politnews Sommeredition – Scholz, Teuteberg und die Berliner SPD

[ Mit Meldungen zu: Systemrelevanz von Facebook, Corona-Einschränkungen für deutsche US-Wahlberichterstattung, härtere Strafen für verdeckten Wahlkampf ]

Sie haben KollegInnen, FreundInnen oder Bekannte, die sich für unseren politnews-Newsletter interessieren könnten? Leiten Sie unseren Anmeldelink gerne weiter.

Die Entscheidung war keine Überraschung, der frühe Zeitpunkt schon: Noch vorletzte Woche kündigte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Bekanntgabe des SPD-Kanzlerkandidaten für den Spätsommer an. Am Montag vor einer Woche platzte die Eilmeldung aus dem Willy-Brandt-Haus ins Sommerloch: Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat der SPD und soll die GenossInnen in den Bundestagswahlkampf 2021 und zurück in das Kanzleramt führen. Ambitioniert: Seit 2005 ist die SPD bei Bundestagswahlen nicht mehr über 30 Prozent gekommen. Die ersten Umfragen sehen die SozialdemokratInnen leicht im Plus, teilweise sogar wieder als zweitstärkste Kraft vor den Grünen. Ein fast schon vergessener Anblick.

Dass Scholz Kanzlerformat hat, bestreiten nicht mal seine innerparteilichen KritikerInnen aus der Parteilinken. In der Bevölkerung liegt er in der Amtspräferenz an zweiter Stelle hinter Markus Söder. Genau dieser Personen-Bonus könnte im nächsten Jahr noch stärker zum Tragen kommen als gewöhnlich, denn zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird der bzw. die amtierende KanzlerIn nicht zur Wiederwahl antreten. Der fehlende Amtsbonus kann das Rennen also offener gestalten, als die Umfragen derzeit suggerieren mögen.

Mit Scholz werden auch die machtarithmetischen Szenarien zumindest etwas klarer. Eine Fortsetzung der ungeliebten Großen Koalition soll es unter keinen Umständen geben. Aber was eigentlich sonst? Viele realistische Machtoptionen hat die SPD nicht, von einer rot-grünen oder grün-roten Mehrheit wagen derzeit nicht mal kühnste OptimistInnen zu träumen. Also muss ein Dreier-Bündnis her. Aber wie viel Rot-Rot-Grün ist mit dem eher konservativen Scholz möglich? Der Sprecher der linksorientierten SPD-Denkfabrik Lars Castellucci gibt sich im SPIEGEL-Interview optimistisch. Linke-Chef Bernd Riexinger verlangt von Scholz im Gespräch mit der Welt aber viel Entgegenkommen. Auch die Ampel-Koalition im Bund bekommt durch die Scholz-Kandidatur neuen Auftrieb. Für die Liberalen ist Scholz mit Abstand nicht so ein rotes Tuch wie seine derzeitigen Parteivorsitzenden. Paul Starzmann hat sich für den Tagesspiegel in der FDP umgehört.

Die hat aber seit gestern ganz andere Themen: Nach nicht mal 1,5 Jahren wurde Generalsekretärin Linda Teuteberg von Parteichef Christian Linder ausgetauscht. Volker Wissing, Vize-Ministerpräsident aus Rheinland-Pfalz, wo er mit SPD und Grünen regiert, soll ihr folgen. Der kürzlich öffentlichkeitswirksam aus der SPD ausgetretene Harald Christ folgt Hermann Otto Solms als Schatzmeister, Bettina Stark-Watzinger aus Hessen rückt ins Präsidium auf. Neben dem Dauer-Umfragetief wird sich Christian Lindner beim kommenden Parteitag am 19. September also auch für die nach wie vor männlich dominierte Führungsriege der Partei erklären müssen. Jasper von Altenbockum kommentiert in der FAZ die Demission von “Lindners Sündenbock”.

Auch bei den Berliner GenossInnen sorgt die Bundestagswahl für reichlich Gesprächsstoff. Der ehemalige Kulturstaatssekretär Tim Renner tritt in Neukölln an, nachdem er vor vier Jahren knapp in Charlottenburg gescheitert ist. An den neuen Arbeitsort muss sich Renner erst noch gewöhnen: Im Ankündigungstweet war sein Wahlkreis noch falsch geschrieben.

Zu einem interessanten Duell kommt es in Charlottenburg-Wilmersdorf: Staatssekretärin Sawsan Chebli wird gegen ihren Chef und Regierenden Bürgermeister Michael Müller antreten. Der ist ausgewichen, nachdem Kevin Kühnert angekündigt hat, den Juso-Vorsitz aufzugeben und in Tempelhof-Schöneberg zu kandidieren. Das Risiko, gegen den Jungstar zu verlieren, war Müller zu groß. Gegen Chebli werden ihm weitaus bessere Chancen eingeräumt. Doch sicher ist sein Sieg auch etwas weiter westlich nicht. Zumal es noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor gibt: Sollte es im Zuge der Wahlrechtsreform doch noch zu einer Reduzierung der Wahlkreise kommen, würde es in Berlin wohl am ehesten Charlottenburg-Wilmersdorf treffen. Müller will sich also auch über die Liste absichern und hat bereits Anspruch auf den sicheren ersten Platz erhoben. Den proklamiert allerdings auch Kühnert für sich.

Müller hat auch schon Pläne für seine Zeit in der Bundespolitik: Ein Ministeramt soll es werden, am besten für Bau oder Wissenschaft, ließ Müller selbstbewusst im Bild-Interview wissen. Nicht wenige irritierte diese frühzeitige Postenträumerei. Nicht nur, weil gelungene Bauprojekte in den letzten Jahren ein Aushängeschild Berliner Landespolitik waren.

Der Politikbetrieb erwacht also langsam aus der Sommerpause und ab dem 31. August gibt es auch die politnews – hier können Sie sich anmelden – wieder im wöchentlichen Rhythmus. 

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

Sie suchen Verstärkung? Auf politjobs.de helfen wir Ihnen bei der Personalsuche.
Schreiben Sie uns einfach unter politjobs@polisphere.eu.

politnews


  • [ Facebook ist systemrelevant ]
    Wenn Facebook ausfallen würde, müsste der Staat das Unternehmen und seine Infrastruktur retten, meinen ForscherInnen der Universität Oxford. Ob Online-Handel, Unternehmensseiten, soziale Beziehungen, Speicherung von Daten oder Nachrichten – Die Online-Plattform ist mit fast jedem Lebensaspekt der weltweit fast 1,9 Milliarden NutzerInnen verbunden. Besonders Entwicklungsländer sind abhängig, da Facebook als private Plattform das Internet quasi ersetzt hat. Bestehende politische Rahmenbedingungen seien jedoch nicht auf einen Ausfall Facebooks vorbereitet, kritisiert die Studie. ➡️ DER SPIEGEL (Meldung) | Internet Policy Review (Studie)
  • [ Probleme für deutsche Medien im US-Vorwahlkampf ]
    Aufgrund der Einreisebeschränkungen wegen des Coronavirus müssen auch deutsche Medien ihre Pläne zur US-Wahlkampfberichterstattung ändern. Viele JournalistInnen und Produktionsteams werden wohl nicht einreisen können, so ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Insbesondere die Arbeit außerhalb der Metropolregionen sei gefährdet. Für den Wahlkampf stocken deutsche Medien die Belegschaften vor Ort gewöhnlich auf. ➡️ kress.de (Meldung) | turi2 (Meldung zu Peter Frey)
  • [ Bundestag verschärft Strafen für verdeckten Wahlkampf ]
    MitarbeiterInnen von Bundestagsabgeordneten sollen diese in ihrer parlamentarischen Arbeit unterstützen – und nur da. Der Einsatz im Wahlkampf ist nicht erlaubt. Schon im Jahr 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die bisherigen Regelungen zur Unterbindung dieser Fälle aber unzureichend sind. Nun wird ein Entwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes diskutiert, der bei Verstößen bis zu 60.000 € Ordnungsgeld vorsieht. ➡️ Süddeutsche (Bericht)


polittweet


Seitenwechsel in Minsk

Alexander Lukashenka ist Präsident von Weißrussland und gilt als „letzter Diktator Europas“. Nach der letzten Wahl, bei der der Regierung massive Wahlfälschung vorgeworfen wird, gibt es Massenproteste im ganzen Land. Auch die Unterstützung bei Staatsbediensteten und Sicherheitskräften bröckelt, wie diese PolizistInnen in der Hauptstadt Minsk beweisen.

Sie möchten Ihr digitales Format in unseren politnews bewerben? Dann schreiben Sie uns einfach an berlin@polisphere.eu für weitere Informationen.

bitkom sucht ReferentIn (m/w/d) Public Affairs mit dem Schwerpunkt Bildungspolitik
Berlin | Bewerbungsfrist: laufend | Arbeitsbeginn: ab sofort | Vollzeit

Du möchtest die digitale Transformation in Deutschland vorantreiben? Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Politik und öffentlichem Sektor fasziniert dich? Du bist begeistert von den Möglichkeiten, die innovative Digitallösungen für den Bildungsbereich bieten und brennst dafür, das deutsche Bildungswesen endlich digitaler zu machen? Dann komm in unser Team!

Kein passender Job dabei? Besuchen Sie politjobs.de für weitere Stellenanzeigen.
Sie suchen selbst Verstärkung? Wir helfen Ihnen bei der Personalsuche!
Schreiben Sie uns einfach unter politjobs@polisphere.eu.

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
Mit 57 Teilnehmerstaaten in Nordamerika, Europa und Asien ist die OSZE – die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation. Die OSZE setzt sich durch politischen Dialog über gemeinsame Werte und durch nachhaltige praktische Arbeit dafür ein, dass mehr als eine Milliarde Menschen in den Genuss von Stabilität, Frieden und Demokratie kommen.

politdir.de ist der Wegweiser durch die Berliner Republik. Sollen wir als nächstes an dieser Stelle Ihre Organisation vorstellen? Sie erreichen uns unter politdir@polisphere.eu.

18. August 2020