Editorial: Des Kaisers neue Plattform +++ Meldungen: Wahlpotenziale der Parteien, Neuer Kodex für Factchecks, Faeser stellt Digitalagenda 2025 vor, Hass im Netz stellt Arbeit ein, Reformvorschläge für die EU, u.a. +++ Wahltrend: SPD verliert wieder +++ Buch: Unsere gefährdete Demokratie. Wie wir mit Hass und Hetze gegen Politiker und Journalisten umgehen +++ Tweet: Keine Selbstverständlichkeiten +++ Jobs: Mitarbeiter:in im Bereich Text und Redaktion (wegmeister), Inscribing Plurality Fellowship, Trainee Program – Politics (Pivot Regulatory), u.a. +++ Events: Der Green Deal nach der “Zeitenwende” (Heinrich-Böll-Stiftung) +++ Stakeholder: Hass im Netz
Liebe Leserin, lieber Leser,
Nach langem Taktieren hat der Aufsichtsrat von Twitter letzte Woche ein Kaufangebot von 44 Milliarden Euro von Tesla-Chef Elon Musk angenommen. Dieser will die Plattform nun zur Bastion des “Free Speech” machen und sein “Potenzial entfalten”. Der Kauf ist noch nicht durch alle Instanzen, rein theoretisch kann der Deal noch platzen. Auch im besten Falle werden noch ein paar Monate vergehen, bis Musk offizieller Twitter-Eigentümer ist.
- Felix Lincke erklärt für den Bayerischen Rundfunk, was jetzt noch schief gehen könnte.
- Was direkt nach Bekanntgabe der Übernahme mit manchen, vor allem rechts orientierten, Accounts passiert ist, beleuchtet die RND-Redaktion.
- Jan Böhmermann ist schon da, Saša Stanišić auch. Twitter-Dandy Dax Werner jetzt ebenso. Warum es einen Run auf das Konkurrenz-Netzwerk Mastodon gab, erklärt Werner im Interview. Wie die Plattform funktioniert, Manon Priebe in der FAZ.
Musk mag streitbar und exzentrisch sein, sicher auch egomanische Züge aufweisen. Er ist allerdings auch ein extrem erfolgreicher Unternehmer und Innovator. Mit PayPal, Tesla, SpaceX und Starlink hat er jeweils Branchen (mit)revolutioniert. Wer Elon Musk, der auch im letzten Wahlkampf eine Nebenrolle hatte, eigentlich ist, zeigt der SRF in einem Portrait. Durch seine Art hat sich der Mann mit den drei Staatsbürgerschaften aber nicht nur auf Twitter viele Gegner:innen gemacht:
- Zuletzt geriet er öffentlich mit der aktuellen Twitter-Juristin aneinander, die seine Übernahme kritisiert hat.
- Bei einer aktuellen Twitter-Konversation mit Alexandria Ocasio-Cortez, Ikone der amerikanischen Linken, musste er klar den Kürzeren ziehen.
- Ein amerikanischer Student, der unter @ElonJet – legalerweise, aber zum Ärger von Musk – seine Privatjet-Flüge trackt, hat schon einmal vorsorglich einen Discord und Telegram-Channel angelegt. Der Deutschlandfunk weiß mehr über Jack Sweeney.
Auf Twitter sind nur “Politiker, Journalisten und Psychopathen”, das wusste schon Dorothee Bär. Je nachdem welcher Kategorie Sie sich zugehörig fühlen oder ob Sie der Einteilung der CSU-Digitalpolitikerin gar widersprechen: Twitter ist nicht nur das schnellste Medium der Welt, sondern für die politische Kommunikation und Meinungsbildung von herausragender Bedeutung. Deswegen ist es nicht egal, wem es gehört.
Der arabische Frühling, der erfolgreiche Populismus von Donald Trump, der unter anderem im Sturm auf das Kapitol gipfelte oder die Twitter-Detektive des Ukraine-Kriegs: Unabhängig vom jeweiligen Standpunkt haben die Plattform-User schon des Öfteren maßgeblich Einfluss auf politische Entwicklungen genommen.
Twitter ist von der Grundarchitektur das Idealbild der Brecht’schen Radiotheorie, also der Auflösung des klassischen Sender-Empfänger-Prinzips im Sinne einer demokratisierten Kommunikation. Wie gesagt, das ist die idealtypische Auslegung. In der Realität kämpft die Plattform mit Desinformation, Hassrede und Cybermobbing (siehe auch unser Buch der Woche).
- Dass hier eine Kraftprobe zwischen “Free Speech Absolutist” Musk und der EU zu erwarten ist, erklärt Alexander Fanta auf netzpolitik.org. Denn auch mit dem neuen Eigentümer wird Twitter nicht zum rechtsfreien Raum werden.
- Warum das amerikanische Verständnis von Free Speech im Sinne der Redefreiheit nicht dem hiesigen Konzept der Meinungsfreiheit gleichzusetzen ist und was mit Plattformen passiert, die nicht moderieren, hat Bernd Oswald kommentiert.
Mit einer Ankündigung könnte er jedoch viele Fans in der Twitteria für sich gewinnen: Es soll nun endlich einen Edit-Button für Tweets geben.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff
Parteien: SPD hat größtes Wahlpotenzial
Die SPD könnte bis zu 49 % erreichen, wenn sie ihr volles Wähler:innen-Potenzial ausschöpfen würde. Das ergab eine umfassende Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Demnach schafft es insbesondere die Linkspartei nicht, ihren Möglichkeiten gerecht zu werden. Sie könnte ihre derzeitigen Werte (6%) mehr als vervierfachen (26 %). Die Liberalen erreichen ein Drittel ihrer potenziellen Wähler:innen (35 %), während die Union (43 %), Grüne (38 %) und die AfD (23 %) derzeit jeweils etwa die Hälfte ihres Potenzials erreichen.
Gesellschaft: Neuer Kodex für Factchecks
Unter dem Namen European Fact-Checking Standards Network (EFCSN) entwirft eine EU-geförderte Initiative einen Kodex für Faktenchecks. Dieser soll die Standards für Unabhängigkeit, Transparenz und journalistische Integrität definieren, die Faktencheck-Initiativen erfüllen müssen, um als unabhängig anerkannt zu werden. Das Projekt wird von der Investigativgruppe CORRECTIV und fünf weiteren europäischen Organisationen koordiniert. Bis Mittwoch können sich Interessierte an der öffentlichen Konsultationsphase des Projekts beteiligen.
Ministerien: Faeser stellt Digitalagenda 2025 vor
“Wir wollen einen digitalen Staat, der konsequent aus der Perspektive der Bürgerin und des Bürgers gedacht ist”, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung ihrer digitalpolitischen Agenda am Donnerstag. Dabei steht ein Digitalcheck für neue Gesetze ebenso an wie die Stärkung von behördlicher Cybersicherheit. Insbesondere soll aber die digitale Verwaltung bundesweit einheitlichen Standards unterworfen und ausgebaut werden. Leistungen wie Bauvorbescheide und -genehmigungen oder Wohnortummeldungen sollen künftig auch online möglich sein, so Faeser.
Gesellschaft: “Hass im Netz” stellt Arbeit ein
Die Hilfsorganisation Hass im Netz musste ihr Angebot, mit dem von Hatespeech Betroffene Inhalte melden konnten, wegen Überlastung einstellen. Nach eigenen Angaben konnte das Team der stark gewachsenen Zahl von Einsendungen nicht mehr nachkommen. Innerhalb von drei Jahren sollen fast eine Million Meldungen eingegangen sein. “Wenn möglich”, so die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen, soll die Hatespeech-Meldestelle aber bald mit einer Neuaufstellung und neuem System neu gelauncht werden.
Demokratie: Reformvorschläge für die EU
Die Konferenz zur Zukunft Europas hat weitreichende Vorschläge für eine Reform der EU vorgelegt. In einem einjährigen Prozess haben mehr als 50.000 europäische Bürger:innen mit Expert:innen und Abgeordneten diskutiert, wie die Europäische Union zukünftig funktionieren sollte. In einem knapp 50-seitigen Papier empfiehlt die Konferenz unter anderem die Abschaffung des Vetorechts für einzelne Mitgliedsstaaten zugunsten einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit. Außerdem soll die Rolle des Europäischen Parlaments beispielsweise durch ein Initiativrecht für Abgeordnete gestärkt werden.
Ukraine & Russland
- Propaganda: Psychoanalytiker über die Wirkung von Kriegspropaganda und die “Soldatenmatrix”
- Rolle Deutschlands: Debatte über offenen Brief an Olaf Scholz & sinkende Zustimmung für den Kanzler
- Selenskyj: Geplanter Angriff am ersten Kriegstag – Russische Truppen kamen offenbar gefährlich nah
- Putin: “Moskwa”-Debakel soll Putins Verhandlungsbereitschaft beendet haben
- Kriegsverlauf: Russischer Gazprom-Topmanager kämpft nun für die Ukraine & Ukraine soll mittlerweile über mehr Panzer verfügen als Russland & Warum der russische Vormarsch im Donbass stockt
- Republik Moldau: Nachbarland der Ukraine fürchtet russische Bedrohung aus Transnistrien
Parteien und Parlamente
- Gerhard Schröder: 14 Anträge für Parteiausschlussverfahren & Bundestag prüft Kürzung der Privilegien für Altkanzler:innen
- Die Linke: MdB Martina Renner beklagt sexistisches Grundklima in der Partei
- NPD: Rechtsextreme wollen sich beim Parteitag im Mai umbenennen
- Bundestag: Abgeordnete erhalten bald 10.323 Euro im Monat
Ministerien & Behörden
- Ampel: Bundesministerien wollen Hunderte neue Mitarbeiter einstellen
- Bundesverfassungsgericht: Kompetenzen für Bayerns Verfassungsschutz teilweise verfassungswidrig
- Kommentar: Staatsmodernisierung muss neue Wege gehen
Demokratie & Gesellschaft
- Bedrohung von Rechts: Drohserie vom “Staatsstreichorchester” bleibt unaufgeklärt & Reichsbürger-Szene wächst
- Faktencheck: Gefälschte Nachrichtenseiten verbreiten Fake News
- Studie: Freiwilligendienste in Deutschland: Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft
Lobbyismus, Politikberatung und Interessenvertretung
- Zusammenschluss: ifok übernimmt Hamburger Kommunikationsagentur RaikeSchwertner
- Kooperation: Bernstein Analytics und Unternehmensberatung T. K. HAMANN arbeiten zusammen
- Hintergrund: Wie Lobbyist:innen den Umweltschutz ausbremsen
- Seitenwechsel: Die Lobbyjobs der ehemaligen Regierungsmitglieder
- Neugründung: Spahn-Vertrauter Marc Degen gründet Ordiungo Advisory in Wien und unterstützt Miller & Meier Consulting
- Veröffentlichung: 365Sherpas mit neuer Ausgabe ihres “Haltung”-Magazins
Personalien
- Finsbury Glover Hering: Ex-Merkel-Beraterin Eva Christiansen wird Partnerin
- MSL: Daniel Holefleisch, Ehemann von Annalena Baerbock, wird Partner
- Alba Group: Henning Krumrey verlässt Alba Group
- Bundestag: Neuer Sicherheitschef bei Parlamentspolizei & Parlamentarisches Kontrollgremium: Linke darf doch kontrollieren
- Digitale Verwaltung: Vincent Patermann verlässt Initiative für Digitale Verwaltung des BMI und stößt zu Dataport
Politische Kommunikation
- Regierungskommunikation: Interview: “Scholz muss mehr erklären”
- Robert Habeck: Die neue Art, zum Volk zu sprechen (€) & Anleitung: Wie lerne ich reden wie Robert Habeck? (€)
- Scholz: Ungewöhnlich emotionale Rede zum Ukraine-Krieg sorgt für Aufsehen
- Steffen Hebestreit im Interview: “Du darfst nicht lügen”
- Analyse: Warum die Medienpräsenz bestimmter Politiker:innen kein Zufall ist
Social Media
- Truth Social: Donald Trump postet erstmals auf eigenem Netzwerk
- Meta: Bericht: Facebook und die Unklarheit über die Nutzerdaten & Algorithmus: Originäre Instagram Inhalte erhalten mehr Sichtbarkeit
- Fake News: “Fake News” in den sozialen Medien: Was kann getan werden? (englisch)
Podcast
- NDR Info Corona-Podcast: Was bei der Kommunikation schiefgelaufen ist mit Cornelia Betsch & Mirjam Jenny
Nachruf: Ursula Lehr
“Ursula Lehr galt als Pionierin der Alternsforschung. Die CDU-Politikerin, Gerontologin und ehemalige Bundesfamilienministerin verstarb jetzt im Alter von 91 Jahren.” (ZEIT)
Viele Menschen, die sich politisch engagieren oder journalistisch tätig sind, erleben in den vergangenen Jahren immer häufiger Einschüchterungen, Hass oder sogar körperliche Gewalt. Wie sich das anfühlt und was solche Übergriffe mit den Betroffenen machen, dokumentieren Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die Schriftstellerin Gunna Wendt in ihrem Buch. In mehreren Porträts lassen sie dazu Personen aus der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik sowie aus dem Journalismus zu Wort kommen. Zugleich thematisieren sie die gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen der Verrohung in der politischen Auseinandersetzung – sowie die Handlungsmöglichkeiten, damit demokratisches Engagement dadurch nicht weiter beeinträchtigt wird.
“Daily Show”-Moderator Trevor Noah übernahm beim diesjährigen White House Correspondents’ Dinner den komödiantischen Teil des Abends und teilte ordentlich in alle Richtungen aus – aber er schlug auch ernsthafte Töne an und erinnerte eindrücklich daran, was es nicht nur für Journalist:innen bedeutet, in einem freien Land zu leben und warum man diese Freiheit nie für selbstverständlich halten darf.
Job der Woche
Fellowship der Woche
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Event der Woche
Di, 03.05.2022 | 18:00-19:30 Uhr
Der Green Deal nach der “Zeitenwende”
Heinrich-Böll-Stiftung | Stiftungen | Online Veranstaltung
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Hass im Netz ist eine Initiative von jugendschutz.net. Ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung rechtsextremistischer und islamistischer Inhalte im Internet. Dafür werden jugendschutzrelevante Entwicklungen langfristig beobachtet, Website-Betreiber:innen sensibilisiert und die Medienkompetenz junger Menschen gestärkt. Hass im Netz ist Teil des Bundesprogramms Demokratie leben! und wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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