Ampel ohne mannschaftliche Geschlossenheit

Die politnews vom 05. Dezember 2022

GovTech-Standort Deutschland | Neues Online-Magazin für strategische Politikgestaltung | Erste nationale Strategie gegen Antisemitismus | Call für re:publica 2023 | Deutschland mit positivem internationalen Einfluss u. v. m.

WAHLTREND: Alle verlieren, bis auf Union und Linke | BUCH: Der seltsame Sieg. Das Comeback der SPD und was es für Deutschland bedeutet | TWEET: Die AfD ist Schuld | STAKEHOLDER: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung

Liebe Leserin, lieber Leser,

von vorweihnachtlicher Stimmung war in der vergangenen Woche im Bundestag wenig zu spüren. Die Debatte um die Modernisierung des Einwanderungsrechts wurde – auch innerhalb der Koalition – enorm hitzig geführt. Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem festgehalten, die Einwanderung von Fachkräften einerseits fördern zu wollen (und das muss sie auch), gleichzeitig geht es andererseits in einem zweiten Prozess darum, die Einbürgerung für gut integrierte Menschen zu erleichtern und zu verkürzen. Genau das wollen aber nicht (mehr) alle.

Die Union sparte nicht mit Kritik, die auch teilweise ins Unsachliche abgleitete. So wurde vor dem “Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft” oder “Billigware wie beim Black Friday” gewarnt. Dafür gab es auch Kritik aus den eigenen Reihen. Aber auch die FDP wollte vorerst nichts von einer verkürzten Möglichkeit hören, deutsche:r Staatsbürger:in werden zu können – obwohl es sich dabei um eine Position handelt, die sich fast genauso in ihrem Wahlprogramm wiederfindet.

  • Der Spiegel hat recherchiert, woher der Sinneswandel bei den Liberalen kommt.
  • Kommunikationsexperte Chris Pyak beschreibt in einem Twitter-Thread, warum die Debatte an der Realität der globalisierten Wirtschaft im “War on Talents” vorbeiläuft.
  • Eine besonders eindrucksvolle parlamentarische Note ist in diesem Zuge von Armin Laschet überliefert.
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Selbst ohne den Zoff um das Einwanderungsrecht: SPD, Grüne und die FDP werden am 1. Ampelgeburtstag am 8. Dezember auf ein intensives erstes Jahr zurückblicken. Die Koalitionäre haben sich nicht viel geschenkt. Das letzte Beispiel ist FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der in aller Öffentlichkeit anzweifelt, ob SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach bis Ende der Legislatur im Amt bleiben wird.

Während die FDP auf Landesebene viele Niederlagen schlucken musste und nach der Meinung von Beobachter:innen auf der Suche nach sich selbst und dabei nicht immer orientiert wirke, sahen sich die Grünen in Regierungsverantwortung damit konfrontiert, Grundpfeiler ihrer Identität einzureißen: Atomkraft-Comeback, weiterlaufende Kohlekraftwerke, Waffenlieferungen in die Ukraine und zuletzt ein viel kritisierter Gas-Deal mit Katar – das grüne Selbstverständnis musste sich auch schmerzhaft an die viel besungene “Zeitenwende” anpassen, die Bundeskanzler Olaf Scholz ausrief. Der Begriff ging übrigens um die Welt und wird mittlerweile sogar in Debatten in den USA benutzt.

Und was macht Scholz’ SPD? Fragt man den Historiker Dietmar Süß (siehe auch das Buch der Woche), ist sie am wenigsten sichtbar in der Ampel. Scholz ist dennoch zufrieden mit der Arbeit des vergangenen Jahres – und mit sich. Die Bevölkerung sieht das etwas anders: Nach einer aktuellen Meinungsumfrage hätte das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP im Parlament keine Mehrheit mehr.

  • Bundeskanzler Olaf Scholz habe durchaus eine Reihe richtiger Entscheidungen getroffen, kommentiert Nicolas Richter in der Süddeutschen Zeitung.
  • Das ZDF-Magazin “Inside PolitiX” hat den Koalitionären Zeugnisse ausgestellt. Die ganze Folge und alle Noten gibt es hier.
  • Die Parlamentsredaktion der taz hat sich Gedanken gemacht, welche Updates der Koalitionsvertrag der Ampel nach einem Jahr Dauerkrise vertragen könnte.
  • Sebastian Huld kommentiert für ntv, wer mit dem Wissen des vergangenen Jahres Gewinner des Koalitionsvertrages ist.

Eine Zeitenwende ganz anderer Art hat übrigens die deutsche Fußballnationalmannschaft hingelegt, die zum zweiten Mal in Folge die WM-Vorrunde nicht überstand. Das einzige Vorrunden-Debakel vor 2018 hatte politische Gründe, wie der kicker kontextualisiert. Unser Tweet der Woche weiter unten legt dazu noch eine andere Korrelation offen.

In Katar ging es für die DFB-Elf dabei nicht nur um Fußball, sondern auch um die Frage, wie deutlich sie sich politisch positionieren sollte, nachdem die FIFA die “One-Love”-Binde verboten hatte. Nun berichtet die Sportschau, dass nur zwei Spieler explizit für das Zeichen waren und beschreibt, wie der DFB unter Druck geriet.

Was das Jahr 2022 auch mit sich bringt: Es ist das erste, aus dem die Frauen-Fußballnationalmannschaft mit einer höheren Einschaltquote geht als ihre Kollegen: Die 1:2 EM-Niederlage der Damen gegen England lockte knapp eine halbe Million mehr TV-Zuschauer:innen als der 4:2-Sieg der Herren gegen Costa Rica.

Zum Abschluss noch drei parlamentarische Randnotizen: 

  • In der vorletzten Sitzungswoche des Jahres diskutierte der Bundestag die Vereinbarkeit und Beruf und Familie. Um 23:30 Uhr.
  • Dafür, dass trotz Koalitionsgezänk Weihnachtsstimmung einzieht, soll jetzt der nachhaltige Weihnachtsbaum aus Pappe sorgen.
  • Ganz übel hatten es dann die MdB erwischt, die nach der Nachtsitzung auch noch mit dem vollen ICE liegengeblieben sind. Der RND hat die Twitter-Erfahrungen der Parlamentarier:innen ohne Strom und Toiletten auf offener Strecke zwischen Berlin und Hamburg zusammengestellt.

 

 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

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Umfrage zum GovTech-Standort Deutschland

Deutsche GovTech-Startups haben in der Zusammenarbeit mit öffentlichen Verwaltungen vor allem Kreise und Kommunen als Hauptkunden (52%), der Verkaufsprozess gestalte sich aber recht langwierig (77%). Dies ist eines der Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter GovTech-Gründer:innen, die vom baden-württembergischen InnoLab_bw und dem Technologieunternehmen GovMind durchgeführt wurde, um herauszufinden, wie Startups mit dem öffentlichen Sektor zusammenarbeiten.

Neues Online-Magazin für strategische Politikgestaltung

Mit „Freiheit|Macht|Politik“ startet ein neues Online-Magazin zu den Themen strategische Politikgestaltung und Analyse. Die Inhalte werden sich im „Spannungsfeld von Macht und Freiheit“ bewegen und sollen Lösungsansätze für die Politikgestaltung präsentieren. Die Redaktion besteht aus Dominik Meier, Christian Blum und Konstantin Bätz; in den ersten Gast-Beiträgen geht es z.B. um Meinungsfreiheit oder die Gestaltungsmacht von KI-Systemen.

Erste Nationale Strategie gegen Antisemitismus

Zum ersten Mal hat die Bundesregierung vergangene Woche eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus beschlossen. Ziel ist es, jüdische Lebensrealitäten in Deutschland sichtbarer zu machen und Antisemitismus auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen entgegenzutreten. Anhand von fünf zentralen Handlungsfeldern und drei Querschnittsdimensionen soll die Strategie diversen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen bei der Antisemitismusbekämpfung Orientierung bieten und für die praktische Arbeit genutzt werden.

Deutschland mit positivem internationalen Einfluss

Deutschland kann die internationale Politik in den kommenden Jahren positiv beeinflussen, finden 75 % der Befragten einer Ipsos-Umfrage. Für seinen “World Affairs Report” hat das Marktforschungsunternehmen 32.000 Menschen in 33 Ländern befragt. Besser als Deutschland schneidet bei den Befragten nur Kanada ab (81 %), die Wahrnehmung der USA verbessert sich, während Russland drastisch an Ansehen verliert.

Call für re:publica 2023

Unter dem Motto „Cash” veranstaltet die re:publica Berlin auch im kommenden Jahr das seit 2007 stattfindende Festival für die digitale Gesellschaft. Zu den Leitthemen zählen unter anderem der Einfluss des technologischen Fortschritts auf die Arbeitswelt, Veränderungen durch Digitalisierung auf die Vermittlung von Wissen und digitale Tools für den Umweltschutz. Wer dazu eigene Ideen oder Beiträge einbringen möchte, kann das noch bis zum 14. Februar 2023 tun.

Wahltrend
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Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Dietmar Süß

Der seltsame Sieg

Am 8. Dezember jährt sich die Kanzlerwahl von Olaf Scholz zum ersten Mal. Der zugrunde liegende Sieg der SPD bei der Bundestagswahl vor 14 Monaten wirkt auch in der Rückschau immer noch wie ein politisches Märchen, wenn man bedenkt, in welcher desolaten Lage sich die Partei vor nicht allzu langer Zeit befand. Dieses Comeback analysiert der Zeithistoriker Dietmar Süß in seinem Buch. Als zentrale Erfolgsfaktoren benennt er einen weitgehend fehlerfreien Wahlkampf (besonders im Vergleich zu 2017), der angesichts der Fehler der Konkurrenz im Rennen ums Kanzleramt ausreichend war, sowie das Machtvakuum innerhalb der Union durch Merkels Abgang. Zudem verfing offenbar die Respekts-Kampagne, mit der die soziale Frage neu adressiert wurde.

Süß widmet sich darüber hinaus vor allem den Traditionen und Eigenheiten der SPD, unter anderem ihrem Verhältnis zu Russland. Dabei wirft er auch einen kritischen Blick auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen der Partei. Seine These: Mit dem knappen Wahlsieg und Scholz´ Kanzlerschaft sind die Strukturprobleme der deutschen Sozialdemokratie, z.B. die geringe Verankerung bei jüngeren Wählern, beileibe nicht verschwunden oder gelöst worden. Dies werde schmerzliche Korrekturen in der Zukunft erforderlich machen, so der Autor.

 

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@fritzfelgentreu

Die AfD ist Schuld

SPD-Politiker Fritz Felgentreu hat nach dem Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Katar ganz tief in die Statistikbücher geschaut und herausgefunden: Seit die AfD im deutschen Bundestag sitzt, war die DFB-Elf notorisch erfolglos.

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
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Die Integrationsbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung arbeitet gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag dafür, den Weg für Integration zu ebnen, d.h. ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und in Verantwortung für die Gemeinschaft zu ermöglichen. Dazu werden bundesweite Projekte umgesetzt und die Integrationspolitik der Bundesregierung weiterentwickelt. Seit Dezember 2021 amtiert die SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan als Integrationsbeauftragte.

Gregor Bauer

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5. Dezember 2022