politnews – Abschied vom 19. Bundestag

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Kurz vor der Sommerpause stellte der Bundestag noch einen neuen Rekord auf: Die bisher längste Plenarsitzung der Legislatur dauerte von Donnerstagmorgen um 9 Uhr bis Freitagmorgen um 2:30 Uhr. Christine Dankbar berichtet aus der 17-stündigen Rekordsitzung mit vielen kleinen melancholischen Momenten und nächtlichen Auseinandersetzungen über Gendersprache zwischen Philipp Amthor (CDU) und der AfD. Dass die abschließende Sitzungswoche vor der Sommerpause besonders betriebsam ist, ist eine Konstante des Berliner Politikbetriebs. Diesmal war sie aber auch gleichzeitig die letzte reguläre der ganzen 19. Legislaturperiode und somit auch die finale Möglichkeit, Gesetzesvorhaben noch vor der Wahl durchzubringen. Dementsprechend voll waren die Tagesordnungen. Was alles zu Mietspiegeln, Stalking und Vertragslaufzeiten beschlossen wurde, fasst der SPIEGEL zusammen.

Angela Merkel absolvierte bereits am Mittwoch ihre letzte Regierungsbefragung (Zusammenfassung des Merkurs). Auf die Frage, ob sie denn erleichtert sei, das Amt bald abzugeben, antwortete sie zuvor in der Bundespressekonferenz, dass sich das Gefühl der „angespannten Aufmerksamkeit nicht vom fünften Tag meiner Amtsausübung“ unterscheide. Die Bundeskanzlerin wird zwar nicht wieder zur Wahl antreten, dennoch könnte es sein, dass sie noch einen weiteren Meilenstein der Politikgeschichte für sich markieren wird: Sollte sie bis zum 17. Dezember diesen Jahres geschäftsführend im Amt bleiben, weil eine Nachfolgeregierung noch nicht gebildet wurde, würde sie den Amtszeitrekord ihres einstigen Förderers Helmut Kohl brechen. Dieser war zwischen 1982 und 1998 ganze 5.869 Tage im Amt. 

Auch eine andere CDU-Institution könnte bald Historisches vermelden: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kandidiert erneut und könnte dann ein halbes Jahrhundert im Bundestag vollenden. Schäuble zog 1972 als 30-Jähriger in den Bonner Bundestag ein.

Für viele Abgeordnete markierte die letzte Plenarwoche nicht nur den Abschied in die Sommerpause, sondern auch das Ende ihrer parlamentarischen Karriere im Bundestag. Mehr als 120 MdB werden in der nächsten Legislatur aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zurückkehren. Manche von ihnen waren dann mehr als 20 Jahre Abgeordnete im Bundestag. Die Süddeutsche hat einige Kurzporträts derjenigen zusammengestellt, die nun neue Wege gehen werden. Darunter

• Volker Kauder (CDU), einer der engsten Merkel-Vertrauten überhaupt,
• Haushaltsexperte und „Zollstock-Mann“ (ein Best of gibt es auf YouTube) Lothar Binding (SPD),
• Ehemalige FDP-Hoffnungsträgerin Katja Suding (FDP) aus Hamburg,
• Finanzfachfrau Anja Hajduk (Grüne), ebenfalls aus Hamburg,
• Großmeisterin der Kleinen Anfrage Ulla Jelpke (Linke) und
• AfD-Mitgründerin und dann -Verstoßene Frauke Petry (fraktionslos).

Auch CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller, CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg, der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ebenso wie Justiz- und Kurzzeitfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD), Ute Vogt (SPD) und Christoph Matschie (SPD) verlassen das Parlament. Der ehemalige DLF-Journalist Falk Steiner reflektiert in einem kurzen, aber lesenswerten Twitter-Thread über das Kommen und Gehen auf den Bundestagsfluren und die persönlichen Schicksale dahinter.

In den letzten Jahren musste der Politikbetrieb von einigen Parlamentarier:innen für immer Abschied nehmen. So verstarben neben FDP-Digitalpionier Jimmy Schulz auch Bundestagsvizepräsident und ehemaliger SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann, der SPD-Abgeordnete Ewald Schurer und die CDU-Abgeordnete Karin Strenz.

Die erste Sitzungswoche der 20. Wahlperiode ist für den 8. November 2021 terminiert, die Bundestagswahl findet am 26. September statt. Bis dahin ist Zeit für einen Wahlkampf für die richtungsweisendste Bundestagswahl seit 16 Jahren und vier Kabinetten unter Führung von Angela Merkel. Für die aktuelle Große Koalition hat Kai Küstner aus dem ARD-Hauptstadtstudio schon mal Bilanz gezogen.

Bevor Wahlkampfstände aufgebaut, Plakate gehängt und Sharepics gesetzt werden, kam es aber noch zu einem überparteilichen Moment. Der FC Bundestag lud zum – coronabedingt – ersten und letzten Spiel der Saison. Die fraktionsübergreifende Kickertruppe trat am vergangenen Mittwoch gegen eine Auswahl aus Hauptstadtjournalist:innen und Ministerial-Legionären an (ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker mit Mannschaftsfotos und Aufstellung). Zum Abschluss der Legislatur setzte es eine deutliche 8:1 Schlappe. Ein Trostpflaster bleibt: Seit ein paar Wochen gibt es für den FC Bundestag ein eigenes Stickeralbum mit jedoch leider sehr begrenzter Auflage.

Wer auch in der Sommerpause nicht genug vom Hohen Haus der Demokratie bekommt, dem sei die neueste Großbildprojektion ans Herz gelegt, die seit vergangenem Montag allabendlich  sowie umsonst und draußen das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu einer Bühne für die illuminierte Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland macht.

Auch die polisphere-Redaktion wird sich in den nächsten Wochen in die Sommerpause begeben. Die politnews erscheinen bis Ende August in zweiwöchigem Rhythmus in reduziertem Umfang, aber natürlich immer mit dem Relevantesten aus der Wahlkampfbeobachtung.

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

Bildquelle
Plenarsaal des Deutschen Bundestages | Times |  CC-BY SA 3.0 | Bild wurde verfremdet