Berliner Wahl- und Grüne Personalkapriolen

Die politnews vom 02. Mai 2023

EDITORIAL: Berliner Wahl- und Grüne Personalkapriolen

MELDUNGEN: FES-Studie zu Demokratievertrauen | Launch der Politico Research & Analysis Division | Forschungsprojekt zu Social Media und Demokratie | Think Tank zur Transformation im Nahen Osten | Forschungsmethoden zu Online-Plattformen u. v. m.

WAHLTREND: Grüne & AfD gleichauf

BUCH: Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus

TWEET: Woke, wehrhaft und witzig

STAKEHOLDER: Deutsche Energie-Agentur

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie kennen sicher auch die Witze, die man eigentlich nicht mehr machen möchte, weil sie zu abgedroschen sind?! Wären diese ein journalistisches Ressort, wäre es wahrscheinlich die Berliner Landespolitik. Nach Wahlpannen, extrem knapper Wiederholungswahl und diversen kleinen und großen Absurditäten war es nun eigentlich fast folgerichtig, dass die Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters ebenfalls nicht reibungslos ablief.

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hatte mit 86 der 159 Abgeordneten eigentlich eine relativ stabile schwarz-rote Mehrheit zusammen. Und doch rauschte er am vergangenen Donnerstag mit Anlauf durch die ersten beiden Wahlgänge. Im ersten Durchgang hatten ihm gar 16 Mitglieder der eigenen Koalition die Gefolgschaft verweigert, im zweiten Versuch waren es noch sieben. Beim dritten Mal – nach mehreren Unterbrechungen – erhielt Wegner schließlich 86 Ja-Stimmen. Aber es waren wohl nicht nur die tief gespaltenen Sozialdemokraten, die bei der geheimen Wahl zunächst gegen ihn gestimmt haben, sondern auch Abgeordnete der CDU. Wie viele, wisse er zwar nicht, aber es waren wohl “zu viele”, wie der neue Regierende Bürgermeister danach ehrlich zugab. Selbst für Berliner Verhältnisse ein schlechter Start in eine Legislatur.

Die AfD hatte schnell ihre Chance gewittert und gerierte sich als staatstragende Retterin. Nur dank ihrer Stimmen wäre Wegner gewählt worden. Überraschend schnell hatte man eine entsprechende Pressemitteilung verbreitet. Später gab die Fraktion sogar die Namen der 10 Abgeordneten bekannt, die für Wegner gestimmt haben sollen. Ob es so war, lässt sich nicht zweifelsfrei sagen, aber das kann der AfD egal sein. Ihr Kalkül ist aufgegangen und über der Wahl liegt ein Schatten.

Weitere Hintergründe:

  • Welche offenen Rechnungen bei der Wegner-Wahl beglichen wurden und warum sie zum Desaster wurde, hat der Tagesspiegel in einem Podcast aufbereitet.
  • Wahlforscher Thorsten Faas sieht zwar einen Fehlstart für Wegner, geht aber von einer baldigen Stabilisierung der Berliner Koalition aus.
  • Sein Kollege Frank Decker spricht sich als Lehre aus Ereignissen wie aktuell in Berlin oder der Kemmerich-Wahl 2020 in Thüringen gegen geheime Abstimmungen aus.
  • Kai Wegner sei näher “an den Positionen von Hans-Georg Maaßen als an denen von Angela Merkel”. Dies ist kein Zitat des politischen Gegners, sondern aus dem eigenen Landesverband. So verortete vor zwei Jahren Mario Czaja, heute CDU-Generalsekretär, damals Wegner.
  • Wie rechtskonservativ der Berliner CDU-Chef wirklich ist, beleuchtete vor einigen Wochen Daniel Roßbach für die Frankfurter Rundschau. Stefan Alberti von der taz mit einem aktuellen Porträt über den “Mann ohne Vergangenheit”.
  • Bestätigt ist nun auch die Besetzung der Senatsposten, wonach 7 von 10 Senatsverwaltungen künftig von Frauen geführt werden.

Wegner ist freilich nicht der erste Ministerpräsident, der nicht direkt gewählt wurde. Heide Simonis bzw. Peter Harry Carstensen, Rainer Haseloff, Hannelore Kraft und natürlich Bodo Ramelow können ein Lied davon singen.

Sonst hatte die CDU mehr Glück mit ihren Personalentscheidungen. So kommt unter anderem die versierte Claudia Stutz aus dem Bundesverkehrsministerium und wird nun Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Darüber hinaus holten die Konservativen weitere erfahrene Beamte als Staatssekretäre nach Berlin, wie der Tagesspiegel berichtet (€). Bei der SPD raunte es hingegen lautstark auf Twitter und parteiintern, dass zu viele Posten aus Gefälligkeiten und Machtlogiken vergeben worden sind.

Auch die Postenvergabe im Bundeswirtschaftsministerium steht im Fokus. Hier soll es zu viel familiäre und freundschaftliche Nähe gegeben haben. So geschehen bei der Auswahl des neuen Geschäftsführers der Deutschen Energie-Agentur (Dena), an der Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen beteiligt war und am Ende Michael Schäfer zum neuen dena-Chef gekürt hat. Habeck sprach nun von einem Fehler und das Verfahren soll neu gestartet werden. CDU-Generalsekretär Czaja forderte unterdessen schon Graichens Rücktritt.

Aber das Habeck-Haus war nicht das einzige Ministerium, dessen Postenvergabe zuletzt in die Kritik geraten ist. Auch Justizminister Marco Buschmann muss sich für Besetzungen ohne Ausschreibung erklären.

Boris Palmer wird in Zukunft wahrscheinlich seltener in Personalfragen als Kandidat gehandelt werden. Der Tübinger Oberbürgermeister hat sich mit umstrittenen Äußerungen auf einer Migrationskonferenz nun vollends unmöglich gemacht und daraus die Konsequenzen gezogen. Sein Parteiaustritt dürfte bei den Grünen wohl ein episches Durchatmen verursacht haben, wie auch erste Reaktionen zeigen. Palmer ist seit 2007 Tübinger “OB” und war damit immer noch einer der ersten Grünen Rathauschefs, bevor er und seine Partei in den vergangenen Jahren immer mehr miteinander fremdelten.

Elmar Braun ist einer der wenigen Grünen, die noch länger Bürgermeister sind: 1991 wurde der Schwabe der erste Grüne Bürgermeister Deutschlands überhaupt,  als er in Maselheim im Kreis Biberach gewählt worden ist. Damals – 20 Jahre, bevor Winfried Kretschmann Ministerpräsident in Baden-Württemberg wurde – eine deutschlandweite Sensation. Nun hört der 67-Jährige auf und rät seinen Parteifreunden: Mehr zuhören, weniger vorgeben. Mehr zur politischen Karriere von Elmar Braun gibt es beim SWR.

Mit 67 Jahren dachte Joe Biden sicher nicht ans Aufhören, denn nun hat der mittlerweile 80-Jährige angekündigt, auch bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 anzutreten. Bei einem Wahlerfolg wäre er bei der Inauguration 82 Jahre und am Ende der Amtszeit 86 Jahre alt. Ob dies zu alt für den mächtigsten Politik-Job der Welt ist, diskutiert t-online in einem Pro und Kontra. Die Frankfurter Rundschau bietet eine Übersicht über weitere seniorige Staats- und Regierungschefs.

Wie viele Legislaturen ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin durchhält, hängt natürlich auch von deren Länge ab. Diese könnte sich bald auf fünf Jahre erhöhen, wie ein Kommissionsbericht empfiehlt.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

Aktuelle politjobs
Politticker
Forschungsprojekt zu Social Media und Demokratie

Durch die zunehmende Nutzung von Social Media verändern sich Kommunikationsformen rasant, was wiederum Auswirkungen auf den öffentlichen Diskurs und die liberale Demokratie hat. Um die Folgen dieses Wandels zu untersuchen, startet am Max-Planck Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften ein neues Forschungsprojekt: Unter dem Titel “Social Media for Democracy” sollen umfassende Datenanalysen durchgeführt werden, die die Auswirkungen sozialer Medien auf Gesellschaft und Politik zeigen. Das Projekt ist dabei eingebettet…

FES-Studie zu Demokratievertrauen

Deutschlands Demokratie bleibt trotz der aktuellen Krisen robust. Im Vergleich zu 2019 ist die Zufriedenheit mit ihr sogar leicht gestiegen. Dies ist eines der Ergebnisse einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich mit Demokratievertrauen in Krisenzeiten beschäftigt. Anhand einer Befragung von rund 2.500 Wahlberechtigten wurden vier Themenfelder untersucht: Neben dem Vertrauen in die Demokratie allgemein und in ihre Institutionen auch der gesellschaftliche Zusammenhalt und Verschwörungsdenken in der Bevölkerung.

Think Tank zur Transformation im Nahen Osten

Transformationen im Iran, im Nahen Osten und international: Diese Themen sind zentral für den neu gegründeten Think Tank “Center for Middle East and Global Order” (CMEG). Ziel ist es, geopolitische Machtverschiebungen und die Dynamik dahinter zu verstehen, während gleichzeitig eine nachhaltige Friedenssicherung und Entwicklung für den Nahen Osten anhand einer neuen Außenpolitik entwickelt wird. Zu diesem Zweck bietet das CMEG u.a. Analysen, öffentliche Diskussionen und  Trainingsangebote. Gründer und Director…

Forschungsmethoden zu Online-Plattformen

Online-Plattformen bieten ein zunehmend hohes Potenzial für Radikalisierung, Desinformation und demokratiefeindliche Ideologien. Zur effektiven Bekämpfung ist zunächst eine Analyse der Inhalte, der dahinterstehenden Netzwerke und Ideen notwendig, was sich hinsichtlich technischer und ethischer Überlegungen oft schwierig gestaltet. Welche Probleme dabei auftreten und welche Lösungen dafür gefunden werden können, hat das Institute for Strategic Dialogue in einem neuen Report untersucht: Unter dem Titel “Researching the Evolving Online Ecosystem” werden exemplarische…

Launch der Politico Research & Analysis Division

Journalismus, Research und Datenmonitoring kombiniert: Unter diesem Vorsatz startet bei Politico die neue Research & Analysis Division. Diese unabhängige Abteilung soll als essentieller “intelligence service” im Policy-Bereich agieren und durch die Verwendung von Datenanalysen und Policy-Monitoring diverse Akteure bei der Entscheidungsfindung und Policyplanung unterstützen. So richtet sich die Abteilung an Politico-Kund:innen, Professionals und Entscheidungsträger:innen. Die Leitung wird von Nadia Chabane-de Viron und Cornelius Hirsch übernommen.

Wahltrend
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Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Thomas Biebricher

Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus

Der beschleunigte Wandel der modernen Gesellschaft stellt viele Menschen vor Herausforderungen, ganz besonders aber jene, die sich als konservativ verstehen. Im politischen Raum haben dies in den vergangenen Jahrzehnten auch viele konservative Parteien erfahren müssen, die vor allem in Europa in Bedrängnis geraten sind. Thomas Biebricher zeichnet in seinem Buch diese internationale Krise des Konservatismus nach und beleuchtet die Auswirkungen für die liberale Demokratie. Anhand der drei Beispiele Italien, Frankreich und Großbritannien untersucht er, wie die bedeutenden konservativen Parteien auf den sozialen und politischen Wandel seit 1990 reagiert haben, wie sie sich gegenüber einer aufkommenden Konkurrenz von rechtsaußen positionierten – und zu welchen Ergebnissen das geführt hat: „Schwächung, Radikalisierung oder das völlige Verschwinden der Kräfte eines gemäßigten Konservatismus“.
Als Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Theorie widmet sich Biebricher zudem den relevanten Begrifflichkeiten „Rechts“ und „Mitte“ sowie der Bedeutung konservativer Parteien für die politische Kultur eines Landes. Seine These: Ohne gemäßigten Konservatismus können liberale Demokratien nicht überleben, weil sie den Wandel skeptisch, aber konstruktiv begleiten und so einen relevanten Teil der Bevölkerung einbinden. Mit Blick auf Deutschland und andere westliche Demokratien warnt der Autor deshalb vor einer Umkehrung des Konservativismus hin zum anti-elitären Populismus, der bestehende politische Institutionen und Gepflogenheiten zerstören möchte, um das Rad der Zeit zurückzudrehen und „von vorn“ anzufangen, wie es etwa bei den Republikanern in den USA zum Teil der Fall ist.

Die Buchempfehlungen finden Sie ab sofort auch unter www.politbooks.de.

 

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

@bundeswehrInfo

Woke, wehrhaft und witzig

Seit dem 23. April hat die Bundeswehr mehrere hundert Menschen aus dem Sudan ausgeflogen und dies unter anderem auf ihrem Twitter-Account dokumentiert. Dass seine Betreiber zudem schlagfertig sind, zeigt dieser Tweet als Antwort auf einen rassistischen Nutzerkommentar.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
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Deutsche Energie-Agentur (dena)

Die Deutsche Energie-Agentur ist ein Thinktank, der sich selbst als Kompetenzzentrum für Energiewende und Klimaschutz bezeichnet. Durch die Entwicklung von klimaneutralen Lösungen möchte die dena die Bundesregierung beim Erreichen klimapolitischer Ziele unterstützen und arbeitet zu diesem Zweck mit Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Die 2000 gegründete dena wird von Andreas Kumpmann und Kristina Haverkamp geleitet und hat ihren Sitz in Berlin und Halle. Ab Juni 2023 soll Michael Schäfer übernehmen, dessen Besetzungsverfahren aber derzeit geprüft wird.

Gregor Bauer

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2. Mai 2023