Liebe Leserin, lieber Leser,
Annalena Baerbock hat sich im Kreml noch nie außergewöhnlicher Beliebtheit erfreut. Das zeigten schon Analysen der versuchten Wahlbeeinflussung im vergangenen Bundestagswahlkampf. Es wurde aber auch in den letzten Tagen wieder überdeutlich, als die Außenministerin auf einmal im Twitter-Kreuzfeuer (#Hochverrat und #BaerbockRuecktritt) stand.
Was war passiert? Eine Aussage der Außenministerin (hier in voller Länger) wurde sinnentstellend zusammengeschnitten und von pro-russischen Accounts verbreitet. Der Clip ging viral, vor allem – aber nicht nur – durch libertäre, neurechte und AfD-nahe Accounts befeuert. Das Ziel: Die deutsche Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Baerbock stelle die Ukraine über das eigene Land und den Wählerwillen. Was Baerbock so weder gesagt noch gemeint hat. Kurz: Ein Klassiker des modernen Desinformations-Einmaleins.
Manche Medien, allen voran die Welt, machten dann noch Übersetzungsfehler und aus “no matter what my German voters think” kurzerhand “egal, was die deutschen Wähler denken”. “Meine” oder “die” – ein kleiner, aber entscheidender Unterschied. Erst Stunden später korrigierte die Redaktion die Headline (hier im Vergleich), aber da war der Schaden schon entstanden. Der Reichweite des Artikels war es im Gegenteil sehr förderlich.
Mehr Hintergründe zum Fall:
- Ursprung und Verbreitung der Manipulation zeichnet der Volksverpetzer nach.
- Schon seit Wochen läuft eine massive pro-russische Desinformationskampagne, u. a. auch mit gefälschten Nachrichtenseiten. t-online hat das Ausmaß aufgedeckt.
- Trotz digitaler Kanäle sind die Methoden von Putins Trollen nicht so neu. Florian Fade berichtet über die AG “Hybrid” des Innenministeriums und BND-Analysen.
Ein Treppenwitz dieser Geschichte ist, dass Baerbock in Prag genau vor dieser hybriden Kriegsführung Russlands gewarnt hat: “Es ist ein hybrider Krieg. Die zweite Strategie besteht darin, unsere Demokratien zu spalten, indem gesagt wird: Jetzt werden die Armen zurückgelassen.” Und tatsächlich verfängt die Spaltungsstrategie des Kremls. Der Hashtag #heisserherbst gibt einen Vorgeschmack. Großdemos, die von Linken und Rechten angekündigt wurden, sollen die Wut auf die Straßen tragen.
Dieser Melange aus prinzipieller Wut und berechtigten Sorgen versucht die Bundesregierung nun unter anderem mit dem dritten Entlastungspaket zu begegnen, das mit einem Umfang von 65 Milliarden Euro die beiden vorherigen Pakete zusammengenommen sogar übersteigt.
- Eine Übersicht aller Maßnahmen hat Die Zeit zusammengestellt.
- Der kommunikative Spin dazu soll den spalterischen Tendenzen entgegenwirken: Nach “You’ll never walk alone” setzt nun der “Winter der Solidarität” das Gegen-Narrativ der Ampel fort.
- Nachtsitzungen sind nicht beliebt, aber nach dieser zum Entlastungspaket überwog die Zufriedenheit. Johannes Vogel und die Grünen-Spitze übten sich im neuen Format des politischen Morgengrauen-Selfies, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt blieb bei einer alten Weisheit.
Zum Ende der parlamentarischen Sommerpause hieß es auch Abschied nehmen von zwei Politik-Größen. Mit Hans-Christian Ströbele verstarb ein fester Bestandteil der bundesdeutschen Geschichte: Als Rechtsanwalt vertrat er in den 1970er Jahren Mitglieder der RAF, er gehörte zu den Mitbegründern der taz sowie der Berliner Grünen und er errang von 2002 bis 2013 als erster und einziger Grüner stets ein Direktmandat für den Bundestag. “Der gute Hirte” – so nennt ihn Markus Deggerich in seinem Nachruf für den Spiegel. Die ihn immer besonders eng begleitende taz wünschte ihm “Rest in Protest”.
Ströbele wird in die bundesrepublikanische Politikgeschichte eingehen, Michail Sergejewitsch Gorbatschow hat diesen Status hierzulande schon lange inne. Der letzte Reformer der Sowjetunion erlag mit 91 Jahren einer schweren Krankheit. Die Trauerfeier und Beisetzung von Gorbatschow fand am Sonntag in Moskau ohne großen Pomp und vor allem ohne Wladimir Putin statt. Der einzige EU-Staatschef, der teilgenommen hat, war Viktor Orban.
- Gorbatschows Leben in 19 Fotos hat die Bildredaktion von t-online zusammengestellt.
- Ein persönlichen Nachruf hat Ex-Außenminister Joschka Fischer verfasst.
- Die unkritische Begeisterung für Gorbatschow hat viel zum naiven Russlandbild in Deutschland beigetragen, meint NZZ-Chefredakteur Eric Gujer.
- Gerade in Osteuropa sind die kritischen Stimmen lauter. eurotopics mit einer europäischen Presseschau zu “Gorbis” Ableben.
Was es mit einem persönlich macht, wenn Politiker:innen sterben, die uns jahrzehntelang begleitet haben, schildert Ulrich Kühn für den NDR.
Mit den besten Grüßen zum Start der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause
Philipp Sälhoff
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Dietz
Transfornomics. Zur ökonomischen Zeitenwende
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11.161 Follower zu wenig
Wenn es nach Hans-Georg Maaßen, dem ehemaligen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, geht, dürfen wir uns kein Urteil über ihn erlauben, denn unser Twitter-Account hat mit 6.255 Followern deutlich weniger als er. Und wir erlauben uns selbstverständlich auch kein Urteil. Wir haben uns nur erlaubt, den Tweet von @shengfui zum Tweet der Woche zu küren.
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Strategisches Kommunikationsteam Ost der EU
Die im März 2015 gegründete East StratCom Task Force der EU hat das Ziel, die seit der Krim-Annexion stark gestiegene Zahl von russischen Desinformationskampagnen in den Ländern der östlichen EU-Partnerschaft (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und Ukraine) zu bekämpfen. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe beobachtet und analysiert dazu die Kampagnen, Trends und Narrative pro-russischen Ursprungs und unterstützt die EU-Mitgliedstaaten und -Institutionen in Form von Briefings und Trainings. Ein weiterer Teil ihrer Arbeit ist die Kommunikation und Gestaltung von eigenen Informationskampagnen, um die Werte, Interessen und Strategien der EU in den östlichen Nachbarländern zu vermitteln.
Redaktion: Philipp Sälhoff, Gregor Bauer, Mareile Ihde, Benjamin Triebe