. v. m.

WAHLTREND: Union legt zu, FDP mit Verlusten | BUCH: Die große Zäsur. Putins Krieg und das Dilemma des Westens | TWEET: Kai Wegner kurbelt den Arbeitsmarkt an | STAKEHOLDER: Münchner Sicherheitskonferenz

Liebe Leserin, lieber Leser,

haben Sie auch diesen einen Kollegen, den Sie manchmal zum Mond und ihm eine E-Mail mit der halben Abteilung in CC hinterher schicken könnten? Nun, stellen Sie sich vor, das passiert Ihnen als Bundesminister.

Vizekanzler Robert Habeck hat – passenderweise am Valentinstag – den Brief-Streit mit Finanzminister Christian Lindner angezettelt. Dabei geht es neben der allgemeinen Rivalität vor allem ums Geld: Habeck und die Grünen wollen mehr davon für ihre Prestige-Projekte, insbesondere für die Kindergrundsicherung. Lindner jedoch will die Schuldenbremse einhalten und nach mehreren katastrophalen Landtagswahlen der FDP wieder mehr Profil geben. Im eh schon angespannten Ampel-Verhältnis also ein idealer Nährboden für weiteren Koalitionszoff. Doch so ein Briefwechsel zwischen zwei Ministern markiert dennoch eine bemerkenswerte Eskalation. Vor allem weil der Zwist damit öffentlich ausgetragen werden muss. Doch genau das könnte Habecks Kalkül sein: Die Grundsatzfrage, wie die anstehenden Großprojekte in wirtschaftlich angespannten und Kriegszeiten finanziert werden sollen, zum Gegenstand einer breiteren Debatte machen und Lindner so unter Druck setzen. Weitere Hintergründe zum passiv-aggressiven ministerialen Briefwechsel:

Und der Kanzler? Dessen Sprecher richten aus, dass die Schuldenbremse steht und es bei all den E-Mails doch auch schön sei, wenn wieder Briefe geschrieben werden. Dass der Zwist erneut bis zu einem öffentlichen Kanzler-Machtwort wie im vergangenen Jahr eskaliert, ist nicht anzunehmen – ein nochmaliges Ultima Ratio wäre ein zu großes Zeichen der Schwäche.

Aber es ist nicht die einzige Konfliktzone in der Ampel. In der Außenpolitik duellieren sich Annalena Baerbock und Olaf Scholz, wie Zeit (€) und Telegraph berichten. Auch wenn auf der Münchener Sicherheitskonferenz, oder der „neuen re:publica“ wie Twitter-Virtuose Christian Helms angesichts stattlicher Berliner Reisegruppen gen Bayern feststellte, eher Harmonie zwischen Kanzler, Außenministerin und neuem Verteidigungsminister demonstriert wurde. Bestimmendes Thema war natürlich auch hier der Ukraine-Krieg.

  • Die zentralen Ergebnisse der MSC hat Markus Decker vom RND notiert.
  • Ukraine-Experte Ralf Fücks fasst in einem Twitter-Thread die aus seiner Sicht prägnantesten Aussagen zum möglichen Kriegsende auf der MSC zusammen.
  • Angesichts des anstehenden ersten Jahrestags der russischen Invasion (siehe Buch der Woche) liefert die Süddeutsche eine beeindruckende Rekonstruktion (€) des Kriegsvorabend aus dem Inneren des Berliner Machtzentrums.
  • Seitdem tobt der Krieg nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch im Netz. Dabei spielt Antisemitismus eine oft unterschätzte Rolle in der Kriegspropaganda. Daher an dieser Stelle ein Hinweis in eigener Sache: Am kommenden Donnerstagabend stellen wir den Antisemitismus-Tracker für den Ukraine-Krieg (siehe Event der Woche) im Berliner BASECAMP und per Livestream vor (Anmeldung).
  • Auch das Konzept der feministischen Außenpolitik stand im Fokus: Bald wollen Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze die Leitlinien feministischer Entwicklungs- und Außenpolitik vorstellen. Auch eine Botschafterin für feministische Außenpolitik soll berufen werden. Warum die Absichten dahinter richtig sind, aber besser von einer “inklusiven” Politik die Rede sein sollte, erklärt Andrea Nüsse beim Tagesspiegel. Wenn Sie sich selbst ein Bild machen wollen, empfehlen wir den Diskussionsabend des ISD am 28. Februar.

Auch die Berlin-Wahl hielt neue Wendungen bereit. Kurz bevor die ersten Sondierungsgespräche zwischen den Parteien begannen, kam die Nachricht über eine Wahlpanne in Lichtenberg: Mehr als 450 Briefwahlstimmen wurden vergessen. Nach Auszählung dieser Stimmen dann zunächst das einigermaßen seltene Ergebnis: Die Kandidat:innen von Linke und CDU lagen gleichauf, das Los sollte entscheiden. Doch die Geschichte war noch nicht vorbei, denn auch bei der Neuauszählung kam es zu Fehlern: Am Ende holte die CDU knapp mit 9 Stimmen Vorsprung das Mandat. Auch dass es im vorläufigen Ergebnis mehr Stimmen als Wähler:innen gab, passt ins Bild. Klar ist: Jede Wahl wird von Fehlern begleitet. In Berlin ist das aber manchmal andersherum.

  • Den aktuellen Stand der Koalitionsverhandlungen kennt der RBB, weitere Sondierungen stehen in dieser Woche an.
  • Politologe Gero Neugebauer über die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Koalitionsmöglichkeiten.
  • Eine beeindruckende interaktive Datenanalyse über die neuen politischen Trennlinien der Hauptstadt und was das mit der Ringbahn zu tun hat, hat der Tagesspiegel unter dem Titel “Berlin sieht schwarz” veröffentlicht.

Sollte es tatsächlich zu Schwarz-Grün kommen, würde dies zu erheblichen Personalrotationen führen. Nicht nur in der Landesregierung und -verwaltung, sondern unter Umständen auch im Hauptstadtjournalismus (siehe Tweet der Woche). Ob eine Koalition aus CDU und Grünen in Berlin mehr als eine gute Geschichte sein kann, ist allerdings mehr als fraglich, kommentiert Julius Betschka vom Tagesspiegel.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

Aktuelle politjobs
Politticker
Petition für mehr Diversität im Bundestag

Unter dem Hashtag #PolitikBrauchtVielfalt hat die Initiative BrandNewBundestag eine Petition gestartet, die mehr Diversität im Bundestag erreichen bzw. sichern will. Anlass ist die geplante Wahlrechtsreform, bei der es durch die Reduzierung der Mandate auch zu weniger Vielfalt im Parlament kommen könnte. Die Petition ruft Parteien auf, Diversität intern gezielter zu fördern, besonders bei den Verfahren zur Listenaufstellung. Erstunterzeichner:innen der Petition sind u.a. Luisa Neubauer und Kristina Lunz.

DACH-Projekt zur Demokratieförderung

Mit dem DemokratieHub startet demnächst eine Plattform ihre Arbeit, die demokratische Kräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bündeln und verstärken will. Durch diese Vernetzung soll gemeinsames strategisches Wirken für eine vielfältige Gesellschaft gefördert werden, konkret durch Unterstützungsangebote für demokratiefördernde „Denker:innen und Changemaker“. Träger des trinationalen Projektes sind die Initiative Offene Gesellschaft (D), der Campus für Demokratie (CH) und Demokratie21 (AT). Hervorgegangen ist das Hub aus der ANSTOSS DEMOKRATIE-Initiative von…

Stiftung Grundeinkommen wird zum Zentrum für neue Sozialpolitik

Die Sozialsysteme der Zukunft werden zum thematischen Fokus des Zentrums für neue Sozialpolitik, das aus der Stiftung Grundeinkommen hervorgegangen ist. Die Umbenennung erfolgte aufgrund einer programmatisch breiteren Aufstellung und einer organisatorischen Umstrukturierung: So werden neue Bereiche eingerichtet, die sich mit der Transformation des Sozialstaates und der Entwicklung neuer Ideen beschäftigen. Das Zentrum wird weiterhin von Mansour Aalam geleitet und sucht derzeit weitere Mitarbeiter:innen (siehe Jobs der Woche).

Neuer Podcast “LobbyVersum”

Public Affairs, Politik und die Arbeit von Lobbyist:innen – Diesen Themen widmet sich der neue Podcast „LobbyVersum“ der Public Affairs-Beratung elfnullelf. Die Initiatoren sind der geschäftsführende Gesellschafter Udo Sonnenberg und Consultant Marian Blok, die bisher zwei Folgen des Podcasts veröffentlicht haben. Ihr Ziel ist es, die Hintergründe der Lobbying-Arbeit aufzuzeigen und dabei besonders auf die Arbeit und Werkzeuge der Politikberatung, deren Personennetzwerke sowie die Rolle im Gesetzgebungsprozess einzugehen.

Zukunftszentrum Deutsche Einheit geht nach Halle

Halle an der Saale wird zum Standort für das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation. Dies hat eine unabhängige Jury am 14. Februar als Vorschlag für das Bundeskabinett entschieden. Das künftige Zentrum soll als Begegnungs- und Forschungsstelle die Leistungen der deutschen Vereinigung würdigen und die Erfahrungen daraus für künftige Transformationen nutzbar machen. Dafür wird die Bundesregierung voraussichtlich 200 Millionen Euro investieren. Die Eröffnung ist für 2028 geplant.

Wahltrend
20.02.

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche
Blätter für deutsche und internationale Politik

Die große Zäsur. Putins Krieg und das Dilemma des Westens

Ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist klar: Seit dem 24. Februar 2022 erleben wir in Europa einen drastischen Umbruch, eine lange Zeit undenkbare Aggression gegen die bisherige Friedensordnung und das Ende damit verbundener Gewissheiten. Warum es sich dabei um eine große Zäsur statt einer Zeitenwende handelt, verdeutlicht der gleichnamige Sammelband der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

Die 36 Beiträge des Bandes, die zuvor in der renommierten Monatszeitschrift erschienen sind, behandeln dabei fünf Themenkomplexe: die ideologischen Hintergründe und politischen Ziele der russischen Aggression, die Bedeutung des Kriegs für das Selbstbild der Ukraine, die Reaktionen und Herausforderungen für den Westen, die verbliebenen Optionen für Dialog sowie die globalen Auswirkungen. Die versammelten Autor:innen aus Deutschland, der Ukraine, Russland und weiteren Ländern analysieren diese Themen aus vielfältigen, auch widerstreitenden Perspektiven und regen so zum intensiven Nachdenken über die radikal veränderte Wirklichkeit an. Mit lesenswerten Beiträgen u.a. von Étienne Balibar, Nicole Deitelhoff, Mischa Gabowitsch, Claus Leggewie, Herfried Münkler, Adam Tooze, Wolfgang Zellner, Serhij Zhadan und Tatiana Zhurzhenko.

Diesen Stimmen zuzuhören, sei all jenen empfohlen, die sich für die aktuelle Lage und mögliche Wege aus dem Krieg interessieren – ganz besonders aber auch jenen Alt-„Friedensbewegten“ und „Intellektuellen“, die hierzulande regelmäßig mit offenen Briefen von sich reden machen und bei ihren selten zu Ende gedachten Forderungen die ukrainischen und osteuropäischen Perspektiven gern ausblenden.

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@bertpsch

Kai Wegner kurbelt den Arbeitsmarkt an

Mit Wetten sollte man gerade auf Twitter sehr vorsichtig sein. Zeit-Journalist Robert Pausch orakelte nach der Wahl das CDU-Narrativ für Schwarz-Grün fast wörtlich voraus und versprach dann nach Reaktion vom Spiegel-Kollegen Jonas Schaible, dass er den Job wechseln würde, sollte es so kommen.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
Stakeholder der Woche

Münchner Sicherheitskonferenz (MSC)

Die Münchner Sicherheitskonferenz bietet jährlich eine Plattform für den Austausch über aktuelle außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen. Sie fungiert dabei als Zentrum der internationalen Diplomatie für hochrangige internationale Entscheidungsträger:innen und Expert:innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Medien. Vorsitzender ist aktuell der ehemalige Botschafter Christoph Heusgen.

Gregor Bauer

Jobs

Auf der Suche nach dem richtigen politjob?
Jobs aus dem Politikbetrieb auf politjobs.com oder in unserem wöchentlichen Newsletter.

Sie suchen selbst Verstärkung?
Schreiben Sie uns unter info@polisphere.eu für unverbindliche Preisinformationen. Hier finden Sie unsere Anzeigen-Pakete im Überblick.

Oder in den Talent Pool!
Tragen Sie sich direkt kostenlos in unseren Talent Pool ein! Dann melden wir uns, wenn wir einen passenden Job für Sie haben.

Events

Stets aktuelle Veranstaltungen aus dem Politikbereich finden Sie auf politcal.de.

Auf politcal.de können Sie Ihre eigenen Veranstaltungen jederzeit hochladen.
Probieren Sie es aus!

Das Redaktionsteam
20. Februar 2023