politnews – Die „Sparsamen Vier“ gegen Hamilton ­­­

[ Mit Meldungen zu: sinkende Zustimmung für europäische Regierungen, steigende Beliebtheit Chinas, Corona-Bewältigungsstrategien, Schröders Podcast und Wagenknechts Kolumne & Verbraucherschutz bei Benutzeroberflächen ]

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Die direkten Auswirkungen des Coronavirus treten langsam in den Hintergrund, Thüringen und Sachsen planen sogar schon das Ende der Schutzmaßnahmen – selbst wenn neu aufkeimende Infektionsherde wie jüngst in Ostfriesland und Frankfurt klarmachen, dass die Gefahr alles andere als gebannt ist. Das hat auch mit dem Umstand zu tun, dass das Leid der Corona-Pandemie trotz der mittlerweile 320.000 Toten weltweit weitgehend gesichtslos bleibt. Lenz Jacobsen erklärt auf Zeit Online, warum ein Mangel an Bildern den Kampf gegen das Virus erschwert.

Der Blick richtet sich nun auf das wirtschaftliche Trümmerfeld, das der Erreger in Europa und der ganzen Welt hinterlassen hat. Während Südamerika das neue Pandemie-Zentrum ist, die USA noch mit hohen Fallzahlen zu kämpfen haben und China in vielen Bereichen schon wieder zu einer Art neuen Normalität gefunden hat, sucht Europa nach dem bisherigen Höhepunkt des Infektionsgeschehens nach Lösungen für die Zeit danach.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Frage, wie schnell sich die Wirtschaft nach dem Einbruch wieder erholt. Mark Schieritz rechnet vor, wie Zinsen und Wachstum den Schuldenstand beeinflussen und warum die ökonomische Entwicklung in Deutschland bald wie das Logo eines bekannten Sportartikelherstellers aussehen könnte. Während die Krise hierzulande eine Rezession auf hohem Niveau auslösen wird (mit 2,2 % rutschte das BIP im ersten Quartal so stark ab wie zuletzt 2009), prognostiziert der Economist für Länder des globalen Südens den Rückfall breiter Bevölkerungsschichten in tiefe Armut. Nachdem der Anteil von in extremer Armut lebenden Menschen in den letzten Jahren auf 8 % der Weltbevölkerung gefallen ist, steigt dieser nun wieder drastisch an.

Der deutsch-französische Vorschlag für einen europäischen Wiederaufbaufonds von Emmanuel Macron und Angela Merkel in Höhe von 500 Milliarden Euro wird daran zwar nicht viel ändern, dennoch ist er ein europapolitischer Meilenstein. Die verbrannten Labels der „Euro-“ oder „Coronabonds“ werden vermieden und die Einmaligkeit aufgrund der Ausnahmesituation betont. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sich Berlin auf neues fiskalisches Terrain bewegt. Bisher war die Übernahme solcher Haftungen tabu. Die Funktionsweise des Programms in Kurzform: Die EU-Kommission soll Anleihen ausgeben. Die in Schieflage geratenen Mitgliedsstaaten erhalten das Geld als nicht rückzahlbare Zuwendungen u.a. unter Reformauflagen und haften dafür in Höhe ihres Beitrags zum EU-Haushalt. Fast noch überraschender ist, dass die Initiative sowohl unionsintern (SPD und Grüne standen der Idee eh offen gegenüber) als auch in der Bevölkerung gut ankommt. Das liegt auch an Macron, der den Gegensatz zwischen den hart getroffenen Südstaaten Italien und Spanien und der deutschen Angst vor Schuldenvergemeinschaftung gut moderiert hat. In der Welt (Paywall) rekonstruiert Robin Alexander diese Abstimmungen zwischen Élysée-Palast und Bundeskanzleramt aus deutscher Sicht, in der FAZ (Paywall) schaut Michaela Wiegel auf die französische Seite.

Der Schulterschluss zwischen Berlin und Paris ist auch eine späte Antwort auf den 2017 in der Sorbonne-Rede vorgetragenen Reformkatalog Macrons. Die vielleicht größte Krise in der Geschichte der Europäische Union könnte ihre Integration vorantreiben. Diese Chance sieht auch SPD-Finanzminister Olaf Scholz. Der Vizekanzler, der gemeinhin nicht für sein überschwängliches Pathos bekannt ist, verglich die deutsch-französische Einigung mit der Lösung des US-amerikanischen Schuldenproblems von 1790. Damals hatte der amerikanische Finanzminister Alexander Hamilton angesichts des drohenden Bankrotts von vier US-Bundesstaaten deren Schulden vergemeinschaftet und sie dem Washingtoner Bundeshaushalt aufgebürdet. Warum das aber für Europa auch nach hinten losgehen kann, beschreibt die FAZ (Paywall). Die Staatssekretäre Gatzer und Kukies, die für Scholz im Finanzministerium die Coronakrise managen, stellt die Augsburger Allgemeine in einem Porträt vor.

Wie weit es der deutsch-französische Vorschlag bringen wird, ist derzeit noch nicht zu sagen. Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden arbeiten bereits an einem Gegenentwurf (Zusammenfassung des Handelsblatts und Link zum Original-Non-Paper der RegierungschefInnen), der die Hilfen bei zeitlich befristeten Krediten (statt Zuschüssen) belassen will. Die selbsternannten „Sparsamen Vier“ treibt die Angst vor der „Schuldenunion durch die Hintertür“ um. Das Echo aus Deutschland, Frankreich und Italien war erwartbar klar: Eine „einzige Provokation“ (Norbert Röttgen), ein „verlogener Schwarzfahrer-Vorschlag“ (Franziska Brandtner). Der Gegenentwurf stehe „im krassen Gegensatz zur Mehrheit der europäischen Regierungen, der Kommission und des Europäischen Parlaments“, sagte Nicola Zingaretti, Chef der italienischen PD. Daniel Brössler kommentiert in der Süddeutschen, warum der Vorschlag an der Realität vorbeigeht und überschuldeten Staaten eines sicher nicht hilft: neue Schulden.

Für die schlussendliche Lösung wird auch der Vorschlag der Kommission, der für Mittwoch erwartet wird, maßgeblich sein. Wie auch immer das Ergebnis am Ende aussehen wird: Der Vorstoß könnte ein Türöffner für die nächsten Ausbaustufen der EU sein. Denn – und auch dies hat man in dieser Klarheit bisher nicht von der Kanzlerin gehört – „der Nationalstaat alleine hat keine Zukunft.“ Auch nicht am Finanzmarkt.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

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  • [ Manipulation durch Designs von Benutzeroberflächen ] Ein Klick auf „alle Cookies akzeptieren”, schon fließen personenbezogene Daten zu unbekannten Brokern. Die Stiftung Neue Verantwortung hat die Tricksereien im Design von Benutzeroberflächen analysiert. Sogenannte „Dark Patterns” können Datenschutzgesetze in der Praxis wirkungslos machen. EntscheidungsträgerInnenScho sollten deshalb den Einsatz schwerer Formen von Dark Patterns sanktionieren, so die AutorInnen. ➡️ Stiftung Neue Verantwortung (Policy Brief)


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25. Mai 2020