Mit Kommunikationspannen und Wahlwiederholungen ins neue Jahr

Die politnews vom 09. Januar 2023

Anne Will beliebtester Polittalk 2022 | Deutlich weniger Großspenden 2022 | Table Media launcht neuen Politiknewsletter | Politische Floskeln 2022 | Wird man mit dem Alter konservativer? u. v. m.

WAHLTREND: SPD & FDP verlieren | BUCH: Deutschland und seine Flüchtlinge | TWEET: Auf die subtile Art | STAKEHOLDER: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist ein zynischer Treppenwitz der bisherigen 20er Jahre, dass man sich am Ende eines politischen Jahres nur noch wünscht, dass das kommende nicht ganz so katastrophal mögen werde. Nach Corona-Pandemie, Klimakatastrophen und Krieg bleibt die Hoffnung, dass 2023 vielleicht im besten Sinne wieder etwas langweiliger wird. Kommunikationspatzer, Ministerskandälchen und Wahlwiederholungen en masse sind zumindest ein Anfang.

Der erste Aufreger dieses Jahres kommt zwar aus dem Verteidigungsministerium, aber hat nur einen indirekten Konflikthintergrund, wenn man von der Berliner Böllerkulisse absieht. Christine Lambrecht, ihres Zeichens kommunikativ etwas glücklose Verteidigungsministerin, nahm ein Silvester-Video auf, das handwerklich und inhaltlich dermaßen nach hinten los ging, dass man seinen Augen aber vielmehr Ohren nicht trauen möchte. Mit Feuerwerk im Hintergrund spricht die Ministerin vom Angriffskrieg auf die Ukraine und freut sich in diesem Zusammenhang darüber, wie „viele besondere Eindrücke, Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen“ ihr der Krieg beschert habe. Das Video wurde zum kommunikativen Neujahrsdesaster.

lambrecht video
  • Kurz vor dem Weihnachtsfest hat sich das Bundesverteidigungsministerium neue Regeln für den Betrieb von Social-Media-Accounts gegeben. Die scheinen im Widerspruch zum Silvester-Post der Ministerin zu stehen, wie der Business Insider berichtet.
  • Von ihrer Partei bekommt Christine Lambrecht (noch) Rückendeckung – sowohl von der Co-Vorsitzenden Saskia Esken als auch von Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit ihr „durch dick und dünn” gehe.
  • 64 Prozent der Deutschen hingegen plädieren nach einer INSA-Umfrage für einen Rücktritt der Verteidigungsministerin.
  • Über die Selbstinszenierung von Politiker:innen wie Lambrecht (aber auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach) hat sich Friederike Haupt für die FAZ Gedanken gemacht.

Auch die FDP-Kabinettskollegen Christian Lindner und Volker Wissing mussten sich nach dem Jahreswechsel einiges anhören. Lindner soll sich für eine angebliche Vorteilsnahme im Zuge eines Bankkredits erklären. Die Geschichte findet nicht nur die taz dünn. Dass der Vorgang überhaupt öffentlich wurde, kann sogar als Persönlichkeitsverletzung gewertet werden, wird auf LTO argumentiert.

Wissing sorgte mit seinem fanboyesken Selfie mit Twitter-Chef Elon für Diskussionen. Der Schnappschuss lässt viel vermuten, aber nicht das kritische Gespräch mit dem zwischen Narzissmus, Verschwörungstheorie und Überforderung oszillierenden Musk, das man sich vom deutschen Digitalminister erhoffen würde. Was der Digitalminister und Musk im Detail besprochen haben, dazu will sich das Ministerium auch nicht äußern.

  • Arvid Haitsch kommentiert für den SPIEGEL, warum Volker Wissing gerade eigentlich auch ganz andere Dinge zu tun hätte – blickt man auf die Bilanz seines ersten Jahres als Bundesverkehrs- und Digitalminister.
  • Der Faktenfinder der Tagesschau hat sich angesehen, wie Elon Musk Verschwörungsmythen fördert und welche Rolle die sogenannten „Twitter Files” dabei spielen. Dazu sprach er auch mit Mareile Ihde, unserer Leiterin Digitale Kommunikation.
  • t-online hat einen Medienpsychologen befragt, ob sich Musk nach seinem Absturz öffentlich überhaupt noch rehabilitieren kann.

Medienpsychologischer Beistand hätte der SPD Hessen zum Jahresbeginn vielleicht auch gut getan. Zunächst twitterte der Account der Sozialdemokraten ein Sharepic, das führenden CDU-Politikern eine Mitschuld am Mord des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu geben schien. Die Empörung nicht nur seitens der CDU war groß, der Tweet wurde in der Folge gelöscht. Auch die rassistischen Einlassungen des Frankfurter SPD-Politikers Thomas Bäppler-Wolf, der die Randalierenden der Silvesternacht mit Affen verglich, wurden schnell gelöscht. Doch auch 2023 vergisst das Internet nie und die nächste Landtagswahl kommt bestimmt.

luebcke post

Zum Beispiel in Berlin, wo die Wahl zum Abgeordnetenhaus und ein Teil der Bundestagswahl bekanntermaßen in vier Wochen wiederholt werden muss. Und der nächste Treppenwitz ist auch schon da: In einem englischsprachigen Anschreiben ist vom 12. September als Wahltag die Rede.

Natürlich ein gefundenes Fressen für die Berliner CDU, die auch sonst mit mehr Witz als üblich in diesen Wahlkampf geht. Selbst der Frankfurter Rapper Haftbefehl ist Teil der Kampagne und scheint damit auch kein Problem zu haben.

  • Wie sich die Spitzenkandidat:innen in Berlin auf ihren Plakaten inszenieren, hat sich der Tagesspiegel angesehen.
  • Warum der neu gefundene Wahltermin am 12. Februar doch noch kippen könnte, weiß der rbb.
  • Die Rheinische Post hat die wichtigsten Fakten zur Berlin-Wahl zusammengetragen.
  • Pünktlich vor Fristablauf reichten CDU und AfD Beschwerde zur Bundestagswahl ein – diese soll in ganz Berlin (AfD) bzw. in 1.200 Wahlbezirken (CDU) wiederholt werden.

Egal, wie pannenanfällig sich die Berliner Wahlleitung in der Vergangenheit gezeigt hat, auf 14 Wiederholungen müssen wir uns wohl nicht einstellen. Die durfte sich aber der US-Kongress in der letzten Woche antun. Nachdem die Republikaner nach den Midterm-Wahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückeroberten, stand nun die Wahl des sogenannten „Speaker of the House” an. Kevin McCarthy sollte es werden – und wurde es auch. Allerdings gelang ihm das erst im 15. Wahlgang; es war das erste Mal seit 100 Jahren, dass ein Sprecher nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde. Gleichwohl kommt McCarthy nicht einmal annähernd an den historischen Negativrekord heran: 1855 wurde monatelang um den Vorsitz gerungen – in 133 Wahlgängen.

Ehe McCarthy durchatmen konnte, spielte sich Beispielloses ab, bis hin zu Handgreiflichkeiten. McCarthys Wahl war zuvor von besonders Radikalen aus den eigenen Reihen tagelang blockiert worden. Ganze 18 der 20 Abweichler, die versuchten, die Wahl des neuen Speakers zu verhindern, gehören zu der Gruppe Republikanern, die die Wahl von Präsident Joe Biden nicht anerkennen und glauben, Trump wäre die Wiederwahl gestohlen worden. Die GOP kämpft also weiter mit den extremistischen Geistern, die sie mit der Tea Party und mit Trump rief.

Und die Demokraten? Während des Spektakels konnte der „Minority Leader”, Hakeem Jeffries, eine Rede schreiben, die das gesamte Alphabet verbunden mit pointierten politischen Botschaften durchdeklinierte. Seine Demokratische Kollegin Katie Porter vermittelte auf subtile Art ihre Meinung über den exzessiven Wahlvorgang (siehe Tweet der Woche).

Die politische Stimmung in den USA bleibt zwei Jahre nach dem Kapitolsturm aufgeheizt. Genau zwei Jahre und zwei Tage später haben nun drangen nun Anhänger:innen des unterlegenen brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaros in Gebäude des brasilianischen Regierungsviertels ein und verwüsteten sie. Der ehemalige Präsident hat sich von den Angriffen distanziert; eine (Mit-)Verantwortung für die Ausschreitungen sieht er nicht bei sich. Dass eine Aktion ähnlich der in Washington von Bolsonaros Unterstützer:innen geplant war, ist ein offenes Geheimnis, berichtet der SPIEGEL.

Das Geheimnis um ChatGPT ist mittlerweile keins mehr, das Internet überschlägt sich vor Euphorie über das KI-gestützte Text-Tool. Nun hat die Brandenburger SPD die erste Kleine Anfrage komplett auf Basis der künstlichen Intelligenz eingereicht. Ob sie besser oder schlechter als die bisherigen war, wird sich zeigen.

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

Aktuelle politjobs
Politticker
Politische Floskeln 2022

„Freiheit” ist die Floskel des Jahres 2022. Jährlich vergeben Sprachkritiker des Netzprojektes Floskelwolke den Negativpreis. Auch „Sozialtourismus”, „Klimakleber”, „technologieoffen” und die Wortschöpfung des Kanzlers „Doppelwumms” schafften es dieses Jahr unter die Top 5. Über die Floskel „Freiheit” und das „hoch angesehene Gut” dahinter sagen die Preisverleihenden, dass in deren Namen „inzwischen egoistische Forderungen gestellt werden”. Insbesondere kritisieren sie „absurde Pressungen” wie die Bezeichnung von Atomkraft als „Freiheitsenergie”.

Wird man mit dem Alter konservativer?

Im Alter werden Menschen durchschnittlich konservativer. Das hat eine Metaauswertung mithilfe der World Political Cleavages and Inequality Database (WPID) für mehr als 500.000 Menschen aus 21 Ländern ergeben. Die sogenannten Millennials (Jahrgang 1985-99) sind in ihrem Wahlverhalten demnach aber eine Ausnahme, da sie mit zunehmendem Alter stärker nach links tendieren – jedenfalls in angelsächsischen Ländern. In Deutschland, Frankreich und Spanien folgen die Jüngeren hingegen dem konservativen Trend beim Älterwerden.

Table Media launcht neuen Politiknewsletter

Mit den „Late-Night-Memos“ startet ein neuer politischer Newsletter mit Hintergründen über das politische Berlin. Anders als viele Mitbewerber informiert er am späten Abend um 22 Uhr und richtet sich explizit an „Politikprofis”. Herausgeber ist Table Media, eine Gründung von Sebastian Turner, langjähriger Herausgeber des Tagesspiegels. Das Redaktionsteam wird durch den ehemaligen SZ-Korrespondenten Stefan Braun geleitet. Wer für sich auf der Suche nach weiteren geeigneten Politik-Newslettern ist, wird in einem LinkedIn-Post von Marian Bracht,…

Deutlich weniger Großspenden 2022

Im Vergleich zum Bundestagswahljahr 2021 verbuchten Parteien im letzten Jahr weitaus weniger Großspenden. Die Gesamtsumme beläuft sich auf rund 1,66 Millionen Euro. Mit 570.000 Euro ging die größte Spendensumme an die CDU. Durch Zuwendungen aus dem Kopenhagener Kulturministerium erhielt der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) 500.000 Euro im vergangenen Jahr. Mit 190.000 Euro liegen die Grünen auf dem dritten Platz der im Bundestag vertretenen Parteien. 2021 erhielt noch die FDP die größte…

Anne Will beliebtester Polittalk 2022

Anne Will ist weiterhin die beliebteste Polittalksendung der Bundesrepublik. Mit einer durchschnittlichen Reichweite von 3,6 Millionen verliert die Talkmasterin allerdings 12 % im Vergleich zu 2020. In seinem letzten Jahr als Moderator sicherte sich Frank Plasberg mit „Hart aber Fair“ den zweiten Platz bei einer Reichweite von 2,7 Millionen (- 9%) und zieht damit wieder an der drittplatzierten Maybrit Illner (2,6 Millionen, -14 %) vorbei. Markus Lanz (1,7 Millionen,…

Wahltrend
09.01.

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche
Uwe Becker

Deutschland und seine Flüchtlinge

Die Ereignisse der letzten Silvesternacht haben – mal wieder – eine typisch deutsche Debatte über Migration und Integration ausgelöst: geprägt von pauschalen Urteilen und Forderungen gegenüber zugewanderten Menschen. Dabei kommen Narrative zum Tragen, die in den vergangenen Jahrzehnten etabliert wurden und häufig für (partei)politische Zwecke reaktiviert werden. Dabei spielen auch die Diskurse aus dem „langen Sommer der Flucht“ aus dem Jahr 2015 eine Rolle, die der Theologe Uwe Becker in seinem Buch untersucht.

Anhand von rund zweihundert Texten aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ zeigt er auf, wie auf die mediale Euphorie der Willkommenskultur Szenarien der Bedrohung und Ausgrenzung folgten. Spätestens nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/16 kippte die Stimmung hin zu einer restriktiven Flüchtlingspolitik. Die damit verbundenen Diskussionen über angebliche Undankbarkeit der geflüchteten Menschen und härtere Abschieberegelungen sind nun erneut auf der Tagesordnung, wenn auch allgemein auf “Migranten” bezogen. Im Ergebnis steht – damals wie heute – eine Polarisierung zwischen “den Deutschen” als guten Gastgebern und “den Fremden”, die als Gäste und potenzielle Störer bzw. Täter empfunden werden. Selbst wenn Letztere in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Uwe Becker weist mit seinem medienkritischen Buch somit auf einen Diskurs hierzulande hin, der selbst zu einem Hindernis für die gelungene Integration von zugewanderten Menschen geworden ist.

 

 

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@Brentus88

Auf die subtile Art

Tagelang wartete man im US-Kongress darauf, ob es den hoffnungslos zerstrittenen Republikaner:innen gelingen würde, ihren Kandidaten für das Amt des „Speaker of the House” durchzubringen. Erst nach 15 Wahlgängen gelang es. Derweil waren die Demokraten bemüht, ihre Botschaften zu platzieren. Der Abgeordneten Katie Porter gelang das auf subtil und doch deutliche Weise. Ihre Botschaft ging viral.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
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Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung arbeitet gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag dafür, den Weg für Integration zu ebnen, d.h. ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und in Verantwortung für die Gemeinschaft zu ermöglichen. Dazu werden bundesweite Projekte umgesetzt und die Integrationspolitik der Bundesregierung weiterentwickelt. Seit Dezember 2021 amtiert die SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan als Integrationsbeauftragte.

Gregor Bauer

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11. Januar 2023