Verglühte Vergeltung

EDITORIAL: Verglühte Vergeltung

MELDUNGEN: Weizenbaum Report 2024 | Zuversichtsverlust der Mitte | Erfahrungen ehrenamtlicher Bürgermeister:innen | EU-Regionalförderung gegen Rechtspopulismus | “Bewährt vor Ort”-Siegel u.v.m.

WAHLTREND: Union & AfD verlieren, BSW bei 6 %

BUCH: Deutschland der Extreme. Wie Thüringen die Demokratie herausfordert

FUNDSTÜCK: Nicht die hellste Kerze

STAKEHOLDER: Forum Ziviler Friedensdienst

Liebe Leserin, lieber Leser,

es war keine Frage des Ob, sondern des Wann. Samstagnacht hat Iran diese Frage mit ca. 300 Drohnen und Raketen beantwortet, die das Mullah-Regime auf Israel abfeuerte. Der Angriff ist eine Vergeltung für das Bombardement eines iranischen Konsulats in Damaskus, bei dem mehrere hochrangige iranische Militärführer gestorben sind. Zum Vergleich: Bei der Reaktion auf die Tötung von General Soleimani Anfang 2020 durch die USA waren es gerade mal 15 bestätigte Raketen. Es war auch der erste direkte iranische und von Teheran offiziell bestätigte Angriff auf den Erzfeind. Bisher nutzte die islamische Republik eher seine Proxies wie die Hisbollah oder die Huthi für die Attacken.

Die Ziele lagen eher in der Peripherie, große Städte und zivile Infrastruktur waren nicht im Fokus. Iran ging es nicht um Wirkungstreffer, sondern um eine Machtdemonstration. Diese scheiterte jedoch kläglich: Laut WSJ-Berichten versagten 50 % der Raketen beim Start oder ohne Feindeinwirkung, bevor sie ihr Ziel erreichten. Der Rest wurde fast komplett von Israel und seinen Verbündeten abgefangen. Es gab keine Todesopfer, die Zahl der Verletzten beläuft sich laut ARD-Informationen auf 31.

  • Warum der Angriff des Iran ein strategischer Fehler ist, erklärt der Nahostexperte Daniel Gerlach bei n-tv im Video.
  • Wieso der Angriff auf das Konsulat in Damaskus hingegen eine israelische Fehleinschätzung gewesen sein könnte, beschreibt der Guardian.
  • Warum der iranische Angriff trotz der hohen Zahl an Geschossen eher zurückhaltend war, erklärt Sicherheitsexperte Carlo Masala im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
  • Dass Israel es schaffte, nach Eigenaussagen sage und schreibe 99 % der anfliegenden Flugkörper abzufangen, liegt auch am Iron Dome, den Deutschland ebenfalls demnächst erhalten wird. Wie das System funktioniert, hat der Tagesspiegel aufgeschrieben.
  • Das Land bekam dabei nicht nur von den USA, Großbritannien und Frankreich Unterstützung, sondern auch aus Jordanien. Zur Positionierung des arabischen Staates im Nahostkonflikt hat die taz ein Interview mit einem Experten der Universität von Jordanien geführt.
  • Die internationalen Reaktionen sind hier zusammengefasst. Olaf Scholz war zum Zeitpunkt des Angriffs im Flieger gen Peking und setzte sein Statement erst nach der Landung ab. Zu spät, wie u. a. Armin Laschet fand.
  • Welche Auswirkungen die neue Eskalationsstufe auf Scholz’ China-Reise und die Organisation der Krisendiplomatie hat, weiß das ZDF.
  • Auch Desinformation begleitete den Angriff: Iranische Staatsmedien blamierten sich mit einem chilenischem Waldbrand.

Iran betrachtet die Vergeltung nun als „abgeschlossen“. Viel hängt also davon ab, ob Israel nun von einem weiteren Gegenschlag absieht oder die nächste Eskalationsstufe zünden wird. Einen Überblick über die mögliche Weiterentwicklung des Konflikts bietet die Tagesschau. Wenn China nun noch Taiwan angreifen sollte, wäre das Drehbuch für den globalen Feuersturm perfektWarum die Angst vor dem Weltkrieg dennoch unbegründet ist, erklärt Eric Gujer in der NZZ.

Der Nahostkonflikt ist auch in Deutschland spürbar. Am Wochenende hat das der Palästina-Kongress in Berlin gezeigt. Unter den geladenen Gästen und Redner:innen waren auch Personen mit politischem Betätigungs- oder Einreiseverbot, z.B. der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Aus diesem Grund wurde der Kongress rund eine Stunde nach Beginn während eines Zoom-Auftritts des palästinensischen Autors Salman Abu Sitta aufgelöst und für den Rest des Wochenendes verboten. Das Vorgehen der Polizei und die Reaktionen aus der Politik fasst der taz-Redakteur Daniel Bax zusammen und sieht darin einen “Kampf um die Deutungshoheit”.

Ein Betätigungsverbot fordern viele auch für Björn Höcke. Dieser hatte am Donnerstag aber erstmal die Gelegenheit, sich im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl auf “Welt TV” mit CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt ein Rededuell zu liefern. Letzterer darf sich schon mal über einen Bekanntheitssprung freuen. Im Duell selbst gab es keine Gewinner, meint der MDR.

  • Aus Sicht von Martin Machowecz habe Voigt hingegen bewiesen, dass man gegen die AfD in solchen Formaten auch gewinnen kann, wie er bei der Zeit schreibt.
  • Auch Nikolaus Blome findet, dass Höcke zwar nicht entzaubert, aber doch auf den Boden der Tatsachen geholt wurde.
  • Stinklangweilig fand das Duell Benedikt Becker vom Stern, weiß aber, welche entscheidenden Vorlagen Voigt liegengelassen hat.
  • Warum WELT TV die Ausrichtung des Duells verantwortete und wie die Idee dafür entstand, wird hier erklärt.
  • Das Für und Wider solcher Bühnen für Rechtsextreme beleuchtet die Berliner Morgenpost.
  • Warum auch Thüringer Mettbrötchen Gegenstand einer hitzigen Diskussion waren und wie Ministerpräsident Ramelow darauf reagierte, fasst t-online zusammen.
  • Die politische Landschaft Thüringens war nicht nur im TV-Duell Thema, sondern ist es auch in unserem Buch der Woche (siehe unten).
  • Warum das Duell für Bundespolitiker:innen relevant war und welche Bedeutung es im Vorfeld der drei Landtagswahlen in Ostdeutschland einnimmt, analysiert Gabor Halasz für die Tagesschau.

Die AfD ist nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch auf  TikTok erfolgreich. Seit einer Woche will Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Account @TeamBundeskanzler dort die demokratische Gegenöffentlichkeit stärken. Und auch wenn Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman das für einen “Fehler” hält und Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine gewisse Inhaltsleere des Neuankömmlings auf ihrem eigenen Account kritisiert, kann der Start soweit als geglückt angesehen werden. 

  • Eine interaktive quantitative Kurzanalyse des neuen Accounts hat polisphere-Data & AI Experte Richard Schwenn mit unserem neuen TikTok-Analyzer verfasst.
  • Einen kurzen Überblick zu TikTok als politischem Kommunikationsmedium bietet unser Leitender Redakteur Benjamin Triebe beim Basecamp-Blog.
  • polisphere-Projektmanagerin und Desinformationsexpertin Hannah Schimmele spricht am Mittwoch zusammen mit Jan Schipmann (“Die da oben”) zu den Gefahren von Desinformation auf TikTok beim Wake Up! Jugendseminar im BASECAMP. Schulklassen können sich hier noch für den Livestream anmelden.

Olaf Scholz ist mit seinen 100.000 Followern schon ganz gut dabei. Pop-Milliardärin Taylor Swift liegt mit 25 Millionen in einer anderen Outreach-Galaxie. Einfluss hat sie jedoch auch auf Plenardebatten im Bundestag. Die CDU-Politikerin Ronja Kemmer kritisierte bereits im Februar den Digitalhaushalt mithilfe von Lyrics des US-Popstars. Darauf reagierte nun der Grünen-Abgeordnete Tobias Bacherle in ähnlicher Facon – sicherlich auch, um seinerseits entsprechenden TikTok-Content zu produzieren.

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

 

Aktuelle politjobs
Politticker
Vergabe des “Bewährt vor Ort”-Siegels

Neue Wege bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und Vorbilder für kommunale Innovationen: Dies zeichnet das “Bewährt vor Ort”-Siegel aus, das nun an sieben Lösungen vergeben wurde. Das Siegel soll kommunale und zivilgesellschaftliche Initiativen würdigen und wird seit diesem Jahr von Re:Form gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund vergeben. Zu den Ausgezeichneten des ersten Jahrgangs gehören die IQ-Arbeitsweise der Stadtverwaltung Karlsruhe, die Einbürgerungsstrategie des Landkreises Düren und die Kommunalen Entwicklungsbeiräte. Weiterhin…

EU-Regionalförderung gegen Rechtspopulismus

Welche Maßnahmen können den Aufstieg des Populismus wirksam stoppen? Auf diese Frage liefert das Kiel Institut für Weltwirtschaft eine neue Antwort: Regionalpolitische Maßnahmen der EU können dazu führen, dass die Unterstützung für populistische Parteien deutlich sinkt. Wird durch EU-Regionalpolitik in die Entwicklung rückständiger Regionen investiert, verringert sich anschließend der Stimmanteil für rechtspopulistische Parteien um durchschnittlich 15-20 %. Gleichzeitig lässt sich so das Vertrauen in demokratische Institutionen erhöhen und die Unzufriedenheit mit…

Erfahrungen ehrenamtlicher Bürgermeister:innen

50 % der ehrenamtlichen Bürgermeister:innen in Deutschland sind mit den Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit unzufrieden. Dabei wird besonders die Unterstützung durch die Landes- und Bundespolitik (88 %) sowie die finanzielle Situation der eigenen Gemeinde (63 %) als weniger gut bis schlecht beurteilt. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Umfrage der Körber-Stiftung, die auf Wünsche und Herausforderungen ehrenamtlicher Bürgermeister:innen eingeht. Als problematisch zeigen sich dabei vor allem die zunehmenden Sicherheitsrisiken für Kommunalpolitiker:innen: 40…

Zuversichtsverlust der Mitte

Die deutsche Gesellschaft verliert im Vergleich zu 2022 deutlich an Zukunftsoptimismus, ganz besonders die Bürger:innen der Mitte. Dies zeigt eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung basierend auf einer Online-Umfrage des SINUS-Instituts. Im Fokus stehen dabei die politischen Haltungen der beiden Milieus der gesellschaftlichen Mitte: des Nostalgisch-Bürgerlichen und des Adaptiv-Pragmatischen Milieus. Beide Gruppierungen zeigen überdurchschnittlich starke Zustimmungsverluste zu den Ampel-Parteien und gleichzeitig keinen nachhaltigen Gewinn für die Union. Die Autor:innen der Analyse konstatieren einen…

Weizenbaum Report 2024

Deutsche Bürger:innen setzten 2023 bei der Ausübung demokratischer Teilhabe zunehmend auf digitale Vernetzung und weniger auf traditionelle Partizipationsformen. Dies zeigt der Weizenbaum Report 2024, der die politische Partizipation in Deutschland analysiert und dafür jährlich rund 2.100 Personen hinsichtlich ihrer politischen Informationsbeschaffung und ihres politischen Engagements befragt. Neben Partizipationsformen waren auch Hass und Desinformation im Internet sowie KI-Nutzung Themen der Befragung: Rund ein Drittel der Befragten gab an, sich bei Konfrontation…

Wahltrend
Wahltrend politnews 15.04

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Martin Debes

Deutschland der Extreme

Durch die Debatte über das Voigt-Höcke-TV-Duell rückt erneut Thüringen in den Fokus der Öffentlichkeit, nachdem in den letzten Jahren bereits Hans-Georg Maaßens dortige Bundestagskandidatur und besonders die Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen für bundespolitische Schlagzeilen sorgte.
Über die Bedeutung des Bundeslands kann man im neuen Buch von Martin Debes viel lernen. Der Journalist und Regionalreporter des Jahres 2023 schildert die Geschichte Thüringens, inklusive historischer Parallelen zwischen den 1920er Jahren und heute. Vor allem aber analysiert Debes die heutige politische Landschaft von Bodo Ramelow bis zu Björn Höcke. Er erklärt, wieso ein möglicher Wahlsieg der AfD zum Härtetest für die ganze Bundesrepublik werden könnte und was der unentschiedene Kurs der CDU gegenüber der AfD damit zu tun hat.

Alle Buchempfehlungen finden Sie auch unter www.politbooks.de.

Social-Media-Fundstück der Woche

@polenz_r

Nicht die hellste Kerze

Der iranische Angriff auf Israel sorgte auch in den sozialen Medien für rege Aktivität. Julian Reichelt offenbarte dabei viel Pathos – und sehr wenig Kenntnis über die technischen Hintergründe solcher Angriffe, wie Ruprecht Polenz hier auf X/Twitter offenlegt.

Stakeholder der Woche

Forum Ziviler Friedensdienst

Das Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) gründete sich 1996 als Reaktion auf die Balkankriege und unterstützt seitdem Menschen, die Krieg und Gewalt erleben, auf dem Weg zum Frieden – momentan u.a. in Nahost und in der Ukraine. Dazu betreibt das forumZFD eine Akademie für Konflikttransformation, organisiert Kampagnen und Lobbyarbeit und betreibt Öffentlichkeitsarbeit für eine zivile Friedenspolitik. Das forumZFD hat seinen Sitz in Köln und wird vom Vorstandsvorsitzenden Alexander Mauz geleitet.

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15. April 2024