politnews – Zerreißprobe für die USA nach dem Tod von George Floyd

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Polizeigewalt gegen Schwarze gehört in den USA zur traurigen Tagesordnung, ebenso wie die Proteste dagegen. Der Tod des 46-jährigen George Floyd in Minneapolis in der letzten Woche hat die USA nun aber in die schwersten Unruhen seit Jahrzehnten gestürzt – und das inmitten der Corona-Pandemie, die in den USA mittlerweile weit über 100.000 Todesopfer forderte. Die New York Times rekonstruiert die tragischen 9 Minuten der Festnahme in einem Video. Der Haupttäter und das Opfer kannten sich sogar aus einem Nachtclub, in dem sie vor Jahren zusammen gearbeitet haben. Landesweit gehen seitdem Zehntausende auf die Straße und protestieren gegen Polizeigewalt und Rassismus. Wie unterschiedlich schwarze und weiße PolizistInnen rassistische Gewalt im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wahrnehmen, hat das Pew Research Institute in einer Erhebung aus dem Jahr 2016 ermittelt. Es gab jedoch auch Momente der Solidarität zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen, wie eine Twitter-Userin zusammengetragen hat.

Neben teilweise extremer Härte gegen die Protestierenden, unter die sich jedoch auch Plündernde gemischt haben, hat insbesondere das Vorgehen gegen die freie Presse für einen Aufschrei gesorgt. So wurden der CNN-Reporter Omar Jimenez und sein Team wurde vor laufender Kamera festgenommen, auch die Deutsche Welle geriet in das Visier der Polizei. Nick Waters vom Bellingcat-Netzwerk listet die Angriffe gegen JournalistInnen in einem Thread auf. Der US Press Freedom Tracker hat bereits mehr als 100 Beschwerden aus den letzten Tagen gezählt. Zum Vergleich: Das sind fast genauso viele wie in den letzten drei Jahren zusammen. US-Präsident Trump greift JournalistInnen und Medien seit Jahren massiv an, bezichtigt sie der Lüge und Verschwörung und bereitete damit auch den Boden für ein feindliches Klima gegenüber PressevertreterInnen. Meist nutzt er dafür seinen Twitter-Account mit mehr als 80 Millionen Followern, durch den er selbst Öffentlichkeit herstellt, ohne auf Berichterstattung angewiesen zu sein.

Äußerungen des US-Präsidenten auf seinem Lieblingsnetzwerk standen auch in der letzten Woche im Blickpunkt. Schon vor der Tötung von George Floyd ging Twitter auf Konfrontationskurs zu Trump, in dem es Tweets zu angeblichen Wahlfälschungen bei Briefwahlen mit einem Factchecking-Label markierte. Als Trump den Demonstrierenden offen drohte “When the looting [Plündern] starts, the shooting starts”, blockierte Twitter diesen Post sogar. Trump will sich nun mit einem Dekret gegen die Plattformen wehren und die sogenannte Section 230 des “Communications Decency Act” ändern. Vergleichbar mit der Haftungsregelung im deutschen Telemediengesetz bestimmt Section 230, dass Plattformen als private Unternehmen für illegale Inhalte nicht verantwortlich sind und Inhalte moderieren oder löschen dürfen – trotz des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Facebook hingegen blieb bei seiner Linie, solche Inhalte nicht zu regulieren. Trumps Dekret hat jedoch wenig Aussicht auf Erfolg und wird vielmehr als Schaffung eines Nebenkriegsschauplatzes gesehen, mit denen er von den Folgen des Coronavirus und den momentanen Unruhen ablenken will.

Die Lage in den USA, die teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände angenommen hat, fasst der SPIEGEL im Liveticker zusammen. Insbesondere die Drohung Trumps, das Militär gegen die DemonstrantInnen einzusetzen hat dabei für Entsetzen gesorgt. Selbst das britische Außenministerium äußerte sich in einem Duktus, den es sonst nur bei Krisenstaaten verwendet. Warum die tief gespaltene amerikanische Gesellschaft an den Protesten auseinanderbrechen kann, erklärt die Politologin Christina Greer auf ZEIT ONLINE.

Gegen den Aufschrei gegen (strukturellen) Rassismus nimmt sich der Eklat zwischen Christian Drosten und der BILD-Zeitung (Tweet des Anstoßes) schon wie eine Seitennotiz aus. Dennoch: Die Art und Weise, wie BILD und der Virologe aneinander geraten sind und der ungewohnt starke Gegenwind, dem sich das auflagenstärkste Boulevardblatt Deutschlands gegenüber sah, verdient einen näheren Blick. Reichelts “aggressiver Kampagnenjournalismus” hat bereits vor Wochen Herausgeberin Friede Springer auf den Plan gerufen, die sich über das Gebaren des Chefredakteurs beschwert haben soll.

Auch Nannen-Preisträger Rezo stieß die Attacke übel auf. In seinem neuen “Zerstörungsvideo” geht er vor allem mit den Blättern des Springer-Hauses und der FAZ hart ins Gericht. Obwohl er dem einstündigen und mit zahlreichen Quellen hinterlegten Werk den Titel “Zerstörung der Presse” gab, möchte er es nicht als solche verstanden wissen, sondern als Plädoyer für guten Journalismus und konstruktive Auseinandersetzung mit dessen Methoden und Funktionsweisen (Analyse des RND). Julian Reichelt verstand das freilich anders und reagierte prompt mit einem aufgebrachten Twitter-Thread, nachdem er auf der gleichen Plattform ein paar Tage zuvor vom Postillon in bester Manier getrollt wurde.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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2. Juni 2020