politnews – Todesflug PS752 und die Folgen

[ Mit Meldungen zu AfD-Klage gegen Verfassungsschutz, Gründen für Facebook-Flaute, Spott für TikTok-Influencerin, Außenpolitik-Trends 2020 und Behörden auf Social Media. ]

Der US-amerikanisch-iranische Konflikt ist vorerst zwar nicht zu einem Krieg eskaliert (warum das zu einem großen Teil auch das Verdienst des Schweizer Botschafters in Teheran ist, schildert die New York Times in einem Hintergrundbericht), am Mittwochmorgen um 6:18 Uhr Ortszeit forderte er dennoch indirekt viele Opfer. Flug PS752 der Ukraine International Airlines wurde 6 Minuten nach dem Start nahe des Teheraner Flughafens versehentlich von einer iranischen Flugabwehrrakete abgeschossen (BBC-Video mit Amateuraufnahmen des Unglücks). Der diensthabende Soldat hielt die Boeing 737 für einen herannahenden Marschflugkörper; wollte sich absichern, erreichte die Zentrale aber aufgrund eines ausgefallenen Kommunikationssystems nicht und musste nach Darstellung des Iran innerhalb von zehn Sekunden entscheiden, ob er Gegenmaßnahmen einleitet. Was er daraufhin tat und 176 Menschen das Leben kostete, darunter überwiegend IranerInnen und KanadierInnen iranischer Abstammung (Kanada hat eine relativ große iranische Diaspora) aber auch drei Deutsche. Warum der Luftraum trotz des akuten Konflikts nicht für die zivile Luftfahrt geschlossen wurde, bleibt eines der größten Rätsel dieser Nacht.

Vor mehr als 30 Jahren geschah eine ähnliche Katastrophe mit vertauschten Rollen: Ein US-amerikanischer Kreuzer schoss den Iran-Air-Flug IR655 während des ersten Golfkrieges über dem Persischen Golf ab, weil ein fehlerhaftes Raketenabwehrsystem ihn für ein Kampfflugzeug hielt. Damals starben 290 Menschen.

Nach tagelangen Dementis entschuldigte sich der iranische Präsident Rohani für “einen unverzeihlichen Fehler“. Ebenfalls auf Twitter veröffentlichte US-Präsident Trump seinen vermutlichen ersten Tweet auf Farsi und solidarisierte sich mit dem protestierenden iranischen Volk, dem er wenige Tage zuvor noch mit Auslöschung seiner Kulturstätten drohte.

Somit hat sich die Solidaritätswelle nach der Soleimani-Tötung im Handumdrehen in ein veritables innenpolitisches Problem für die iranische Führung gewandelt: Die Protestierenden sind nicht nur aufgebracht, weil das Regime drei Tage lang gelogen hat, sondern auch weil im Gegensatz zu den staatlichen Trauerbekundungen nach Soleimanis Tod von Anfang an relativ wenig Kondolenz für die Passagiere zu vernehmen war. Vor allem sehen sich die Regime-KritikerInnen nun wieder in der Offensive und lassen sich auch durch antiwestliche Propaganda nicht ablenken, wie ein Video einer Teheraner Demonstration verdeutlicht. Irans Bevölkerung, die mit ca. 82 Millionen ziemlich genau der deutschen entspricht, bleibt jedoch gespalten. Livia Gerster beschreibt in der FAZ die Dynamik und Komplexität der Protestbewegungen.

Aus verschiedenen Protestbewegungen entstanden vor 40 Jahren auch Die Grünen. Dreizehn Jahre später fusionierten diese dann mit dem ostdeutschen Bündnis 90. Beide Jahrestage wurden nun am Freitag in Berlin-Weißensee mit Parteiprominenz und Bundespräsident Steinmeier gefeiert. Aufmerken lies, dass SPD und Linkspartei hochrangig vor Ort vertreten waren, bekannte FDP– und UnionsvertreterInnen jedoch nicht gesichtet worden sind. Eingeladen wurden aber auch die schwarz-gelben Fraktions- und Parteispitzen, stellten die Grünen klar.

Der große Vorteil der Partei: Mit allen genannten Kräften sind Koalitionen nicht nur möglich, sondern werden auf Landesebene schon umgesetzt. Der Wille, nun auch auf Bundesebene zu regieren, strahlt den Grünen aus jeder Pore. Nebenbei wurde am Freitag auch der Generationenwechsel innerhalb der Partei deutlich. Welche weiteren Signale die Geburtstagsfeier der Grünen noch setzte, schreibt Jana Hensel auf ZEIT ONLINE, unter dem Titel “Die Grünen und die Macht” schaut die ARD in 45 Minuten (noch bis heute Abend in der Mediathek) auf die Geschichte der einstigen Anti-Establishment-Partei zurück.

Aber auch ganz konkrete Änderungen stehen in Aussicht: Tatsächlich gibt es ernsthafte Überlegungen, die Partei in “Bündnisgrüne” umzubenennen, um den sperrigen Namen Bündnis 90 / Die Grünen loszuwerden und das ostdeutsche Profil zu stärken.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff


politnews


  • Behörden-Rückzug aus den sozialen Medien? – Der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftrage Stefan Brink hat angekündigt, seinen Twitter-Account aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken zu löschen. Einige Bundesbehörden wie z. B. das BMJV wollen ihre Social-Media-Aktivitäten nun ebenfalls prüfen. Das Bundespresseamt twittert jedoch in jedem Fall weiter. Ursache für die Debatte sind die Intransparenz von Plattformen wie Facebook und Twitter und ungelöste Fragestellungen, die durch das Inkrafttreten der DSVGO aufgeworfen wurden. ➡️ Tagesspiegel (Artikel) | LfDI Baden-Württemberg (Stellungnahme auf Twitter)
  • AfD klagt gegen Verfassungsschutz – Die AfD will gerichtlich dagegen vorgehen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Junge Alternative und den sogenannten Flügel um Björn Höcke als Verdachtsfall führt. Verdachtsfälle stellen eine Vorstufe zur offizieller Beobachtung dar, von der Einstufung sind mit 8.000 Mitgliedern ca. ein Viertel der Partei betroffen. Die AfD argumentiert, dass der Flügel keine klar abgrenzbare Gruppe darstelle, auch die teils radikalen Aussagen und Kontakte zu verfassungsfeindlichen Gruppierungen werden nicht als problematisch angesehen. ➡️ Süddeutsche (Artikel)
  • TikTok-Influencerin “erklärt” NATO-Bündnisfall – Die 18-jährige Laura Sophie hat auf der Kurzvideo-Plattform TikTok einen Beitrag veröffentlicht, in dem sie ihren 2,2 Millionen FollowerInnen den Konflikt zwischen den USA und dem Iran erklären wollte. Der Clip enthielt jedoch so viele Ungenauigkeiten und irreführende Formulierungen, dass es herbe Kritik hagelte. Laura Sophie hat das Video inzwischen privat gestellt. Die Debatte, wie TikTok als insbesondere bei Kindern und Jugendlichen beliebtes Medium für politische Kommunikation zu nutzen ist, läuft aber weiter. Aufgrund der vielen beleidigenden und herabwürdigenden Nachrichten, die sie erhielt, will sich die junge Frau in Zukunft nur noch privat politisch äußern. ➡️ FAZ (Artikel) | Bento (Interview) | Original-Video
  • Was die europäische Außenpolitik 2020 bewegen wird – Welchen außenpolitischen Herausforderungen muss die EU sich in diesem Jahr stellen? Hierzu hat der Think Tank European Council on Foreign Relations zehn Vorhersagen getroffen, darunter die nicht unwahrscheinliche Wiederwahl Donald Trumps im November und die mögliche Teilnahme Wladimir Putins am G7-Gipfel im Juni. Außerdem werden sich die Spannungen zwischen China und den USA vermutlich verschärfen: Im Handelskrieg ist kein Ende in Sicht. ➡️ ECFR (Artikel)
  • Warum die Menschen Facebook den Rücken kehren – Der raue Ton bzw. zu persönliche, aggressive und negative Inhalte lässt die meisten Menschen von Facebook Abstand nehmen, so die Studie The Social Habit von Edison Research. Fast 60 % sind aber auch von zu vielen politischen Posts ermüdet, erst danach kommen Datenschutzbedenken. Immerhin knapp ein Drittel der User verlässt das Netzwerk weil zu viele Verwandte oder gar die Eltern auf der Plattform aktiv sind. ➡️ Edison Research (Studie)


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SPD gratuliert mit Haut und Haar

Trotz aller Rivalität: Die Grünen bekamen viele Geburtstagsglückwünsche von den politischen MitbewerberInnen. Während die CDU an die legendäre Pizza-Connection erinnerte, twitterte SPD-Vizekanzler, Finanzminister und knapp unterlegener Parteivorsitzkandidat Olaf Scholz ein Foto aus “Jugendtagen” vor 40 Jahren. Auf die leicht kecke Nachfrage eines Journalisten setzte sein Staatssekretär und langjähriger Vertrauter Wolfgang Schmidt aber noch einen drauf.

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13. Januar 2020