Wahl-Spezial: Bremen, Türkei, Thailand, Oder-Spree

Die politnews vom 15. Mai 2023

EDITORIAL: Wahl-Spezial: Bremen, Türkei, Thailand, Oder-Spree

MELDUNGEN: Politisch motivierte Kriminalität auf Höchststand | Verleihung der Innovation in Politics Awards | Aufbau des Dateninstituts | eGovernment-Wettbewerb | Bewerbungsphase der Jugend entscheidet-Akademie

WAHLTREND: AfD nur noch 2,4 Punkte hinter der SPD

BUCH: Heile Welt in der Zeitenwende

TWEET: Germany Zero Points

STAKEHOLDER: Bremische Bürgerschaft

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Grünen als größte Wahlverlierer – das ist in den letzten Jahren zu einem ungewohnten Wahlfazit geworden. Im kleinsten Bundesland war es aber gestern soweit: Die Grünen büßten bei einem vorläufigen Ergebnis von 12 % (bisher alle Werte auf Basis amtlicher Hochrechnungen) ein Drittel ihrer Stimmen ein und werden nur knapp vor der Linken (11 %) drittstärkste Kraft. Da kann auch nicht der Umstand trösten, dass die letzte Bremer Wahl im Mai 2019 in einer absoluten Stärkephase der Partei stattfand. Das 30-jährige Jubiläum ihres Zusammenschlusses mit Bündnis 90 am gestrigen Sonntag hatten sich die Grünen sicher anders vorgestellt. Spitzenkandidatin und Umweltsenatorin Maike Schaefer ist bereits zurückgetreten.

Mit knapp 30 % feierte die SPD ein Comeback an der Weser und landete klar vor der CDU mit 25 %. Bürgermeister Andreas Bovenschulte will nun auch mit der CDU sprechen, eine Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses ist also nicht gesetzt. Größte Überraschung: In Bremerhaven kommen die “Bürger in Wut” auf 22 % (insgesamt fast 10 %) und platzieren sich dort womöglich sogar vor der CDU. Dafür dürfte zwar auch der Wahlausschluss der AfD mitverantwortlich sein, aber nicht nur. Weitere Analysen zur zweiten Landtagswahl in diesem Jahr:

  • Der entscheidende Faktor für den SPD-Sieg sei ihr Spitzenkandidat gewesen, analysiert die Forschungsgruppe Wahlen.
  • CDU-Kandidat Frank Imhoff kam hingegen nicht gut genug an. Dass seine Partei viele Stimmen nur aus Protest statt aus Überzeugung bekommen hat, sollte ihr zu denken geben, konstatiert die FAZ (€).
  • Die Verluste für die Bremer Grünen haben laut Holger Schwesinger mit dem negativen Bundestrend, einer schwachen Spitzenkandidatin und schlechten Kompetenzzuschreibungen mehrere Gründe.
  • Die FDP hat sich hingegen als “Anti-Grüne” profiliert und mit 5,2 % voraussichtlich knapp den Verbleib im Parlament geschafft.
  • Gegen den Bundestrend konnte die Linke ihr Bremer Rekordergebnis von 2019 (damals 11,3 %) fast bestätigen. Der Spiegel (€) beleuchtet, was die Genossen im Norden besser machen als die Bundespartei.
  • Wer hinter der Protestpartei “Bürger in Wut” steckt, erklärt die Tagesschau.
  • Über die möglichen Folgen der Wahl für die Bundespolitik hat sich der Tagesspiegel Gedanken gemacht.

Das vorläufige amtliche Endergebnis wird voraussichtlich erst am Mittwoch feststehen, denn das Bremer Wahlsystem ist kompliziert.

  • Enno Eidens von Table.Media über das besondere Bremer Wahlrecht, das Wahlforscher Thorsten Faas übrigens als gute Balance zwischen einfach und differenziert betitelte.
  • Die Entwicklung der inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Parteien über die Jahre hat Faas ebenfalls zusammengefasst. SPD und CDU haben sich dabei besonders stark angenähert.
  • Die Wahlbeteiligung lag am Sonntagnachmittag leicht niedriger als bei der letzten Wahl, das vorläufige Ergebnis lässt ebenfalls auf sich warten. Ob das gestrige Auswärtsspiel des SV Werder in Leipzig die Wahlbeteiligung zusätzlich nach unten zog, spekulierte SPIEGEL-Redakteur Henrik Bahlmann.
  • Interaktive Grafiken zu den aktuellen Ergebnissen gibt es beim Weser-Kurier.
  • Die ersten Reaktionen aus Berlin dokumentiert die Tagesschau (Video).
  • Eindrücke von den Wahlpartys hat die Kreiszeitung gesammelt.

Damit wird die SPD sehr wahrscheinlich und bei einer erfolgreichen Legislatur mindestens 81 Jahre am Stück an der Weser regieren. Sie stellt damit als einzige Partei seit 1945 durchgängig den Regierungschef in einem Bundesland. Als nächstes folgt übrigens die CSU, die seit 1957 in Bayern an der Spitze steht. Daran wird sich wohl auch dieses Jahr nichts ändern, wenn dort sowie zeitgleich in Hessen am 8. Oktober die nächsten Landtagswahlen anstehen.

Gewählt wurde auch auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein und im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree. Letzteres wäre für die Bundespolitik wohl nicht weiter wichtig, hätte die Wahl dort nicht fast den ersten AfD-Landrat Deutschlands hervorgebracht. Doch der SPD-Kandidat Frank Steffen siegte denkbar knapp mit 52,4 % in der Stichwahl. Vermutlich wurde es auch deswegen so spannend, weil sich die örtliche CDU nicht zu einer Wahlempfehlung für den Sozialdemokraten durchringen konnte.

Eine Stichwahl wird es auch in der Türkei geben. Nach der gestrigen ersten Runde der Präsidentschaftswahlen lag Amtsinhaber Erdogan (49 %) gegen Kemal Kilicdaroglu (45 %) knapp vorn. Die Rheinische Post mit einem Porträt über den Erdogan-Herausforderer. Die Opposition kritisierte die ersten Zahlen der staatlichen Agenturen als manipuliert. Auch Wahlbeobachter sollen in ihrer Arbeit behindert worden sein, berichtet Linken-Chefin Janine Wissler.

  • Warum die Wahlberechtigten in Deutschland mehrheitlich Erdogan wählen, erläutert Burak Ünveren für die  Deutsche Welle.
  • Die Tücken der Auszählungen und daher auch die Gründe für viele unterschiedliche Zahlen am Wahlabend erläutert Journalist Ragip Soylu in einem Twitter-Thread (englisch).
  • Einen aktuellen Liveblog gibt es bei der Frankfurter Rundschau

In Thailand wurde ebenfalls gewählt, hier könnte es aber zu einem Machtwechsel und dem Ende der Militärregierung kommen, wie die Tagesschau zusammenfasst.

Das erste Mal seit Kriegsbeginn hat der ukrainische Präsident Berlin besucht. Nachdem der Staatsbesuch noch kurz vorher wegen eines Lecks bei der Berliner Polizei auf der Kippe stand, landete Selenskyj am Sonntag nach Mitternacht in der Hauptstadt, um nach einer kurzen Nacht im Bendlerblock Steinmeier und Scholz zu treffen. Anschließend ging es weiter nach Aachen, wo er den Karlspreis erhielt.

  • Eine Zusammenfassung der Rede und Bilder von der Veranstaltung gibt es beim WDR.
  • Weitere Details und Eindrücke vom Berlin-Besuch hat der Tagesspiegel zusammengetragen.
  • Nicht gut fand den Staatsbesuch offenbar der DFB-Vizepräsident Hermann Winkler. Mit einem Instagram-Post über den Besuch “eines ehemaligen ukrainischen Schauspielers” löste er Befremden aus.

Ähnlich schlecht wie der deutsche Fußball schnitt in letzter Zeit nur die deutsche Musik international ab. Zumindest wenn man den Eurovision Song Contest als Maßstab nimmt. In den letzten acht Jahren schafften es die Vertreter:innen der Bundesrepublik sage und schreibe sieben Mal, Letzter oder Vorletzter zu werden. Auch in diesem Jahr setzte es in Liverpool, stellvertretender ESC-Gastgeber für die Ukraine als Sieger 2022, einen letzten Platz – für die treffend betitelte Kombo “Lord of the Lost”. Das löste auch unter grünen Regierungsmitgliedern klare politische Forderungen aus (siehe Tweet der Woche).

Auch beim ESC war der Ukraine-Krieg präsent, selbst wenn sich der Wettbewerb per se als nicht politisch versteht.

  • Warum daher ein Grußwort von Selenskyj untersagt wurde, weiß n-tv.
  • Während der Show wurde der Heimatort der ukrainischen Wettbewerbsteilnehmer von russischen Raketen angegriffen
  • Wie “Pop mit Botschaft” aus der Ukraine in Kriegszeiten aussieht, hat Deutschlandfunk Nova analysiert.

Deutschland gewann den Wettbewerb bisher übrigens nur zwei Mal: 2010 mit Lenas “Satellite” sowie 1982 mit Nicoles “Ein bisschen Frieden”. 

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

Aktuelle politjobs
Politticker
Politisch motivierte Kriminalität auf Höchststand

Rechtsextreme Straftaten stiegen 2022 um 7% im Vergleich zum Vorjahr. Das konstatiert der Bericht zu politisch motivierter Kriminalität, der vergangene Woche vom Bundeskriminalamt veröffentlicht wurde. Die Entwicklung der Zahlen wird darin nach verschiedenen Themenfelder unterteilt: Straftaten werden z.B. unter dem Überbegriff Hasskriminalität als antisemitisch, ausländerfeindlich oder rassistisch eingeordnet. Neu ist hier die Kategorie der “Männerfeindlichkeit”. Die insgesamt fast 60.000 Delikte markieren den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im…

eGovernment-Wettbewerb

Die Bewerbungsphase für den 22. eGovernment-Wettbewerb ist gestartet: Bis zum 26. Mai können in fünf verschiedenen Kategorien innovative Projekte eingereicht werden, die sich um Digitalisierung und Modernisierung in der Verwaltung bemühen. Der Wettbewerb wird von der Beratung BearingPoint gemeinsam mit dem Technologieunternehmen Cisco durchgeführt und richtet sich an Innovationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dieses Jahr steht besonders unter dem Motto der Zeitenwende, die auch im Bereich der…

Aufbau des Dateninstituts gestartet

Daten in Deutschland für die Gesellschaft besser nutzbar und verfügbar machen, das ist das Ziel des geplanten Dateninstituts der Bundesregierung. Für den Aufbau des Instituts wurde vergangene Woche ein zentraler Schritt getan, indem entsprechende Haushaltsmittel durch Bundestags freigegeben wurden. In einem nächsten Schritt soll nun ein Marktdialog stattfinden, der relevante Akteur:innen und Expert:innen mit einbezieht. Nach dem erfolgreichen Aufbau soll das Dateninstitut eine zentrale Anlaufstelle zu den Herausforderungen bei…

Verleihung der Innovation in Politics Awards

Acht Kategorien mit Gewinner:innen aus sechs europäischen Staaten: Vergangene Woche wurden zum zehnten Mal die Innovation in Politics Awards vergeben. Der Award soll mutige und kreative politische Arbeit in ganz Europa auszeichnen und stand dieses Jahr unter dem Motto “Courage beats prejudice”. Ausgezeichnet in der Kategorie Party Innovation wurde etwa das Schweizer Projekt “Policy Sprint”, das Politiker:innen und Stakeholder verbinden soll. Den Award für Government Improvement erhielt die polnische Stadt…

Bewerbungsphase der Jugend entscheidet-Akademie

Jugendliche sind eine entscheidende Zielgruppe – auch und besonders in der Kommunalpolitik. Um zu lernen, wie sich diese Zielgruppe bestmöglich einbeziehen lässt, hat die Hertie Stiftung die Jugend entscheidet-Akademie gestartet. Anhand eines Bundesforums, digitaler Workshops und einem Best-Practice-Treffen werden Kommunen für Jugendbeteiligung sensibilisiert und weitergebildet. Aktuell läuft die Bewerbungsphase, an der alle Kommunen mit 5.000 bis 10.000 Einwohner:innen teilnehmen können.

Wahltrend
wahltrend

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Matthias Herdegen

Heile Welt in der Zeitenwende

Mit dem neuen, umfangreichen Paket von Waffenlieferungen an die Ukraine hat die Bundesregierung außenpolitisch gerade tatsächlich einen großen Schritt im Sinne der viel zitierten Zeitenwende getan. Doch auch in anderen Bereichen scheint der Begriff mehr als angebracht zu sein, da die vermeintlich „heile Welt“ in Deutschland durch immer neue Krisen und Unsicherheiten schon länger infrage gestellt worden ist. Matthias Herdegen beleuchtet vor dem Hintergrund dieser neuen Realität in seinem Buch das aktuelle Wechselverhältnis von Recht und Politik.

Der Jura-Professor konstatiert einen „Siegeszug des neuen Idealismus im Recht“ und thematisiert die Rolle internationaler Gerichtshöfe und des Bundesverfassungsgerichts in den heutigen demokratischen Prozessen. Dabei analysiert und kommentiert er vielschichtige politische und rechtliche Fragen, z.B. die Krise des Staates oder die Herausforderungen durch Migration, Klimawandel und bewaffnete Konflikte. In diesen und weiteren Themen befürchtet Herdegen eine Verengung politischer Optionen durch den Gestaltungsanspruch der Gerichte – und plädiert deshalb dafür, insgesamt mehr Politik zu wagen sowie rechtlich eine „abgewogene Rationalität“ walten zu lassen.

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@MiKellner

Germany Zero Points

Angesichts des fast schon traditionell schlechten Abschneidens von Deutschland beim Eurovision Song Contest könnte doch mal das Auswärtige Amt tätig werden – fordert BMWK-Staatssekretär Michael Kellner von seiner Parteikollegin Annalena Baerbock. Alternativ könnte man zum nächsten ESC aber auch einfach Jan Böhmermann mit dem passenden Song schicken.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
www.michael-dieck.de

Bremische Bürgerschaft

Die Bremische Bürgerschaft ist das Parlament des Stadtstaates Bremen. Es setzt sich regulär aus 84 Abgeordneten zusammen, von denen 69 aus der Stadt Bremen selbst und 15 aus Bremerhaven kommen. Die Bürgerschaft wählt und kontrolliert den Senat, beschließt Gesetze und den Landeshaushalt und debattiert Anträge und Anfragen der Fraktionen. Präsident der Bremischen Bürgerschaft ist aktuell noch der CDU-Politiker Frank Imhoff.

Gregor Bauer

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Das Redaktionsteam
16. Mai 2023