Wählerbindung 2.0

[ von Tabea Wilke ]

Die Bundestagswahl 2013 ist vorbei. Welche Partei langfristig als Gewinner oder Verlierer aus dieser Wahl hervorgeht, wird die Kommunikation mit ihren Wäälerinnen und Wählern in den kommenden Monaten entscheiden. Wer klug ist, nutzt bereits jetzt die nachklingende Aufmerksamkeit des Bundestagswahlkampfes für die Wählerbindung und holt die Menschen dort ab, wo sie kommunizieren: im Social Web.


Die Gewinner von heute können die Verlierer von morgen sein


Die Union hat die Bundestagswahl gewonnen. Trotzdem wird sie für den nächsten Bundestagswahlkampf Lösungen entwickeln müssen, wie sie möglicherweise auch ohne den Merkel-Faktor an der Regierung bleibt. Gleichzeitig darf sie in einer großen Koalition mit der SPD ihre Kernwählerschaft nicht verschrecken. Dies gilt auch für die SPD, die allein mit dem Schritt in die große Koalition an die Grenzen ihrer Mitglieder stößt. Die FDP fängt noch einmal bei 4,8 Prozent an und Bündnis 90/ DIE GRUENEN suchen nach dem richtigen Weg, künftig für alle politischen Lager und ihre Wähler offen zu sein. Nur DIE LINKE bleibt konsequent und stabil mit sich selbst beschäftigt. Das Ergebnis der FDP hat gezeigt, dass die Gewinner von heute, die Verlierer von morgen sein können. Umso wichtiger ist es für die Parteien, ihre Wähler in den strukturellen Veränderungsprozess einzubeziehen um sie langfristig zu binden. Dies kann nur mit einer direkten, regelmäßigen und dialogorientierten Kommunikation gelingen.

Niedermayer, Oskar (2013): „Parteimitglieder seit 1990. Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 20, Berlin; ZEIT online, „CDU verliert mehr Mitglieder als die SPD“, 28.12.2013.
Niedermayer, Oskar (2013): „Parteimitglieder seit 1990. Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 20.

Wählerbindung heißt Kommunikation


Der Stimme des Wählers ist eine Bewertung der Arbeit einer Partei über die letzte Legislaturperiode. Sie ist aber auch ein Vertrauensvorschuss für die Zukunft. Aus diesem Grund beobachten Wähler sehr genau, welche Entscheidungen die Partei trifft. Besonders die ersten Wochen nach einer Bundestagswahl sind für das Verhältnis zwischen Partei und Wähler eine empfindliche Phase. Die Forschungsgruppe Wahlen hat dies in einer Langzeitstudie über die Zufriedenheit der FDP-Wähler in der letzte Legislaturperiode erfasst. Sie zeigt, dass sich eine Partei nur sehr schwer von der Missgunst ihrer Wähler erholt, wenn sie wenige Wochen nach der Wahl ihre Wahlversprechen über Bord wirft oder ihre Grundlinien im Auge des Wählers leichtfertig verlässt.

Die Lösung für diese empfindliche Phase der Wählerbindung heißt Kommunikation. Drei Faktoren helfen hierbei: erstens, die direkte Information durch Politiker. Wer seine Wähler direkt über die Ereignisse in der Fraktion und den Ausschüssen berichtet, schafft Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Zweitens, die Beteiligung der Wähler durch Ansprechen und Fragen. Der Wähler fühlt sich wahrgenommen und kann seine Meinung und seine Ideen loswerden. Drittens, die Regelmäßigkeit der Kommunikation. Was trivial klingt, ist ein entscheidender Faktor. Erst wenn die Kommunikation wiederkehrend verlässlich und ein Bestandteil des Alltags geworden ist, entsteht eine Bindung. Diese drei Faktoren verstärken ihre Wirkung, sobald die Kommunikation personalisiert und authentisch ist, also für den Wähler emotional nachvollziehbar wird. Für die Wählerbindung gilt die gleiche Faustregel wie für alle andere Kommunikationsmaßnahmen auch: die Zielgruppe bestimmt die Instrumente. Deswegen ist der effizienteste Kommunikationskanal für die Wählerbindung das Social Web.


Wähler dort abholen, wo sie kommunizieren: im Social Web


Mehr als Dreiviertel der Deutschen nutzen jeden Tag das Internet, fast die Hälfte von ihnen mobil. Die meiste Zeit verbringen sie dabei in sozialen Netzwerken. Die Wartezeiten an der Bushaltestelle, die Fahrt mit der U-Bahn oder das Anstehen an der Kasse im Supermarkt wird genutzt, um über das Smartphone oder das Tablet mit seinen Freunden über WhatsApp zu kommunizieren, Fotos auf Instagram zu teilen, das neueste Viral bei YouTube zu sehen oder seine Facebook-Timeline zu lesen. Das Social Web ist kein Trend und wird auch nicht wieder weggehen. Es ist heute ein Teil der Lebenswirklichkeit der Menschen über alle Altersgruppen und Bildungsschichten hinweg. Die 14–19 Jährigen sind im Social Web am aktivsten. Die höchste Wachstumsrate verzeichnete Twitter aber kürzlich bei den 50 bis 60 Jährigen mit 79 Prozent.


Wählerbindung über das Social Web


Das Social Web bietet optimale Bedingungen für die Wählerbindung: Informationen können mit einer großen Reichweite direkt und in Echtzeit vermittelt werden, ohne den Weg über Print oder TV gehen zu müssen. Geschichten, Fotos und Videos transportieren zusätzlich Emotionen. Die Posts erscheinen in der Timeline des Wählers, zwischen der neuesten Nachricht des besten Kumpels und dem Foto vom gestrigen Mädels-Abend. Einen direkteren Weg in die Lebenswelt des Wählers ist einfacher kaum möglich. Das Social Web ist auf den Dialog ausgerichtet. Politiker und Wähler können sich hier austauschen, aktivieren, beteiligen und amüsieren — und zwar gegenseitig und in allen Lebenslagen. Sind politische Verhandlungen schwierig? Prima! Das ist eine gute Geschichte für das Social Web. Nichts wirkt authentischer als über Schwierigkeiten und Hürden bei der Verfolgung seiner Ziele zu berichten. Der Wähler entwickelt durch diese indirekte Teilnahme am politischen Prozess eine höhere Akzeptanz gegenüber Entscheidungen, weil er die Entwicklung mit all ihren Höhen und Tiefen kennt. Soziale Netzwerke sind darüber hinaus ein gutes Stimmungsbarometer zu aktuellen Themen und Trends. Besonders Twitter eignet sich gut, um schnell ein Meinungsbild zur aktuellen politischen Agenda zu bekommen.

Der erste Tweet des US-Präsidenten Barack Obama am Abend seiner Wiederwahl am 6. November 2012.

Wie die Beteiligung von Wählern an der Tagespolitik über soziale Netzwerke funktionieren kann, zeigen einige Politiker bereits heute. Einer der Vorreiter ist Peter Tauber (CDU). Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen fragte er seine Netzgemeinde nach Ideen für seine Arbeitsgruppen. [Foto Facebook] Sein Post erhielt 92 „gefällt mir“ Likes und 15 Kommentare. Sein Social Media Leitfaden für Politiker wurde kürzlich in mehrere Sprachen übersetzt. Er twittert über aktuelle Entwicklungen in seinen Ausschüssen und hat mit seinen kleinen Geschichten und Fotos aus dem Alltag eines Abgeordneten eine konsistente Storyline entwickelt.

Facebook Posting von Peter Tauber, MdB am 26.10.2013.

Professionell bleiben


Für alle Kommunikationsmaßnahmen zur Wählerbindung über das Social Web gilt: professionell bleiben. Lange bevor ein Profil im Social Web angelegt wird, muss klar sein, welches Ziel man in seiner Kommunikation verfolgt, ob das ausgewählte soziale Netzwerk das richtige dafür ist und ob die Ressourcen vorhanden sind, dieses Profil über mehrere Jahre zu pflegen. Nichts ist im Social Web schlimmer als ein für den Wahlkampf angelegtes Profil, das nach der Wahl brach liegt.

Trotz der Kurzlebigkeit von Posts und Tweets entscheiden die Qualität der Geschichten und die Tonalität, in der sie erzählt werden genauso über den Erfolg wie professionelle Bilder und Texte. Social Media Guidelines für das Mitarbeiterteam sind unerlässlich. Besonders bei Twitter ist der Anteil an Journalisten und Redakteuren hoch. Ein verunglückter Tweet kann dadurch einen sehr kurzen Weg in die Printmedien oder in diverse TV-Formate haben.


Der frühe Vogel


Die Wähler im Social Web sind durch die Wahlkampf-Kampagnen gewohnt, aktuelle Meldungen in ihren Timelines zu sehen. Warum sollte das jetzt anders sein? Viele Politiker verfügen heute über Profile in sozialen Netzwerken. Durch den Bundestagswahlkampf sind sie professionell angelegt, gepflegt und überwiegend aktuell. Je langfristiger und kontinuierlicher eine Präsenz in sozialen Netzwerken ist, desto effektiver wird sie. Der Aufwand, sie jetzt für die Wählerbindung einzusetzen ist vergleichsweise gering. Es erhöht den Return on Invest (ROI) des Bundestagswahlkampfbudgets um ein Vielfaches.

Die Bundestagswahl 2013 ist vorbei. Die großen Herausforderungen stehen aber erst noch bevor. Wer bereits jetzt seine Wähler an sich bindet, mit ihnen über die Herausforderungen spricht, sie an die Hand nimmt und sich von seinen Fans und Followern manchmal auch an die Hand nehmen lässt, wird mit einem großen Vorsprung in die kommenden Wahlen starten.


über die Autorin


Tabea Wilke ist Gründerin und CEO des Cybersicherheitsunternehmens botswatch Technologies GmbH und Finalistin des SXSW Interactive Innovation Award “Privacy and Security” im Jahr 2018. Mit mehr als 10 Jahren Erfahrung im Technologiebereich und in der Nachrichtenindustrie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor setzt Wilke auf unkonventionelle Ansätze in der Datenanalyse und neue Lösungen für die Cyberaufklärung. Sie ist Mitglied der Association for Computing and Machinery Special Interest Group Artificial Intelligence (ACM SIGAI) und Mitglied der Arbeitsgruppe des Institute of Electrical and Electronics Engineers IEEE zur Entwicklung eines Standards für den Prozess der Identifizierung und Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenquellen. Boston Consulting Group und Manager Magazin haben Wilke unter die “Top 100 weibliche Manager in der deutschen Wirtschaft 2018” gewählt. Wilke hat einen Bachelor-Abschluss in Medien und Kommunikation und einen Master-Abschluss in Internationalen Beziehungen.

11. Dezember 2013