politnews – Gewissensfrage zur Organspende bewegt den Bundestag

[ Mit Meldungen zu Misstrauen in Donald Trump, Österreichs neuem Kabinett, Mitgliederzuwachs bei den Grünen, dem Reuters-Trendreport 2020 und dem Unwort des Jahres ]

Wenn im Bundestag die Fraktionsdisziplin aufgehoben wird, stehen Grundsatzentscheidungen ins Haus, denen meist bemerkenswerte Debatten vorausgehen. So auch am vergangenen Donnerstag bei der Abstimmung zur Neuregelung der Organspende, die zur sogenannten “Gewissensfrage” ernannt wurde.

Hintergrund: Die Situation für Menschen, die in Deutschland auf eine Organtransplantation angewiesen sind, ist kritisch: Auf ca. 9.000 PatientInnen, die auf ein neues Organ warten, kommen nur ca 1.000 SpenderInnen pro Jahr. Alle acht Stunden stirbt ein/e PatientIn aufgrund fehlender Organe. Die Spenderquote liegt bei 11,5 SpenderInnen pro eine Million EinwohnerInnen (zum Vergleich EU-Spitzenreiter Spanien mit 48). Welche Regelungen in anderen EU-Staaten gelten und warum Deutschland hier eine Sonderrolle einnimmt, hat das ZDF verglichen. Die am dringendsten benötigten Organe hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation in einer Infografik dargestellt.

Zwar war es das erklärte Ziel aller, quer durch die Fraktionen verlaufenden, Lager die Zahl der Organspenden zu erhöhen, über den richtigen Ansatz gab es aber Dissens: Die “doppelte Widerspruchslösung” von Gesundheitsminister Jens Spahn und u. a. SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, die alle zu potenziell Spendenden macht bis auf Widerspruch, ist mit 379 Nein-Stimmen zu 292 Ja-Stimmen und 3 Enthaltungen gescheitert. Am Ende setzte sich die moderatere “erweiterte Zustimmungslösung” mit 432 Zustimmungen zu 200 Ablehnungen (37 Enthaltungen) durch, die u. a. von Annalena Baerbock, Katja Kipping und Spahn-Vorgänger und Parteifreund Hermann Gröhe vorangetrieben wurde. Das Ergebnis: SpenderInnen müssen weiterhin ausdrücklich zustimmen. “Erweitert” wird die bisher geltende Zustimmungslösung durch ein Onlineregister und eine systematisierte Abfrage bei der Personalausweis-Beantragung. Ein Pro und Contra zur Entscheidung im Münchner Merkur.

Welche Abgeordnete in den drei namentlichen Abstimmungen für welchen Vorschlag gestimmt haben, hat das ZDF-Parlameter dokumentiert, den dreistündigen Live-Mitschnitt der Plenardebatte gibt es hier.

Jens Spahn fiel in der entscheidenden Sitzung mit einem ungewöhnlichen Zeichen auf: Statt auf der Kabinettsbank, nahm der Gesundheitsminister auf seinem Abgeordneten-Sessel im Plenum Platz. BundesministerInnen verbleiben aber üblicherweise auf der MinisterInnenbank links des Rednerpults. Es wird vermutet, dass Spahn damit die offene Debatte auf Augenhöhe betonen und seine ministeriale Autorität in den Hintergrund rücken wollte. Geholfen hat es ihm nicht.

Die Abstimmung steht damit in der Tradition den wegweisenden Gewissensfragen zu der “Ehe für alle”, Schwangerschaftsabbrüchen, der Verjährungsfrist von NS-Verbrechen oder dem Umgang mit Sterbehilfe und Präimplantationsdiagnostik. Aber auch der Regierungsumzug nach Berlin wurde ohne Fraktionszwang beschlossen. Einige dieser Plenardebatten gelten zu Recht als “Sternstunden der Demokratie”. Süddeutsche-Parlamentsredakteur Robert Roßmann beschreibt am Beispiel der Entscheidung zum Afghanistan-Einsatz bzw. der Vertrauensfrage von Gerhard Schröder, wie FraktionsabweichlerInnen bei kritischen Fragen bearbeitet werden.

Abseits der leidenschaftlichen Debatte ereignete sich am Donnerstag ein kurzer Moment der demokratischen Solidarität im Bundestag: Bundeskanzlerin Angela Merkel ging im hinteren Bereich des Plenarsaals auf Karamba Diaby (SPD) zu und sprach ihm nach dem Anschlag auf sein Wahlkreisbüro in Halle Mut und Unterstützung zu (Szene im Bild).

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff


politnews


  • “Klimahysterie” ist Unwort des Jahres 2019 – Die Jury der sprachkritischen Aktion hat den Begriff “Klimahysterie” zum Unwort des Jahres 2019 gewählt. Ihrer Pressemitteilung zufolge verwenden insbesondere AfD und FAZ das Wort, um Klimaschutzbemühungen und sachliche Debatten zum Thema zu diffamieren. Als weitere Unwörter wurden “Umvolkung” und “Ethikmauer” gelistet. Die Jury besteht seit 2011 aus fünf ständigen Mitgliedern, jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Kabarettist Urban Priol. Das “Unwort des Jahres” ist seit jeher ein Indikator für Aktualität und Framing von politischen Debatten. ➡️ WELT (Artikel) | Unwort des Jahres (Pressemitteilung) | Deutsche Welle (Liste der Unworte des Jahres seit 1991)
  • Deutsche misstrauen Trump am meisten – Nur 13 % der Deutschen haben Vertrauen in die internationale Politik Donald Trumps – weniger als in allen anderen EU-Staaten. Noch weniger Vertrauen genießt der US-Präsident nur in Mexiko (8 %). Auch international schneidet Trump schlecht ab und kommt auf einen Zustimmungswert von 29 % (Median der befragten Länder). Zum Vergleich: 46 % trauen Merkel eine Führungsrolle zu, bei Frankreichs Präsident Macron sind es 41 %, fand eine Umfrage des Pew Research Center heraus. ➡️ WELT (Artikel) | Pew Research Center (Report)
  • Grüne gewinnen Mitglieder, SPD und CDU verlieren – Die Grünen gewinnen mit Abstand die meisten Neumitglieder, in zwei Jahren konnte die Partei ihre Mitgliederzahlen um rund 50 % auf ca. 95.000 erhöhen. CSU, FDP und AfD können leichte Mitgliederzuwächse verzeichnen. Abwärts ging es hingegen bei den Regierungsparteien: So verlor die SPD in einem Jahr rund 18.500 (Stand Ende 2019: 419.340), die CDU 9.000 Mitglieder (407.347). Auch bei der Linken zeichnet sich ein Mitgliederrückgang ab. ➡️ Süddeutsche (Artikel)
  • Sebastian Kurz wieder jüngster Regierungschef – Nach seiner erneuten Vereidigung zum österreichischen Bundeskanzler mit türkis-grüner Regierung ist Sebastian Kurz mit 33 Jahren wieder das weltweit jüngste Regierungsoberhaupt. Kurzzeitig hatte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin (34) diesen Titel inne. Auch Kurz’ türkis-grünes Kabinett ist so jung und weiblich wie noch nie: Erstmals besetzen mehr Frauen als Männer die MinisterInnenposten. ➡️ SPIEGEL ONLINE (Hintergrund zum neuen Kabinett) | Statista (Ranking der RegierungschefInnen)
  • Was 2020 für den Journalismus bereithalten wird – Die Universität Oxford und das Reuters Institute haben ihren jährlichen Report “Journalism, Media and Technology Trends and Predicitions” veröffentlicht und hierzu 233 MeinungsführerInnen der globalen Medienbranche befragt. Das Ergebnis ist ambivalent: Während 73 % optimistisch in die Zukunft ihrer Organisationen blicken, ist das Vertrauen in Journalismus im Allgemeinen niedrig. Es herrsche zwar große Besorgnis über den zunehmenden politischen Druck auf Redaktionen, doch steige gleichzeitig der Wille, das Nachrichtengeschäft der Zukunft zu gestalten. Eine weitere Herausforderung könnte im Generationenwechsel und der damit einhergehenden Wertediskrepanzen liegen. ➡️ Meedia (Artikel) | Reuters Institute (Report)


polittweet


Russische Botschaft gibt Geschichtsnachhilfe

Botschaften halten sich gemeinhin in der öffentlichen Kommentierung der politischen Debatten im Gastland zurück. Als AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel aber mit einem Tweet die Rolle der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg einseitig und geschichtsvergessen darstellte, wurde es der Social-Media-Abteilung der russischen Botschaft Unter den Linden zu bunt. Weidel löschte mittlerweile ihren Ursprungstweet.

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Wahlkreisbüro Christoph de Vries MdB sucht Leitung (m/w/d)
Hamburg | Bewerbungsfrist: 31.01.2020 | Arbeitsbeginn: März 2020 | Teilzeit

Das Wahlkreisbüro von Christoph de Vries MdB sucht ab März 2020 eine leitende Mitarbeiterin / einen leitenden Mitarbeiter als Unterstützung für seine Abgeordnetentätigkeit im Wahlkreis. Die 20 Stunden umfassende Stelle bietet einen spannenden Einblick in das bundespolitische Geschehen und die Arbeitsstrukturen des Deutschen Bundestags und ist befristet bis zum Ende der 19. Wahlperiode. Die Position beinhaltet neben der Organisation und und Koordinierung des Büros unter anderem die Betreuung von Social-Media-Kanälen und Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsplanung und die Bearbeitung von Bürgeranliegen.

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Deutsche Stiftung Organtransplantation
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie ist die nach dem Transplantationsgesetz beauftragte Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende in Deutschland.

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20. Januar 2020