Lützi und Lambrecht bleiben nicht

Die politnews vom 16. Januar 2023

Wie Politikwissenschaft politische Debatten ordnen kann | Politik Akademie der Vielfalt | Wie ein Rapperkollektiv Verschwörungsmythen verbreitete | Wie viel Kryptowährung deutsche Behörden besitzen | Welche Krisen kommen bis 2033? u. v. m.

WAHLTREND: Grüne, FDP und Linke mit Gewinnen | BUCH: Vom Stubendienst bis Afghanistan. Der Verteidigungsausschuss in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik | TWEET: Salatpropheten | STAKEHOLDER: Bundesministerium für Verteidigung

Liebe Leserin, lieber Leser,

die ersten beiden Rücktritte dieser Bundesregierung werden mit jeweils denkwürdigen Videoschnipseln verbunden bleiben. Nachdem Ex-Familienministerin Anne Spiegel im April 2022 nach einer hochnotpeinlichen Pressekonferenz gehen musste, hat nun das “Silvestervideo” von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Abgang besiegelt. Am Freitagabend sickerte die Meldung durch, dass die Parteilinke sich vom ungeliebten Posten zurückziehen wird, heute Vormittag dann die offizielle Erklärung des Rücktritts (im Wortlaut). Das Ganze inmitten der Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine und dem größten sicherheitspolitischen Umbruch seit Ende des Kalten Krieges. Dass sich Lambrecht nicht mehr lange halten wird, war zumindest einigen bereits vorher klar (siehe Tweet der Woche), denn das Video war nur der letzte Akt einer unglücklichen Episode im Bendlerblock.

  • Lisa Caspari analysiert die Kommunikation zum Rücktritt und die Frage, wer die Meldung durchstach.
  • Für das Einsehen in ihr Scheitern, gebühre der Ministerin Respekt, kommentiert Christopher Ziedler für den Tagesspiegel.
  • Frank Capellan vom Deutschlandfunk findet hingegen, dass Lambrecht nicht einmal ein selbstbestimmter Rücktritt gelungen ist.
  • Der Instagram-Fehltritt zum Jahresbeginn war nur der letzte von vielen Patzern. Moritz Rödle schaut auf die Amtszeit der Ministerin zurück.
  • Lambrecht hat kein Bundestagsmandat inne, daher ist der Rücktritt ihr Abschied aus der Spitzenpolitik. Ein Porträt der Juristin hatte ProSieben Newstime vor Kurzem zusammengestellt.
  • Christine Lambrecht ist bei weitem nicht die erste Ministerin, die im Verteidigungsressort gescheitert ist. Kai Küstner mit einer Chronik über einen der heißesten Stühle im Kabinett.
Grafik-Vorlage Editorial(7)

Das politische Berlin ist derweil über Nacht in einer seiner Paradedisziplinen warm gelaufen: Nachfolgespekulationen. Ganz vorn dabei ist der Name von Hubertus Heil. Würde der Arbeitsminister wechseln, könnte zum Beispiel Andrea Nahles wieder in die erste politische Reihe zurückkehren. Denn Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der Neubesetzung des Amts neben dem parteipolitischen Proporz auch sein Versprechen der Parität im Kabinett zu bedenken – ob es Bestand hat, wird sich zeigen. Darüber hinaus werden die Wehrbeauftragte Eva Högl, der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil oder auch die BMVg-Staatssekretärin Siemtje Möller heiß gehandelt – wie Heil übrigens alle aus Niedersachsen. Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses (siehe Buch der Woche) Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Teil der Rotationsgerüchte. Zufälligerweise verkündete sie gerade erst heute Morgen, dass sie sich aufgrund der “herausfordernden Arbeit in Berlin” von ihren kommunalen Ämtern zurückzieht. Egal, was das Twitter-Personalorakel meint: Die Entscheidung soll bald fallen, dem Vernehmen nach wahrscheinlich schon morgen.

  • Dass Fachexpertise entscheidend für ein Ministeramt sei, ist ein weitverbreiteter Irrglaube. Miriam Hollstein kennt die drei Kerneigenschaften, die der oder die neue Verteidigungsministerin mitbringen muss.
  • Bundesfinanzminister Christian Lindner fühlte sich anscheinend inspiriert und setzte dem Personalkarussell noch eins drauf, indem er gleich vier Abteilungsleiter:innen vor die Tür setzte. Neu im BMF-Team dafür: Lamprecht [sic!] aus dem BMWK.
  • Einen unterschätzten Vorschlag zur Neuverteilung der Macht, der Erbsensuppe und eine neue Regierung in Stuttgart beinhaltet, hat der ehemalige SPD-Campaigner und elephantlogic-Chef Kajo Wasserhövel in Umlauf gebracht. Im Gegensatz zu diesem weiß man bei einigen Linken-Abgeordneten nicht mehr, wo  die Grenzen der Satire verlaufen.

Den Grünen wird die Debatte um Lambrecht nicht unrecht sein. Damit stehen sie zum einen nicht mehr alleine mit einem Rücktritt aus dem Ampelkabinett da, zum anderen lenkt das Schauspiel vom Konflikt um das Braunkohledorf Lützerath ab. Die Grünen haben den Kompromiss zwischen Bund, Land und RWE-Konzern zur Räumung in der Regierung mit ausverhandelt, die Parteilinke und die Grüne Jugend protestieren nun im Schulterschluss mit Klimaaktivist:innen dagegen. Auch junge Bundestagsabgeordnete wie Nyke Slawik, Kathrin Henneberger und Karoline Otte waren vor Ort. Dass die Grünen in Regierungsverantwortung Kröten schlucken müssen, ist jedoch nicht neu. Die taz über die politische Debatte zur Lützerath-Räumung und die innerparteiliche Auseinandersetzung bei den Grünen.

Ums Klima ging es auch bei der Klausurtagung der CDU am Wochenende in Weimar. Zumindest bekundete der Bundesvorstand der Partei die Absicht, Klima- und Wirtschaftspolitik künftig zusammenzudenken. Doch statt der Frage, wie die Klimaschutzziele durch technische Innovationen erreicht werden sollen, stand vor allem die von Friedrich Merz Anfang der Woche ausgelöste Debatte um “kleine Paschas” im Fokus der Aufmerksamkeit – die der Parteichef mit Klagen über arabischstämmige Kinder und Jugendliche weiter befeuerte.

  • Das Video vom Auftritt bei Markus Lanz im ZDF.
  • Im Stern platzt Jagoda Marinic der Kragen und sie findet, dass Merz selbst der Pascha ist.
  • Eine langjährige Berliner Schulleiterin gibt dem CDU-Chef bei n-tv hingegen Recht.
  • Wie es um den Rassismus in Deutschland steht, hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in der letzten Woche im aktuellen Rassismusbericht zur Lage in Deutschland vorgestellt.

Verhalten optimistisch blickte man aus CDU-Sicht von Weimar nach Berlin, wo in vier Wochen gewählt wird. Die CDU liegt in den letzten Umfragen dort knapp vorn. Und sie sorgt für einen Gag, der mittlerweile aber nicht mehr der originellste ist: Weil Grüne und FDP nicht schnell genug ihre Wahlkampf-Domains reserviert haben, hat die CDU das für sie erledigt – nicht ohne entsprechenden Hohn. Doch die Berlin-Wahl wäre nicht die Berlin-Wahl, würde sie reibungslos ablaufen. Die Meldung aus der Kategorie “Berlin bleibt sich treu” in dieser Woche: Erste Stimmzettelkontingente wurden falsch bedruckt.

Auch die Bundestagswahl wird in Berlin (teilweise) wiederholt – aber noch nach altem Wahlrecht. Denn seit gestern sind konkrete Details zur Wahlrechtsreform der Ampel publik. Und die haben es in sich: Überhang- und Ausgleichsmandate soll es nicht mehr geben, die Sitzverteilung soll allein nach der Zweitstimme, die dann Hauptstimme heißt, erfolgen. Im Ergebnis soll der Bundestag wieder auf die Normgröße von 598 Abgeordneten schrumpfen. Kritik setzte es erwartungsgemäß prompt, vor allem aus Bayern, wo die CSU einen massiven Mandatsverlust befürchtet. Klare Unterstützung für eine Verkleinerung des Bundestages gibt es hingegen in der Bevölkerung, wie eine Umfrage von Allensbach zeigt.

Um nicht nur elektoral sondern auch kommunikativ mit der Zeit zu gehen, plant die Bundestagsverwaltung eine Social-Media-Offensive. So sollen jüngere Zielgruppen künftig z. B. auch bei Instagram und Mastodon über die Arbeit des Parlaments informiert werden.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

Aktuelle politjobs
Loading RSS Feed
Politticker
Wieviel Kryptowährung deutsche Behörden besitzen

31,41954211 Bitcoin besitzt der Bund. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD hervor. Umgerechnet entspricht dies etwa 600.000 Euro. Verschiedene Bundesbehörden, so die Ausführungen, hätten die Kryptowährung zwischen 2015 und 2021 angekauft. Zudem seien seit 2015 im Zuge von Strafverfahren etwa 38,7 Bitcoin (rund 745.000 Euro) beschlagnahmt worden. Zusätzlich besitzen Bundesbehörden derzeit unter anderem 14,7 Etherum (rund 21.000 Euro), 7,9 ETC (rund 160…

Wie Politikwissenschaft politische Debatten ordnen kann

„Synthese des bestehenden Forschungsstands”,„Ethik der aufrichtigen Verkürzung” und „Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft”: Das sind die drei Strategien, mit denen die politische Debatte durch Politikwissenschaft geordnet werden könne, so Sozialwissenschaftler Joschua Helmer in einer Analyse für Demokratie Dialog. Am Beispiel der Digitalisierung argumentiert Helmer, dass die Politikwissenschaft ihre Ergebnisse beispielsweise mit denen der Kommunikationswissenschaften oder der Informatik abgleichen sollte. Zudem sollten wissenschaftliche Erkenntnisse für die öffentliche Wahrnehmung zugespitzt und…

Welche Krisen kommen bis 2033?

In den kommenden 10 Jahren erwartet die Menschheit eine Zeit der Polykrisen. Das ist die Einschätzung des World Economic Forums im Global Risks Report 2023. Demnach ist es wahrscheinlich, dass sich mehrere Krisen innerhalb des kommenden Jahrzehnts zeitlich überschneiden werden. Die größten Risiken sehen die Autor:innen in der Klimakrise, bei der ein “point of no return” überschritten würde, in der medizinischen Versorgung angesichts weiterer Pandemien und chronischer Unterversorgung sowie in den…

Politik Akademie der Vielfalt

Zum dritten Mal eröffnet die Politik Akademie der Vielfalt (PAdV) Politikinteressierten mit Migrations- oder Fluchtbezug ein Programm zur Realisierung von Projektideen. Zwischen Februar und Oktober 2023 werden erfolgreiche Bewerber:innen durch off- und online-Workshops, Vernetzungsgelegenheiten und Beratung unterstützt. Zudem können sie durch zwei Hospitationen in der Politik bzw. Verwaltung und einer nichtstaatlichen Organisation Einblicke in die Interessenvertretung gewinnen. Interessierte können sich noch bis zum 5. Februar bewerben.

Wie ein Rapperkollektiv Verschwörungsmythen verbreitete

Verschwörungsmythen verbreiten sich vor allem innerhalb von Telegram. Dies war zumindest bei einem verschwörungsaffinen Rappernetzwerk der Fall, so eine Analyse des Institutes for Strategic Dialogue (ISD). Demnach wurden unter den Followern der beobachteten Rapper insgesamt 11.058 relevante Posts gefunden, davon 90 % auf Telegram. 53 % aller Replikationen von Posts wurden von einer Gruppe in einer anderen innerhalb von Telegram geteilt. Der zweithäufigste Transfer (6,7 %) fand von der…

Wahltrend
16.01.

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche
Wolfgang Geist

Vom Stubendienst bis Afghanistan. Der Verteidigungsausschuss in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik

Das Verteidigungsministerium gilt seit vielen Legislaturperioden als schwieriges Ressort und die jeweiligen Amtsinhaber:innen geraten mit ihren (Nicht-)Vorhaben zur Reform der Truppe oft in die Kritik. Wesentlich weniger Aufmerksamkeit erfährt dagegen der Verteidigungsausschuss des Bundestages, der die Arbeit des Ministeriums parlamentarisch kontrollieren soll. Das nicht öffentlich tagende Gremium wirkt zudem bei der Verabschiedung des Verteidigungsbudgets sowie der Material- und Ausrüstungsbeschaffung für die Bundeswehr mit.

Was das in der Praxis bedeutet, schildert Wolfgang Geist in seinem Buch. Der ehemalige Generalstabsoffizier hat den Ausschuss als Referent des BMVg sowie des Auswärtigen Amts selbst erlebt und fragt in seiner Langzeitanalyse vor allem nach der Rolle des Verteidigungsausschusses für die deutsche Sicherheitspolitik. Dafür betrachtet er sehr grundlegend und ausführlich die Rahmenbedingungen und die sich wandelnde Stellung, die Entstehung sowie Entwicklung des Ausschusses im politischen System der Bundesrepublik seit 1945. Dabei wird auch die Tätigkeit als Untersuchungsausschuss beleuchtet, zu dem sich der Verteidigungsausschuss selbst einsetzen kann. Leider untersucht das Buch die „langen Linien“ der Ausschussarbeit nur bis 2017 – weshalb die Auswirkungen der sicherheitspolitischen Zäsur und angekündigten Zeitenwende vor fast einem Jahr außen vor bleiben.

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@BenjaminLaepple

Salatpropheten

Unser Tweet der Woche ist diesmal schon etwas älter. Denn schon direkt nach dem Silvestervideo stellte Operation Heuss Initiator und Datenprofi Benjamin Laepple die These auf, dass es sich bei Lambrechts Verbleib im Amt nur noch um Tage handeln könnte. Dazu gab es eine kleine Referenz auf die „Wer hält sich länger? Liz Truss oder dieser Salat?”-Aktion des Daily Star.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
Stakeholder der Woche(1)

Bundesministerium der Verteidigung

Das zentrale Ziel des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) ist es, die Bundesverteidigungsministerin in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Das Ministerium fungiert dabei als „zentrales Führungselement der Bundesministerin“, die die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte innehat. Sitz des Ministeriums ist Berlin und Bonn, an der Spitze des Ressorts stand zuletzt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.

Gregor Bauer

Jobs

Auf der Suche nach dem richtigen politjob?
Jobs aus dem Politikbetrieb auf politjobs.com oder in unserem wöchentlichen Newsletter.

Sie suchen selbst Verstärkung?
Schreiben Sie uns unter info@polisphere.eu für unverbindliche Preisinformationen. Hier finden Sie unsere Anzeigen-Pakete im Überblick.

Oder in den Talent Pool!
Tragen Sie sich direkt kostenlos in unseren Talent Pool ein! Dann melden wir uns, wenn wir einen passenden Job für Sie haben.

Events

Stets aktuelle Veranstaltungen aus dem Politikbereich finden Sie auf politcal.de.

Auf politcal.de können Sie Ihre eigenen Veranstaltungen jederzeit hochladen.
Probieren Sie es aus!

Das Redaktionsteam
16. Januar 2023