Liebe Leserin, lieber Leser,
auch ein kleines Stück Stoff kann große Macht haben – das hat die vergangene Woche gezeigt. Die sogenannte One-Love-Armbinde (mehr zur Bedeutung des Symbols in den Stuttgarter Nachrichten), die Manuel Neuer, Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, eigentlich zum Auftaktmatch der massiv kritisierten WM in Katar tragen wollte, hat für große Aufregung gesorgt. Die Grundsatzfrage dabei: Wie stark dürfen “politische” Zeichen von Sportlern oder Sportverbänden sein, wenn es um die Verteidigung solcher Selbstverständlichkeiten wie Menschenrechte und das diskriminierungsfreie Leben von Homosexuellen geht? Denn auf kurzfristig ausgeübten großen Druck der FIFA entschied der DFB: Neuer wird die Binde nicht tragen. Er schloss sich damit der Entscheidung der anderen europäischen Verbände an, die ebenfalls vor dem Fußballweltverband einknickten. Ein Zeichen setzte das DFB-Team dann dennoch beim Gruppenfoto. Der englische Kapitän Harry Kane schmuggelte den Regenbogen dagegen auf seine eigene und kostspielige Art ins Stadion.
Die Konsequenzen wären für Neuer und die deutsche Mannschaft keineswegs dramatisch gewesen. Eine Gelbe Karte sowie eine Geldstrafe, im allerschlimmsten Fall Punktabzug – mehr geben die FIFA-eigenen Statuten gar nicht her. Wie sich nun herausgestellt hat, haben die sieben europäischen Verbände einen kardinalen Fehler bereits im Vorfeld der Debatte gemacht – und er ist schnöder, formaler Natur. Die Einzelheiten hat Thomas Kistner für die Süddeutsche Zeitung aufgeschrieben.
Die Bundesinnenministerin konnte die FIFA freilich nicht dafür belangen, dass sie beim Auftaktspiel der Nationalmannschaft gegen Japan mit der verbotenen Binde am nackten (!) Arm erschien. Und immerhin diese Armbinde wird die Weltmeisterschaft in Katar überdauern. Sie wird künftig im Haus der Geschichte für die Ewigkeit bekommen.
- Kult-Moderator Gerhard Delling hat im Bayerischen Rundfunk erklärt, dass der DFB dennoch zur One-Love-Binde hätte stehen sollen.
- Maximilian Rieger argumentiert im Deutschlandfunk, warum er die Entscheidung des DFB für feige hält.
- Die Rheinische Post berichtet, was die schwedische Fußballspielerin Nilla Fischer, die die Kapitänsbinde in Regenbogenfarben einst nach Deutschland brachte, zu der Entscheidung der FIFA sagt.
- Human Rights Watch hat einen Leitfaden für Journalist:innen erstellt, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen über die WM in Katar berichten.
- Statt der OneLove-Binde schaffte es aber die russische Flagge aufs WM-Spielfeld. Die Hintergründe hat heute.at.
Im Haus der Geschichte wird Sebastian Czaja, der Vorsitzende der Berliner FDP, mit seiner PR-Aktion rund um die gerichtlich angeordnete Öffnung der Friedrichstraße, die seit dem 29. August 2020 für den Autoverkehr gesperrt war, aller Voraussicht nach nicht landen. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass diese hoch umstrittene Sperrung spätestens bis zum 23. November dieses Jahres aufgehoben werden müsse. Die autoaffine Berliner FDP ließ es sich in Gestalt ihres Chefs dann nicht nehmen, diesen Stichtag im Zuge des Wahlkampfs anlässlich der vergangene Woche angeordneten Wiederholung der Wahl des Abgeordnetenhauses ordentlich zu zelebrieren. Und so stiefelte Czaja in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag los und entfernte öffentlichkeitswirksam im Instagram-Video eine Bake von der Friedrichstraße, um die Aufhebung der Sperrung zu feiern – und gleichzeitig die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch anzuzählen, die um Mitternacht nicht anwesend war. Eine Aktion, die die Berliner AfD vor Kurzem in ähnlicher Weise inszenierte.
- Ingo Schramm hat für den Tagesspiegel eine Glosse über den Streit zwischen den Grünen und Czajas FDP zur Causa Friedrichstraße geschrieben.
- Ebenfalls im Tagesspiegel berichtet Julius Betschka über die Kündigung des Pressesprechers der Berliner Grünen, Christian Storch, der zuvor Sebastian Czaja wegen seiner Aktion auf der Friedrichstraße angezeigt hatte.
- Birgit Lotzke erklärt in der Berliner Morgenpost, warum der Streit um die Autofreiheit der Friedrichstraße noch nicht zu Ende ist.
Bei der Wahlwiederholung in Berlin kann das neu gegründete „Bündnis Deutschland” zwar noch nicht antreten, will das aber bald bei anderen Wahlen tun. Die neue Kleinstpartei, die in der vergangenen Woche ihre Gründung bekannt gegeben hat, will unter anderem von der Union enttäuschte Anhänger:innen ansprechen, denen die AfD zu radikal ist. Unter den Gründungsmitgliedern sind ehemalige Mitglieder von CDU, CSU, SPD, FDP, AfD sowie der Liberal-Konservativen Reformer (LKR).
- Die Welt hat die Pressekonferenz anlässlich der Parteigründung begleitet, das Video mit Ausschnitten gibt es hier.
- Tatjana Söding kommentiert in der taz, warum das „Bündnis Deutschland” aktuell wenig Neues und Kreatives vorzuweisen hat, das zumindest rhetorisch nicht schon von Union, FDP und AfD abgedeckt werden würde.
- David Gebhard schreibt für das ZDF über die Erinnerungen, die das „Bündnis Deutschland” an die frühe Zeit der AfD weckt.
- Christoph Ullrich hat für den WDR bei der AfD nachgefragt, wie groß die Sorgen angesichts der unter Beteiligung ehemaliger Mitglieder neu gegründeten Partei-Konkurrenz sind.
„Gegen jede Ideologie” sei die neu gegründete Partei, ließ sie wissen. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent bei Verdienstorden plant (was auch im linkeren Spektrum nicht nur für Applaus sorgte), dürfte ihr wohl trotzdem nicht in den Kram passen.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff
- Redakteur:in (m/w/d)Redakteur:in (m/w/d)Zentrum Liberale Moderne | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist: laufend | Kreation
- Mitarbeiter:in (m/w/d) Bundesweite Information und Fortbildung für rassismuskritische SchulenMitarbeiter:in (m/w/d) Bundesweite Information und Fortbildung für rassismuskritische SchulenLIFE – Bildung Umwelt Chancengleichheit e. V. | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist:…
- Mitarbeiter:in (m/w/d) diskriminierungskritische Beratung, Begleitung und Fortbildung von SchulenMitarbeiter:in (m/w/d) diskriminierungskritische Beratung, Begleitung und Fortbildung von SchulenLIFE – Bildung Umwelt Chancengleichheit e. V. | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist:…
- Referent:in (m/w/d) für die politische Interessenvertretung – Schwerpunkt private Altersvorsorge und VertriebsregulierungReferent:in (m/w/d) für die politische Interessenvertretung – Schwerpunkt private Altersvorsorge und VertriebsregulierungVerband öffentlicher Versicherer (VöV) | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist:…
- Referent:in (m/w/d) Altersvorsorge und RentenpolitikReferent:in (m/w/d) Altersvorsorge und RentenpolitikGDV Gesamtverband der Versicherer | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist: laufend | Referent:in
- Co-Founder: Business Development (m/w/d)Co-Founder: Business Development (m/w/d)Open Parliament TV | Remote | Bewerbungsfrist: laufend | Leitung & Management
- Trainee Program – Health Policy (m/w/d)Trainee Program – Health Policy (m/w/d)PIVOT Regulatory | Berlin, Deutschland | Bewerbungsfrist: laufend | Beratung
- Director (m/f/x) Focus Energy & ResourcesDirector (m/f/x) Focus Energy & ResourcesBrunswick | Berlin, Germany | München, Germany | Frankfurt, Germany | Bewerbungsfrist: laufend | Adviser,…
Nur noch 68 % der Deutschen, die unter der Armutsgrenze leben, empfinden die Demokratie als die beste Staatsform. Das geht aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Demnach meinen lediglich 59 %, dass die Demokratie in Deutschland gut funktioniere. Die Zustimmung zur Demokratie als beste Staatsform liegt damit elf Prozentpunkte unter den Werten der Gesamtbevölkerung, die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland liegt 14 Prozentpunkte darunter.
Mit Joan geht eine neue politische Kommunikationsagentur an den Start. Unter dem Motto „Politisches Marketing. Reflektiertes Marketing. Geiles Marketing” wollen die Gründer:innen um Rosa Miriam Reinhardt eine neue Form der politischen Kommunikation für Organisationen und Unternehmen mit politischem Anliegen schaffen. Dabei sollen die Kommunikationsstrategien unter anderem mithilfe von Erkenntnissen aus der Kognitionswissenschaft geformt werden.
Das Institute for Internet and Democracy an der Heinrich‐Heine‐Universität Düsseldorf veranstaltet im kommenden Jahr die gemeinsame Tagung diverser Forschungsgruppen zu politischer Kommunikation. Im Mittelpunkt werden dabei die Aspekte Künstliche Intelligenz, Konflikte und Konventionen in der politischen Kommunikation stehen. Bis zum 30. Januar 2023 können Interessierte noch Beiträge für die Tagung einreichen.
51 Prozent der Bundesbürger sind für die Abschaffung einheitlicher Diäten im Bundestag und in Landtagen. Dies ergab eine Umfrage des Insa-Instituts. Demnach ist eine Mehrheit für den Vorschlag, Abgeordnete entsprechend dem Gehalt ihres vorherigen Jobs zu entlohnen. 26 Prozent der Befragten lehnten dies ab, während 23 Prozent unentschlossen waren.
Zwei Initiativen wurden erstmals mit dem Ehrenamtspreis für jüdisches Leben in Deutschland ausgezeichnet. Der neu gestiftete Preis soll zur Sichtbarkeit jüdischen Lebens beitragen. Unter den Preistragenden befindet sich die Projektgruppe „Jüdisches Halle – gestern und heute”, die durch die Entwicklung eines digitalen Stadtrundgangs jüdisches lokales Leben in Halle erlebbar macht. Auch der „Jüdische Salon am Grindel e.V.” wurde für sein Engagement geehrt, da die Initiative aus Hamburg einen Ort…
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Jutta Falke-Ischinger & Daniel Goffart
Der Unbeugsame. Friedrich Merz, die Union und der Kampf um die Macht
Friedrich Merz ist seit einem dreiviertel Jahr der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. Und schaut man auf die Umfragewerte der Parteien, scheint er seinen Job solide zu machen – wären da nicht immer wieder Ausflüge ins populistische Metier, z.B. gegenüber ukrainischen Flüchtlingen oder Aktivist:innen der Letzten Generation. Doch wie ist Friedrich Merz eigentlich wirklich als Politiker und Person? Wie tickt und arbeitet er? Diesen Fragen gehen Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart in ihrem Buch nach.
Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um eine Werbebroschüre mit bloßen Lobeshymnen auf Merz. Vielmehr beleuchten die beiden Journalisten die biografischen Hintergründe des CDU-Chefs, sein schwieriges Verhältnis zu Angela Merkel und die in ihn gesetzten Hoffnungen der Konservativen hierzulande. Dabei kommen auch die Stärken und Schwächen von Merz zur Sprache: Einerseits sei er intelligent und rhetorisch brillant, andererseits fehle es ihm an Popularität und Sympathie in der Bevölkerung. Und durch mangelnde Impulskontrolle mache er sich immer wieder selbst das politische Leben schwer. Man darf gespannt sein, ob der „unbeugsame” Merz bis zur nächsten Bundestagswahl daran arbeiten wird – denn wahrscheinlich wird dies für den 67-Jährigen die letzte Chance aufs Kanzleramt sein.
Die Buchempfehlung finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.
Benjamin Triebe
Buschmann’sche Einordnung
Die Debatte rund um die Aktionen der Letzten Generation riss auch in der vergangenen Woche nicht ab – im Gegenteil, sie verschärfte sich. Konservative Politiker:innen forderten hartes Durchgreifen, unter anderem der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der auf Twitter Nancy Faeser und Marco Buschmann aufforderte, „diese Klima-Kriminellen” einfach wegzusperren. Der Bundesjustizminister antwortete trocken mit einer kurzen Nachhilfestunde im Fach Rechtsstaat.
Mareile Ihde
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Das Haus der Geschichte in Bonn ist eines von vier Museen der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Anhand der Dauerausstellung „Unsere Geschichte“ sowie bis zu vier weiteren Wechselausstellungen wird hier deutsche Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkriegs präsentiert. Dazu kommen weitere Veranstaltungen, Online-Angebote und Publikationen, die aktuelle sowie zeithistorische Themen behandeln. Jährlich erleben so rund 850.000 Besucher:innen interaktiv deutsche Zeitgeschichte, bald wohl auch anhand von Innenministerin Nancy Faesers „One Love“-Armbinde.
Gregor Bauer
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