Die SPD und ihr Russlandproblem

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Editorial: Die SPD und ihr Russlandproblem +++ Meldungen: Aufruf zur Influencer-Regulierung, Viele Deutsche glauben an Scheindemokratie, Wikipedia-Änderungen aus Behörden-Netzen, Parteimitglieder wollen keine digitalisierten Verfahren, Facebook-Techniken von Putins Trollen, u.a. +++ Wahltrend: SPD und FDP mit Verlusten +++ Buch: Die Diplomatin +++ Tweet: Vorstellungen vom Krieg +++ Jobs: : Referent:in Medienpolitik & Plattformen (bitkom), Thyssen@KWI Fellowship,  Freelancer:in für eine politisch-strategische Kommunikationsberatung, Pressesprecher:in (Finanzwende), u.a. +++ Events: The Global Economic Impact of Russia’s War on Ukraine (GMF) +++ Stakeholder: Aspen Institute

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Liebe Leserin, lieber Leser,

im Sommer 2016, gut zwei Jahre nach der Besetzung der Krim, probte die NATO die Verteidigung eines russischen Überfalls auf das Baltikum und Polen. Was rückblickend einen traurigen Weitblick beweist, kommentierte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier als “Säbelrasseln und Kriegsgeheul” gegenüber Moskau. Es ist bei weitem nicht das einzige Beispiel der Russlandnähe des jetzigen Bundespräsidenten und anderer führender Sozialdemokrat:innen. Die Kiewer Regierung wird sich an diesen Satz ganz gewiss erinnert haben, als sie in der letzten Woche einen diplomatischen Eklat auslöste und Steinmeier nicht in Kiew empfangen wollte.
  • Nicht erst durch ein zügiges Dementi aus Kiew gab es Verwirrung um den genauen Hintergrund. Eine Rekonstruktion der Ereignisse haben – je nach Paywall-Präferenz –  SPIEGEL (€) und FAZ (€) aufbereitet.
  • Warum Selenskyj damit die Solidarität der Deutschen mit der Ukraine schwächt, erklärt Christoph von Marschall im Tagesspiegel.
  • Steinmeier selbst reagierte besonnen und forderte weiterhin Solidarität mit der Ukraine, kommentierte den diplomatischen Affront aber sichtlich konsterniert (Video).
  • Die Reaktionen in der Ukraine haben Bernhard Clasen und Anastasia Magasowa für die taz zusammengetragen.
  • Wie das Twitterverse reagierte, zeigt der Stern in einem Video-Beitrag.
  • Auf Steinmeiers lange Beziehung zu Putin blickt Markus Wehner in der FAZ zurück.

In der Ampel knirscht es derweil immer hörbarer. Der Dissens über die deutsche Position im Ukraine-Krieg wird mittlerweile offen ausgetragen. Nachdem die drei Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Michael Roth (SPD) und Anton Hofreiter (Grüne) überraschend die Ukraine besucht haben, veröffentlichte das Trio einen Gastbeitrag (€), in dem sie schnelle Waffenlieferungen fordern. Der SPD-MdB Helge Lindh unterstellte den Regierungskolleg:innen hingegen “wohlfeile Selbstinszenierung”. Hofreiter wiederum zählte Scholz sehr direkt im DW-Gespräch an.

Der Vielkritisierte brach sein Schweigen im rbb-Interview, in dem er in paternalistischem Ton die “Jungs und Mädels” zurechtwies, denen eben nicht gefällt, “dass er nicht das macht, was sie wollen”. Die Kritik an so einer herablassenden Kommunikation gegenüber den Koalitionspartnern folgte auf dem Fuße, wie das RND aufschlüsselt.

Über Ostern verkündete die Bundesregierung dann eine finanzielle Militärhilfe für die Ukraine in Höhe von 2 Milliarden Euro. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug, so das mehrheitliche Echo. Insbesondere im internationalen Vergleich ist die deutsche militärische Unterstützung (die von der Ukraine so vehement gefordert wird) nach wie vor überschaubar.

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Nun ist es in der Tat so, dass Führung immer auch bedeutet, dass diese in eine Richtung weist, die nicht allen gefällt – Die Mehrheit der Deutschen unterstützt Scholz-Linie allerdings (Stand 8. April). Umso wichtiger ist dann aber die Erklärung dieser Entscheidungen. Warum die Kommunikation des Kanzlers genau das nicht tut, beschreibt Kristina Dunz für das RND.

Auch Manuela Schwesig steht in der Kritik. Neue Erkenntnisse über den Aufbau der sogenannten Klimastiftung, die den Bau von Nord Stream 2 sichern sollte, wurden publik. Ein Projekt, das Olaf Scholz vor wenigen Monaten allen Ernstes noch als “nicht politisch” bezeichnet hatte. Laut den geleakten Dokumenten wollte die Schweriner Landesregierung mit der Stiftung eine bewusste kommunikative Täuschung vollziehen.

Befremdliche Russlandnähe ist jedoch kein SPD-exklusives Phänomen, das haben Vertreter:innen anderer Parteien wie Wolfgang Kubicki für die FDP oder Michael Kretschmer für die CDU immer wieder bewiesen – und das sind nur die exemplarischsten Fälle. Die Beispiele aus der Linken müssen hier aus Platzgründen leider entfallen. Auch Angela Merkel hat diesen außenpolitischen Kurs entgegen klarer und unüberhörbarer Kritik über Jahre mitgetragen. Daher trifft auch die Union Mitschuld, wie Jasper von Altenbockum kommentiert. Wie man mit der Schuld des Versagens beim Russlandverstehen umgehen sollte, beleuchtet Rechtswissenschaftler Thomas Fischer.

In der SPD sind die Verbindungen, gerade auf persönlicher Ebene, aber tiefer und struktureller.

  • Markus Decker kommentiert, dass die SPD sich aus diesen Verflechtungen lösen muss. Allein: sie tut es nicht.
  • Denn statt die eigene Russlandpolitik aufzuarbeiten, schlagen viele Genoss:innen um sich, wenn Kritik aufkommt. Insbesondere wenn es um den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk geht. Hier vergriff sich u. a. Aydan Özoguz im Ton, entschuldigte sich danach aber. Moritz Eichhorn über die Beißreflexe der SPD.
  • Melnyk geriet auch mit Sigmar Gabriel aneinander, nachdem dieser einen SPIEGEL-Gastbeitrag veröffentlicht hatte, der es selbst in die russische Staatspropaganda schaffte. Eine Zusammenfassung.
  • Eine umfassende Analyse der Fehler der Russland-Politik der letzten Jahre von Außenpolitik-Experten Jörg Lau hat die ZEIT in ihrem sehr empfehlenswerten Politikteil-Podcast veröffentlicht.
Doch die Partei, die in der Russland-Frage alles andere als geschlossen ist, versucht sich an der Neujustierung. Saskia Esken und Lars Klingbeil wollen morgen Botschafter Melnyk treffen. Ein Zeichen der Annäherung, allerdings nicht ohne kommunikativen Fauxpas.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

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Social Media: Aufruf zur Influencer-Regulierung

Das Aspen Institute hat einen Call for Action zur Regulierung von Influencer:innen veröffentlicht. Ihre Rolle im politischen Informationsökosystem sei nicht mehr wegzudenken. Anders als bei Sozialen Medien oder journalistischen Betrieben sei diese aber keinem rechtlichen Rahmen unterworfen, so die Autor:innen. Das Institut hat deshalb 25 Empfehlungen an Politik, Plattformen und Influencer:innen selbst zusammengetragen. Letztere sollen unter anderem einen eigenen Ethik-Kodex entwickeln und bewusst die Verbreitung von Desinformationen unterbinden. Der Politik wird nahegelegt, staatliche Social-Media-Plattformen zu launchen.

Demokratie & Gesellschaft: Fast ein Drittel glaubt an Scheindemokratie

31 % der Deutschen sind der Meinung in einer “Scheindemokratie” zu leben. Das geht aus einer repräsentativen Allensbach-Umfrage hervor. Dabei stechen insbesondere die Unterschiede zwischen Befragten aus östlichen und westlichen Bundesländern hervor. Während in Westdeutschland 28 % an eine Scheindemokratie glauben, sind es im Osten mit 45 % fast die Hälfte. 28 % der Deutschen meinen, dass das demokratische System in Deutschland deshalb “grundlegend geändert” werden müsse.

Ministerien & Behörden: Manipulieren Behörden Wikipedia-Artikel?

Tausende Wikipedia-Artikel sind tendenziös aus deutschen Behörden-Netzen verändert worden, so ein Bericht der FAZ (€). Mehr als 17.000 solcher Bearbeitungen wurden in den vergangenen Jahren verzeichnet. So zum Beispiel der Versuch, die Seite über Wirtschaftsminister Habeck mit dem Zusatz zu versehen, er habe sich am Corona-Bonus seiner Partei 2021 bereichert. Die betroffenen IP-Adressen sind dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugeordnet. Allerdings nutzen auch andere Behörden das BSI-Netz, sodass die Urheber der Manipulationen wohl noch nicht ermittelt werden konnten.

Parteien: Mitglieder wollen keine digitalisierten Parteientscheidungen

Parteimitglieder der Linken, Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU stehen mehrheitlich einer Digitalisierung von inneren Partei-Entscheidungen skeptisch gegenüber. 56 % der Befragten einer Studie  von Claire Bloquet (IParl), Isabelle Borucki (NRW School of Governance) sowie Benjamin Höhne (FU Berlin) gaben an, dass sie gegen Online-Abstimmungen für Kandidatur-Entscheidungen sind. Dabei spielen weder Gender noch Alter der Befragten eine signifikante Rolle. Allerdings konnten die Autor:innen eine Korrelation mit dem Bildungsgrad der Befragten feststellen: Je gebildeter Parteimitglieder sind, desto weniger wahrscheinlich unterstützen sie digitalisierte Verfahren.

Social Media: Die Facebook-Techniken von Putins Trollen

Die russische Propagandamaschinerie betreibt systematisches “Astroturfing” auf Facebook, so eine Studie des Institutes for Strategic Dialogue (ISD). Die Methode täuscht durch das vielfache Anlegen gefälschter, aber hochaktiver Accounts übersteigerte Unterstützungsraten für Themen vor. So war das Ziel dieser Online-Gruppierungen von “Putin-Superfans” vor allem die Darstellung Putins als “lachender, gutmütiger und friedliebender” Politiker, der gegen die Übermacht des Westens aufsteht. Eine der größten Kampagnen des Netzwerks verbreitete dutzende Fotos, in welchem der Kremlchef Hunde umarmt.

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Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gerichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

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Diplomaten treten in der Regel höflich und geduldig auf, so die gängige Vorstellung. Was passiert, wenn das mal nicht der Fall ist, kann man derzeit in der Debatte um den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk beobachten – oder in Lucy Frickes viel gelobtem Roman „Die Diplomatin“ nachlesen. Die Schriftstellerin erzählt darin die fiktive Geschichte einer erfahrenen Konsulin und Ex-Botschafterin, die sich in ihrer Arbeit mit den schwierigen deutsch-türkischen Beziehungen, der Berichterstattung in Deutschland und den sozialen Medien auseinandersetzen muss. Dabei kombiniert der Roman Einblicke in den diplomatischen Alltag mit Elementen eines Politthrillers in Anlehnung an die tatsächliche politische Lage in der Türkei.

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Große Diskussionen gab es in den vergangenen Tagen um die Ostermärsche, die in Teilen von der Friedensbewegung organisiert wurden. Dort lehnt man Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Warum das deutlich zu kurz gedacht ist, erklärt Thomas Dudek im Tweet der Woche.

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Als Referent:in (w/d/m) betreust Du den Kompetenzbereich Medienpolitik & Platform Economy und befasst Dich mit Themen wie Jugendschutz, Hate Speech und Filmförderung.
Interessierte sollten unternehmerisches Denken und Kommunikationsstärke mitbringen sowie idealerweise erste Berufserfahrung aufweisen.

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Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen und die Fritz Thyssen Stiftung fördern promovierte Wissenschaftler:innen in den Bereichen Geistes-, Kultur- oder Sozialwissenschaften. Bewerbungen sollten bis zum 29. April eingereicht werden.

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Fr, 22.04.2022 | 10:00-11:00 Uhr
The Global Economic Impact of Russia’s War on Ukraine

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Das Aspen Institute ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation, die sich nach eigenen Angaben für eine gerechte und freie Gesellschaft einsetzt. Zu seinen Hauptaufgaben gehören die Förderung von wertebasierter Führung und offenen politischen Diskursen sowie die euroatlantische Kooperation. Das Aspen Institute Deutschland wurde 1974 in Berlin gegründet und ist Teil des globalen Aspen-Netzwerkes mit Partner:innen u.a. in den USA, Neuseeland, Indien und der Ukraine. Seit Januar 2021 leitet Dr. Stormy-Annika Mildner als neue Direktorin das Institut.

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19. April 2022