Atomkraft, danke das war’s und GAU bei Springer

Die politnews vom 17. April 2023
Ampel-Sprache verwirrt | Neues Portal gegen Verschwörungsmythen | Europäischer Stiftungsatlas | Hass im Netz | Neues Politik-Format im Frühstücksfernsehen u. v. m.

WAHLTREND: Parteiübergreifende Stagnation | BUCH: Demokratie im Feuer | TWEET: Das Fachblatt für harte Debatten | STAKEHOLDER: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine der am erbittertsten geführten politischen Debatten Nachkriegsdeutschlands hat am Samstag ihr vorläufiges Ende gefunden: Mit Neckarwestheim 2, Emsland und Isar 2 gingen die letzten drei Atommeiler vom Netz. Die Ära der Kernkraft in Deutschland ist nach 60 Jahren vorbei. Zum Schluss haben die AKWs noch ca. sechs Prozent des deutschen Strombedarfs beigesteuert, waren inmitten der kriegsbedingten ad-hoc-Energiewende aber auch eine verlässliche Quelle. Doch die energiepolitische Dimension ist nur ein Aspekt, die partei- und gesellschaftspolitische ein anderer.

  • Eine Chronik der Anti-Atomkraft-Bewegung und wie sie unsere Gesellschaft geprägt hat, bietet der DLF.
  • Die Bedeutung für die Grünen erläutert der Historiker Frank Uekötter im SWR-Interview
  • Ein Rückblick in Bildern hat der Stern aufbereitet.

Auch der Ausstieg war lange Konsens, doch laut Deutschlandtrend halten derzeit fast 60 % der Befragten die Entscheidung für falsch, nur ein gutes Drittel findet das richtig. Egal, zu welcher Gruppe man gehört: Deutschland steht mit dem AKW-Exit recht alleine da: In Europa haben nur Spanien und die Schweiz den Ausstieg beschlossen. In beiden Fällen kann das aber noch mindestens 12 Jahre dauern. Die meisten Ländern bauen sogar Kapazitäten zu. Weitere Hintergründe zum Abschied von der Atomkraft:

  • In einem Offenen Brief an den Bundeskanzler fordern 20 Wissenschaftler:innen, u. a. zwei Physik-Nobelpreisträger, den Weiterbetrieb.
  • Eine kleine Presseschau mit internationalen Reaktionen gibt es bei Eurotopics.
  • Wie die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung nach Fukushima eine abrupte Kehrtwende in ihrer Atompolitik hingelegt hat, dokumentierte die Süddeutsche in einer Zitatsammlung von 2011

Ein Datum passte nicht mehr auf die Übersicht: Die Brennstäbe, die nun aus den heruntergefahrenen Meilern kommen, werden noch etwa 250.000 Jahre Radioaktivität abgeben.

Ganz so lange wird es nicht dauern, bis Mathias Döpfner wieder was zu Lachen hat, doch derzeit bekommt der Springer-Chef harten Gegenwind. Die Zeit hat interne Chats öffentlich gemacht (€), in denen Döpfner unfreiwillig Einblicke in seine Gedankenwelt gewährt. Kondensat: Ostdeutsche sind entweder Faschisten oder Kommunisten, der Klimawandel ist eine gute Sache und die FDP sollte vor der Bundestagswahl 2021 hochgeschrieben werden. Dass die BILD insbesondere gegen die Grünen Kampagnen-Journalismus betrieben hat, ist nichts Neues. Auch nicht, dass Springer-Vertreter:innen kontinuierlich den Öffentlich-Rechtlichen Parteinahme für “Rot-Grün” vorwerfen. Dass nun der eigene Verlagschef verlangt, die FDP müsse “bei 16 % landen”, spricht vor diesem Hintergrund für sich. Man stelle sich nur für einen Moment lang vor, was in der Rudi-Dutschke-Straße los wäre, hätte ein ÖRR-Intendant so etwas über andere Parteien gesagt.

Die Reaktionen folgten auf dem Fuße: Ostbeauftragter Carsten Schneider hält Döpfner für nicht mehr tragbar. Auch für Bundeskanzler Olaf Scholz sind die Aussagen über Ostdeutsche “absolut inakzeptabel”. Bekanntermaßen hatte Axel Springer selbst den Kampf gegen die Unfreiheit in der DDR zu einem seiner Lebensziele erkoren, worauf der Verlag heute stolz hinweist. Dass Döpfner nun ausgerechnet Ostdeutschland als Ganzes diffamiert, dürfte nicht im Sinne des Verlegers gewesen sein.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht hingegen keinen Handlungsbedarf und hält die Berichterstattung aufgrund der Leaks für “rechtlich grenzwertig und für moralisch problematisch”. Gabor Steingart bewertet Döpfners Textnachrichten als “würziger und kantiger als viele Leitartikel” und bangt um den Publizisten-Kollegen, der nun ein “Stier im Eunuchen-Aufstand” sei. Weitere Hintergründe zu den Döpfner-Chats:

  • Die krassesten Zitate aus dem aktuellen Leak,  u. a. über Kai Diekmann, Thomas Kemmerich oder Donald Trump, hat die Berliner Zeitung zusammengestellt.
  • Warum Döpfner gegen die eigenen Springer-Compliance-Regeln verstoßen hat, erklärt der Rechtsanwalt Felix W. Zimmermann.
  • Die BILD reagiert mit einem seltenen Einblick aus dem Inneren ihrer Redaktion.
  • Stefan Niggemeier nimmt uns mit (€) auf eine Geisterbahnfahrt durch die Gedankenwelt von Mathias Döpfner.
  • Der Guardian fasst den aktuellen Skandal aus internationaler Perspektive zusammen.

Am Wochenende entschuldigte sich Döpfner auf bild.de. Er schreibe im Privaten manchmal “ins Unreine” und konnte sich nicht vorstellen, dass diese Worte mal an die Öffentlichkeit geraten (sic!). Nein, das konnte nun wirklich niemand ahnen, dass Medien aus privaten Nachrichten zitieren. Besonders nicht als Vorstandsvorsitzender eines Medienhauses, dessen Boulevard-Zeitung bekanntermaßen vom Durchsuchen von Mülltonnen bis hin zur Veröffentlichung von WhatsApp-Nachrichten eines Kindes, dessen Geschwister gerade getötet worden sind, ein recht umfangreiches Portfolio an Recherche-Methoden hat, um Auflage zu machen (siehe auch den Tweet der Woche). Eine Begriffsklärung von “privat” und “öffentlich” und journalistischer Ethik unternimmt der stellvertretende Chefredakteur der ZEIT, Holger Stark, in einem Twitter-Thread.

Wie die geleakten Nachrichten an die ZEIT gespielt worden sind, ist unklar. Doch der Verdacht, dass Julian Reichelt dabei eine gewisse Rolle spielt, drängt sich auf. Der Ex-Bild-Chef, der mit seinem YouTube-Kanal mittlerweile Verschwörungserzählungen und Hetze jenseits von Gut und Böse verbreitet (Analyse des Tagesspiegels), hat mit seinem ehemaligen Chef noch eine Rechnung offen.

  • Kress.de mit einer Zusammenfassung der Spekulationen um die Quelle und einem Presse-Echo.
  • Warum und wie Reichelt  damals überhaupt im “Boys Club” Springer agieren konnte, arbeitet zudem ein neuer Podcast auf.

Bisher ohne größere Leaks verlaufen die Regierungsvorbereitungen in Berlin. Derzeit stimmt die Berliner SPD über den Koalitionsvertrag mit der CDU ab (hier gibt es den Entwurf). Die Mindestbeteiligung von 20 % ist schon erreicht: 27 % der Parteimitglieder (insgesamt knapp 19.000) haben bis letzten Donnerstag ihre Stimme abgegeben. Bis Freitagnacht läuft die Abstimmung noch, am Sonntag soll das Ergebnis verkündet werden. Bei einer Zustimmung steht die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am 26. und die Wahl von Kai Wegner zum neuen Regierenden Bürgermeister am 27. April an.

  • Wie die Pro- und Kontra-Kampagnen innerhalb der SPD geführt werden, beleuchtet Kristina Dunz beim RND.
  • Voraussichtlich heute wird sich die Berliner SPD-Spitze über ihre Senatsposten verständigen, während die Kandidat:innen bei der CDU schon länger auserkoren sind.

Sollte die SPD-Basis den Koalitionsvertrag ablehnen, gibt es eigentlich nur zwei mehr oder weniger denkbare Optionen zur Regierungsbildung: Entweder Rot-Grün-Rot setzen ihr aktuelles Bündnis fort, was aufgrund der gescheiterten Sondierungen und des knappen SPD-Vorsprungs vor den Grünen von nur 53 Stimmen bei der Wahl eher unwahrscheinlich ist. Oder CDU und Grüne müssen zusammenfinden. Sollten diese Optionen nicht zustande kommen, könnte es theoretisch zu einer dritten Abgeordnetenhauswahl innerhalb von zwei Jahren kommen. Das wäre aber selbst in Berlin nicht zu vermitteln. 

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

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Politticker
Neues Portal gegen Verschwörungsmythen

Der russische Angriffskrieg, Q-Anon oder die “Neue Weltordnung”: Dies sind einige der gängigsten Themen für Verschwörungsmythen – und damit Inhalte, mit denen sich das neue Internetportal “Der Fabulant” beschäftigt. Ziel des Projekts, das vom Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung entwickelt wurde, ist die Aufklärung der Bevölkerung über Falsch- und Desinformation. Es soll Fakten und Gegenargumente vermitteln und so die Handlungsfähigkeit und den kritischen Umgang mit Informationen im Internet stärken. Das Portal richtet…

Politik im Frühstücksfernsehen

Im Sat.1-Frühstücksfernsehen gibt es ein neues politisches Format: Seit letzter Woche kommentiert BCW-Vizepräsident Ferdinand Sacksofsky jeden Freitag in den “Themen der Woche” aktuelle politische Entwicklungen. Das Format wird dabei nicht nur im TV, sondern auch über Social Media ausgespielt und kann auf Instagram, Facebook und TikTok nachgeschaut werden. Vergangene Woche ging es etwa um die Erhöhung des Arbeitslosengelds, die Cannabis-Legalisierung und Klimaproteste in Berlin.

Über 7.500 Anzeigen von Hass im Netz

Seit Anfang Februar 2022 bietet die beim BKA angesiedelte Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) eine Anlaufstelle für die Anzeige von Hass im Internet. Seitdem prüfte sie rund 7.500 Fälle von Hass und Hetze online, so ein Sprecher des BKA. Von diesen Fällen waren ca. drei Viertel strafrechtlich relevant, von denen 77% zu Ermittlungen an eine örtlich zuständige Strafverfolgungsbehörde weitergegeben werden konnten. Die Anzeige dieser Fälle beim ZMI…

Europäischer Stiftungsatlas

Über 850 Bürgerstiftungen finden sich in Europa. Um darüber einen Überblick zu bekommen, hat die European Community Foundation Initiative den Atlas of Community Foundations entwickelt: Dieser Online-Atlas zeigt die geografische Verteilung europäischer Stiftungen und bietet zudem Informationen über die Website, Social Media-Kanäle und das Gründungsjahr der Stiftungen. Bei der Erstellung des Atlas wurden 22 europäische Staaten berücksichtigt und die Informationen werden regelmäßig aktualisiert.

Ampel-Sprache für Mehrheit der Bevölkerung verwirrend

“Doppel-Wumms”, “Gasumlage” und “Kindergrundsicherung”: Eine Mehrheit der Deutschen kann mit diesen von der Ampel-Koalition geprägten Begriffen wenig anfangen, wie eine forsa-Umfrage zeigt. Demnach wissen etwa zwei Drittel der Bürger:innen nicht, was mit dem Vorhaben der Kindergrundsicherung überhaupt gemeint ist. Gleichzeitig verlieren die Ampel-Parteien an Rückhalt in der Bevölkerung – zugunsten der Opposition: Klientelpolitik und anhaltende Uneinigkeiten führen zur Unzufriedenheit bei den Wähler:innen, so weitere Ergebnisse der Umfrage.

Wahltrend
13.04.

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Jonas Schaible

Demokratie im Feuer

Die aktuellen deutschen Debatten über den endgültigen Atomausstieg oder ein Verbot neuer Gasheizungen geben einen Vorgeschmack auf die kommenden politischen Auseinandersetzungen in Zeiten des sich verschärfenden Klimawandels. Denn da man physikalische Gesetze zwar leugnen, aber nicht mit ihnen verhandeln kann, werden sich die Menschen letztlich gemeinsam einigen und an veränderte klimatische Bedingungen anpassen müssen. Doch was bedeutet Demokratie in Zeiten der Klimakrise? Und wie lässt sie sich unter solchen Bedingungen noch bewahren?

Um diese Fragen geht es Jonas Schaible in seinem Buch. Seine These: Demokratie und eine bewohnbare Erde bzw. Freiheit und Klimaschutz bedingen sich gegenseitig. Der SPIEGEL-Redakteur beschreibt dabei eindrücklich die Jahrhundert-Herausforderung der Erderwärmung, die Fragilität sozialer Systeme, die negative Ökobilanz autoritärer Staaten sowie die Gefahr einer Radikalisierung von Politik, wenn notwendige Entscheidungen zum Klimaschutz noch weiter hinausgezögert werden und die prognostizierten dramatischen Folgen des Klimawandels immer sichtbarer werden. Zugleich weist er aber auch auf bestehende Unsicherheiten hin.

Schaible plädiert für eine “wehrhafte Klimademokratie”, die gezwungenermaßen die Verteilung begrenzter Ressourcen neu regelt (man blicke aktuell nur nach Frankreich, wo bereits im Frühjahr dem Wassermangel vorgebeugt werden muss). Für entsprechende Neuerungen im politischen Betrieb macht er auch einige Vorschläge, z.B. Bürgerräte, das Wahlrecht für Jüngere, Veto-Optionen oder neue Klimabehörden, um nur einige seiner Ideen zu nennen.

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@ChrisStoecker

Das Fachblatt für harte Debatten

Es ist oft schwierig mit Selbstbild und Fremdwahrnehmung. Christian Stöcker, seines Zeichens Kognitionspsychologe und Journalist, bringt das Verständnis der BILD-Zeitung von “harten Debatten” und “privaten Äußerungen” in seinem Tweet auf den Punkt.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
Bundesamt

Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) befasst sich als zentrale Fachbehörde des Bundes mit dem Umgang mit den Hinterlassenschaften der Atomenergie. Zu diesem Zweck führt das BASE Aufsichts- und Regulierungsverfahren zur End-/Zwischenlagerung sowie zum Transport nuklearer Abfälle durch. Zudem koordiniert die Behörde die Unterstützung, Beratung und Forschung in diesen Themenbereichen. Das 2014 gegründete Amt mit Hauptsitz in Berlin wird aktuell vom Diplomingenieur Wolfram König geleitet.

Gregor Bauer

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Das Redaktionsteam
17. April 2023