Editorial: Die späte Genugtuung des Friedrich Merz +++ Meldungen: #Fehlerkulturchallenge, staatliche Transparenz nur gegen Gebühren, politisch motivierte Straftaten auf Höchststand, Kandidat:innen für Brand New Landtage und Diskurse über den ländlichen Raum +++ Wahltrend: Leichte Verluste bei SPD und FDP +++ Buch: Final Call. Wie Europa sich zwischen China und den USA behaupten kann +++ Tweet: Boris is naughty +++ Jobs: Geschäftsführung (D64), Referent:in für Public Affairs (bitkom), Referent:in für Business Development (ifok), Fellowship „Thinking of Europe“, u.a. +++ Events: New Generation of German MPs Take Charge (GMF), Korruptionsbekämpfung (Wie ambitioniert ist die Ampel? (Transparency International), u.a. +++ Stakeholder: Christlich Demokratische Union (CDU)
Liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie das Gefühl der späten Genugtuung? Wenn die lange ausgebliebene Bestätigung eine Durststrecke an Enttäuschung und Frustration auslöscht? Vielleicht sind Sie aber ein ausgeglichener Mensch, dem Machtspiele und Ego-Fehden fremd sind. Was dann nur die Frage auftun würde, was Sie im Politikbetrieb verloren haben. Doch ernsthaft: Die großen politischen Geschichten zeichnen sich oft durch langanhaltende und emotionale Duelle aus, ob parteiintern oder zwischen den Lagern.
Fast genau 20 Jahre ist es nun her, dass Friedrich Merz von einer gewissen Angela Merkel um den Fraktionsvorsitz gebracht worden ist. Der SWR2 rekonstruiert die Geschehnisse in einem Kurzbeitrag in seinem Audio-Archiv.
Man muss Merz nicht mögen, um anzuerkennen, dass es eine gehörige Portion Ausdauer und Leidensfähigkeit braucht, um von dieser Niederlage und mehreren erfolglosen Anläufen seinen Weg bis zum 22. Januar 2022 zu gehen.
Denn am Samstagmittag endete Merz’ Leidensweg mit 94,6 % bei der Wahl zum zehnten Vorsitzenden der CDU. Ein sehr gutes Ergebnis, auch wenn man einberechnet, dass die Union nicht dazu neigt, Vorsitzenden bei Wahlen Denkzettel zu verpassen. Denn die Partei ist beziehungsweise war zwischen dem konservativen Merz-Lager und seinen ehemaligen moderateren Gegenkandidat:innen Röttgen, Laschet, Kramp-Karrenbauer und Braun gespalten. Wie emotional Merz seine Wahl annahm im Video.
An so einem Wochenende wird ihn auch eine Absage seiner Parteifreundin Angela Merkel nicht zu sehr betrübt haben. Einem von ihm ausgerichteten Dinner mit ehemaligen CDU-Vorsitzenden blieb sie – genauso wie ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer – aus „terminlichen Gründen“ fern. Auch den Ehrenvorsitz der CDU wollte Merkel nicht. Es „passe nicht mehr in die Zeit“. Der letzte Ehrenvorsitzende war übrigens Helmut Kohl, bis er im Zuge der Spendenäffäre im Jahr 2000 auch dieses Amt zurückgeben musste. Damit legte die ehemalige Kanzlerin einen respektablen Korb-Hattrick hin: Denn ein Job-Angebot des UN-Generalsekretärs für die Leitung eines Beirats für globale Fragen konnte sie ebenfalls nicht überzeugen.
Doch nicht nur der Vorsitz wurde auf dem CDU-Parteitag neu bestimmt, sondern auch….
- …der neue Generalsekretär Mario Czaja mit 92,89 % Zustimmung. n-tv über den „Linken-Schreck“ aus Ost-Berlin.
- …die neuen stellvertretenden Vorsitzenden: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fährt das stärkste Ergebnis mit 92,65 % ein, dahinter Carsten Linnemann (82,06 %), Silvia Breher (81,95 %) und Andreas Jung (80,59 %). Mit einem schwachen Ergebnis (70,83 %) konnte sich auch die Schleswig-Holsteinische Bildungsministerin Karin Prien knapp durchsetzen.
- … weitere 7 Mitglieder des Präsidiums: Karl Josef Laumann (83,66 %), Reiner Haseloff (82,83 %), Bernd Althusmann (81,57 %), Ines Claus (71,94 %), Ronja Kemmer (70,05 %), Ina Scharrenberg (68,38 %) und Jens Spahn (60,21 %). Für den ehemaligen Bundesgesundheitsminister ist das Ergebnis eine Klatsche. Julia Klöckner ist neue Schatzmeisterin (72,69 %).
- Alle Ergebnisse hat die CDU aufgelistet.
- Mit der Vorsitzenden der Frauenunion Annette Widmann-Mauz (45,45 %) und der ehemaligen Bildungsministerin Anja Karliczek scheiterten zwei Spitzenfrauen mit ihren Kandidaturen.
- Im Hintergrund schwelt weiter der Machtkampf zwischen Merz und Fraktionschef Ralph Brinkhaus, dessen Job der Neuvorsitzende auch übernehmen möchte. Wie es um das Kräftemessen um die Oppositionsführerschaft steht, weiß n-tv.
- Merz kommt, Laschet geht: Wie Armin Laschet letztlich mit Anstand scheiterte, zeigt Uli Hauck für die Tagesschau.
In ausführlichen 44 Minuten hat der SWR2 in Audio beleuchtet, wohin der neue Captain den alten christdemokratischen Tanker führen könnte. Der Frage, ob er Mann des Aufbruchs oder One-Hit-Wonder wird, hat sich Daniela Vates für das RND angenommen.
Bei den Grünen wird man nicht unglücklich über das Timing des CDU-Parteitags gewesen sein, nimmt er doch ein wenig von den eigenen Negativschlagzeilen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen des Verdachts auf Untreue aufgenommen. Es geht um Zahlungen eines Coronabonus in Höhe von 1.500 Euro des Bundesvorstands an sich selbst. In einem Gastbeitrag für den SPIEGEL analysiert Thomas Fischer den Fall ausführlich.
Und es gibt Neuigkeiten von der Zentrumspartei. Ja, genau. Denn der (jetzt) ehemalige AfD-Abgeordnete Uwe Witt hat seinen Austritt aus der Rechtsaußen-Partei und Eintritt in die Deutsche Zentrumspartei (DZP) erklärt. Die Traditionspartei ist damit erstmals seit 1957 wieder im Bundestag.
#Fehlerkulturchallenge: Konstruktiverer Umgang mit Fehlern in der Politik
Gibt es eine politische Entscheidung, von der Sie rückblickend sagen würden, sie war falsch? Das sollen Politiker:innen per selbstgedrehtem Smartphone-Video für die #Fehlerkulturchallenge eingestehen. Zudem sollen sie erklären, was daraus gelernt wurde. So will die Initiative der gemeinnützigen Hertie Stiftung einen Austausch über den lernenden Umgang mit Fehlern in der Politik anregen.
Transparenz: Verwaltung verhindert Auskünfte durch hohe Gebühren
Bundesbehörden verhindern die Umsetzung des Informationszugangsrechts systematisch durch hohe Gebühren. So sieht es die Transparenz-NGO FragDenStaat. Laut einer Auswertung der Initiative ist Deutschland eines von wenigen EU-Ländern, das Gebühren für rechtlich garantierte Auskünfte verlangt. Rund zwei Drittel der Personen, denen Gebühren angekündigt werden, ziehen ihre Anfrage zurück. FragDenStaat hat auf Basis dieser Daten eine Verfassungsklage eingereicht und fordert kostenlose staatliche Informationsauskunft.
Bundeskriminalamt: Politisch motivierte Kriminalität auf Höchststand
Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland so viele Straftaten mit politischem Hintergrund wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Das gab das Bundeskriminalamt auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Martin Hess bekannt. Demnach wurden 2021 nach vorläufigen Daten insgesamt 47.303 politisch motivierte Delikte verübt, ein Anstieg um knapp 6 %. Verantwortlich für die Zunahme sind insbesondere Straftaten, die weder dem rechten noch dem linken Spektrum zuzuordnen wären. Der größte Anteil mit mehr als 19.000 Delikten war, wie im Vorjahr 2020, rechts motiviert. Auch die Zahl bewaffneter Rechtsextremer steigt stark an.
Nachwuchsförderung: Brand New Bundestag kürt Kandidat:innen für Landtage
Brand New Bundestag (BNB) hat die sieben Förder-Kandidat:innen für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verkündet. Darunter der Klimaaktivist Maximilian Reimers (Die Linke) und der aus Syrien geflohene SPD-Politiker Tarek Saad. Weitere Kandidat:innen sind Stefan Schneidt (SPD), Nelly Waldeck (Grüne), Rupy David (Grüne) sowie Antje Grothus (Grüne). Alle Kandidat:innen werden von BNB mit strategischer Beratung, Workshops und Hilfe bei Crowdfunding unterstützt.
Meta-Studie: Ländlicher Raum als Experimentalraum für Ausgleichspolitik
Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ist der Diskurs über Stadt und Land von Ausgleichskonzepten geprägt. Das geht aus einer Metastudie des Bucerius Lab der ZEIT-Stiftung hervor. Die Autor:innen haben wissenschaftliche Quellen sowie politische Dokumente über die Stadt-Land-Beziehung in Deutschland systematisch ausgewertet. Demnach sind Ausgleichskonzepte wieder in den Vordergrund gerückt. Die zwei dominanten Stränge der letzten Jahre seien die Digitalisierung als Treiber regionaler Entwicklung und die Förderung direkter politischer Teilhabe.
Covid-19
- Heutiger Coronagipfel: Das wollen Bund und Länder beschließen
- Ab 18 Jahren: Ampel-Abgeordnete kündigen Entwurf für Impfpflicht an
- Umfrage: 65 Prozent für allgemeine Impfpflicht, im Osten weniger
- Angstforscher zur Corona-Stimmung: Aus Angst wird Frust – und das hat schwerwiegende Folgen
Parteien und Parlamente
- AfD: Partei im Saarland muss wahrscheinlich ohne Landesliste bei der Landtagswahl antreten & Verfassungsschutz-
Schreiben: Neue Belege für Radikalisierung der Partei - Ampel: Koalition strebt schnelle Wahlrechtsreform noch in diesem Jahr an & Demokratiepolitik? Nebensache – Eine Kolumne von Lenz Jacobsen
- Bundestag: Neuer Sicherheitschef im Bundestag ist rechter Burschenschafter
- Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerde zu Paritätsgesetz für Thüringer Landtag abgewiesen
Politische Kommunikation und Journalismus
- dpa kuratiert künftig Facebook News
- Interview mit Katja Berlin: Über die Torten der Wahrheit
- IPPEN-Reporterin Juliane Löffler im Interview über ihre Springer-Recherche
Social Media
- Instagram testet erstmals Abo-Version für einzelne Kanäle
- Linkedin launcht Audio-Events im Clubhouse-Stil, Video-Events sollen folgen
- Für Fans von Trump und der AfD: Der rechte Hype um das soziale Netzwerk Gettr
- Studie: Holocaust-Verharmlosung in sozialen Netzwerken nimmt zu (€)
- Video-Diskussion: Hass und Hetze auf Telegram – Was der Staat tun kann und was nicht
- Hass-Forscher Michael Bang Petersen: Die Mythen über Social Media (Twitter-Thread)
Public Affairs
- EU-Informationsfreiheit: Blöd der Lobbyist, der jetzt noch E-Mails schreibt
- Kommentar von Dominik Meier zu politischer Interessenvertretung: Adressbuch ist wenig, Strategie ist alles
Gesellschaft
- Theodor Heuss Preis 2022 geht an Menschenrechtsorganisation “Memorial International”
- Bis zu 100.000 Querdenker:innen in NRW im Internet: Verfassungsschutz sieht “riesengroße virtuelle Szene”
- Caritas-Umfrage: “Wir-Gefühl” und Zusammenhalt in Deutschland hat während der Pandemie gelitten
- IPSOS-Umfrage: Wohlstand wieder “auf Kurs”, aber Deutsche weniger glücklich nach der Pandemie
International
- Belarus: Lukaschenko will durch Referendum mehr Macht an sich reißen
- EU: Roberta Metsola durch “dubiose Deals” zur Parlamentspräsidentin gewählt?
- Italien: Ex-Premier Berlusconi verzichtet auf Kandidatur bei Präsidentenwahl
- Kasachstan: Nach Jahrzenten an der Macht – Ex-Präsident Nasarbajew zieht sich zurück
- Vereinigtes Königreich: Für Johnson wird es immer enger – Abgeordneter will über mutmaßliche Erpressung aussagen
Podcast
Paper
Die aktuelle russische Herausforderung im Ukraine-Konflikt führt wieder einmal vor Augen, wie schwierig die außenpolitische Lage für Europa seit einiger Zeit ist. Zukünftig muss sich die EU zudem noch stärker im heraufziehenden Konflikt zwischen den USA und China positionieren, wie die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer in ihrem Buch “Final Call” analysiert. Die Sonderberaterin des EU-Außenbeauftragten beschreibt schonungslos die Probleme des europäischen Projekts, das politisch und wirtschaftlich unter Druck geraten ist. Es sei aber noch Zeit zu handeln: Die EU müsse endlich ihre innere Handlungsfähigkeit stärken und nach außen strategischer auftreten, so Schwarzer, um im Systemkonflikt mit autoritären Staaten wie China und Russland bestehen zu können.
Ein altes Sprichwort sagt: “Kindermund tut Wahrheit kund”. Und die Wahrheit hat das kleine Mädchen in unserem Tweet der Woche in jedem Fall gesagt. Partypremierminister Boris Johnson war naughty.
Job der Woche
Fellowship der Woche
Fellowship “Thinking of Europe” – Soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung & die Klimakrise
Möchtest Du dazu beitragen, die Demokratie in Europa zu stärken und Jugendlichen politische Bildung näherzubringen? Understanding Europe vergibt sechs Fellowships an junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren, die von März bis August 2022 eigene Workshops für Schüler:innen erarbeiten, um deren Demokratieverständnis zu fördern. Die Bewerbungsfrist endet am 31. Januar 2022.
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Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
Die Partei Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) wurde 1945 gegründet und beschreibt sich selbst als Volkspartei der Mitte, die mit ihren Themen Bürger:innen aus allen Schichten und Gruppen ansprechen möchte. Ihre Grundwerte sind christlich geprägt. Die Bundesgeschäftsstelle befindet sich im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Seit Januar 2022 ist Friedrich Merz Parteivorsitzender und Mario Czaja Generalsekretär.
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