Spezial zum Krieg in der Ukraine

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Editorial: Spezial zum Krieg in der Ukraine +++ Wahltrend: Weiter Gewinne für die Union +++ Buch: Heller Weg. Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017-2019 +++ Tweet: Das Gefühl #StandWithUkraine +++ Jobs: Volontär:in Public Affairs (bitkom), Google News Initiative Student Fellowship 2022, Campaigner:in (Campact), u.a. +++ Events: Telegram und Co – Eine Gefahr für unsere Demokratie?  (Konrad-Adenauer-Stiftung), Berliner Gespräche mit Prof. Dr. A. Thiele – zu Gast: Dr. Hajo Schumacher (Business and Law School Berlin), u.a. +++ Stakeholder: Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

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Liebe Leserin, lieber Leser,

stellen Sie sich für einen Moment vor, Olaf Scholz macht mit seinen engsten Vertrauten ein nächtliches Selfie-Video mitten in Berlin und ruft Sie zum Kampf auf, Angela Merkel hält bei CNN die Waffen ihrer Kampfgruppe in die Kamera und Christian Wulff erklärt per Facebook-Video, wie man Molotow-Cocktails baut. Warum die so heißen, hat er Ihnen vielleicht auch erzählt, denn mittlerweile hat selbst die Warsteiner-Brauerei ihre Produktion auf die DIY-Brandbomben umgestellt. Was macht das mit Ihnen?

Wir können nur erahnen, wie sich die Ukrainer:innen gefühlt haben, als sie diese Entwicklungen in ihrem Land erlebt haben, nachdem sie letzte Woche von Russland mit einer Invasionsarmee von drei Seiten überfallen worden sind. Seitdem überschlagen sich die Ereignisse und sind im Rahmen unseres wöchentlichen Newsletters nicht vollständig abzubilden. Auf Grundlage unserer Arbeitsschwerpunkte wollen wir uns daher auf bestimmte Beobachtungen zu Machtdynamiken, Digitalisierung und Kommunikation in diesem Kontext konzentrieren. Trotzdem erwartet Sie diese Woche ein Longread. Im politticker weiter unten haben wir weitere Meldungen zum Krieg, aber auch darüber hinaus gesammelt.

Die Sanktionen des Westens brauchten ein paar Tage, bis sie auf den Weg gebracht wurden. Mittlerweile sind sie aber zu einer beachtlichen und auch wirkmächtigen Liste angewachsen, die Russland zusätzlich zu den umfangreichen Waffenlieferungen an die Ukraine hart treffen. Einige der elementarsten sind der SWIFT-Teilausschluss, die Sanktionierung der russischen Zentralbank und Luftraumsperrungen. Aber auch in Kultur und Sport wurde gehandelt: Ausschluss vom ESC, Absagen von WM-Qualifikationsspielen, dem Champions-League-Finale und dem russischen Formel 1 Rennen.

Einige Strafmaßnahmen waren so vielleicht aber nicht unbedingt erwartet worden:

  • Dem leidenschaftlichen Judoka Putin wurde die Ehrenpräsidentschaft der internationalen Judo-Vereinigung entzogen. Warum das besonders überraschend ist, erklärt Evi Semioni in der FAZ.
  • Im Juni 2000 wurde der russische Präsident zum “Ritter von Spandau” geschlagen, auch diese Ehrenwürde der Spandauer Zitadelle wurde jetzt annulliert.
  • Die Hackergruppe Anonymous hat Moskau den Krieg erklärt und unter anderem die Websites des Kreml, von Russia Today und der russischen Botschaft in Berlin zeitweise offline genommen. Auch eine Datenbank des Verteidigungsministeriums will das Kollektiv erbeutet und veröffentlicht haben.

Die Ukraine hat sich bisher militärisch, diplomatisch und kommunikativ überraschend gut geschlagen. Laut ukrainischen Angaben hat die russische Armee inzwischen etwa 4.500 Soldaten verloren, dazu kommen mehr als 150 Panzer und anderes Gerät. Die Zahlen lassen sich wie so vieles in diesem Konflikt nicht unabhängig überprüfen. Die ukrainische Seite hat auch russische Kriegsgefangene festgesetzt, viele von ihnen noch relativ jung.

Kommunikationsstrategisch bemerkenswert ist, dass die Ukraine eine Hotline geschaltet hat, auf der russische Familienmitglieder Auskunft über gefangene russische Soldaten erhalten. Die Gefangenen haben wohl auch die Möglichkeit, ihre Familien direkt anzurufen. Das hat eine nicht zu unterschätzende Nebenwirkung: Denn die gut organisierten russischen Soldatenmütter können für Putin zu einem Risikofaktor werden, wenn sich genug Frust und Trauer aufstaut. Und die Unzufriedenheit in Russland mit dem Krieg steigt: Oligarchen, Sportler:innen und Wissenschaftler:innen rufen zum Frieden auf. Selbst die Tochter des Kreml-Sprechers Peskow postete “Kein Krieg” in ihrer Instagram-Story (löschte es aber kurz danach wieder). Tausende Antikriegsdemonstrant:innen wurden bereits festgenommen, aus Medien – insbesondere Russia Today – und öffentlicher Verwaltung werden Kündigungen gemeldet.

Auch Berichte über eine bröckelnde Moral und Überraschung der russischen Truppen angesichts der heftigen Gegenwehr, auch aus der ukrainischen Zivilbevölkerung, machen die Runde. Auch hier ist eine unabhängige Bestätigung schwer möglich. Auf den sozialen Medien finden sich jedoch viele Meldungen und Videos von Senior:innen, die auf der Straße russischen Invasoren die Meinung sagen oder Menschen, die sich rollenden Panzern in den Weg stellen. In jedem Fall ist die Kreml-Erzählung von der “Befreiung der ukrainischen Bevölkerung” schnell in sich zusammengefallen.

Letzter Stand der Truppenbewegungen in der Ukraine. Russisch kontrollierte Gebiete in rot. Quelle: Institute for the Study of War.
Letzter Stand der Truppenbewegungen in der Ukraine. Russisch kontrollierte Gebiete in rot. Quelle: Institute for the Study of War.
Auf russischer Seite wurden Verluste jeglicher Art lange kategorisch dementiert. Selbst als Aufnahmen ausgebrannter russischer Panzer und Kriegsgefangener schon längst durchs Netz gingen. Russischen Medien wurde unter Androhung von Sperrung verboten, von “Krieg” oder “Überfall” zu sprechen. Wie absurd das Staatsfernsehen berichtet, hat Artur Weigand in seinem 24-Stunden-Protokoll der staatlichen Propaganda “Soldaten mit weißen Kätzchen” dokumentiert.

Der Krieg wird also auch zwischen zwei unterschiedlichen (Des)Informationsstreitkräften geführt. Die ukrainische Seite versucht über die sozialen Medien die Moral hochzuhalten und verbreitet Heldengeschichten wie die von den 13 Soldaten auf der Schlangeninsel, dem “Geist von Kiew” oder dem Ingeneur Witaly Skakun Wolodymyrowitsch. Viele sind nicht verifizierbar, ihre Wirkung tun sie trotzdem. Ob das ukrainische Verteidigungsministerium daher auch bewusst oder unbewusst einen Ausschnitt aus einem Videospiel als Abschuss verbreitet hat, wird sich wohl erstmal nicht klären lassen.

Eine Entkräftung russischer Halbwahrheiten bietet die WELT. Zwei laufend erweiterte Faktenchecks über die bekanntesten Falschmeldungen haben CORRECTIV und die Leiterin des AFP-Faktenchecks erstellt. Eine Twitter-Liste mit neuesten Meldungen und Stimmen hat die ZEIT kuratiert.

Anti-Kriegs-Protest in Berlin am 27.02. Quelle: polisphere.
Anti-Kriegs-Protest in Berlin am 27.02. Quelle: polisphere.

Der Elefant im Raum ist die Gefahr eines Atomkriegs, gerade nachdem Putin gestern seine Atomstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hat. Dabei ist aber zu beachten, dass diese erst die zweite von vier Stufen ist. Marina Henke gibt im RND-Interview eine Einschätzung, wann Putin eine (taktische) Atombombe einsetzen könnte. Wie ein US-General das Schlimmste verhindern könnte, beleuchtet Julia Bernewasser im Tagesspiegel.

Analyst:innen rechnen vor allem dem ersten Cyber-Weltkrieg der Geschichte Chancen ein, Kevin Townsend für die Security Week (englisch) erklärt warum. Ob russische Cyber-Attacken jetzt auch in Deutschland drohen, hat Felix Husemann für das RND ausgelotet.

Der Krieg betrifft viele von uns auch persönlich. Hier eine Reihe an hoffentlich hilfreichen Links für die Bewältigung der Situation auf die ein oder andere Art:

  • Wie erklärt man seinen Kindern den Krieg? Auf die Sendung mit der Maus ist Verlass. Sie hat eine Themenseite in leichter Sprache aufbereitet.
  • Im Videoformat erklärt Salon 5 auf Instagram kindgerecht, warum Russland die Ukraine angegriffen hat.
  • Direkt an die Eltern mit Tipps für die Vermittlung richtet sich Ralph Caspers, Moderator der Sendung “Wissen macht ah!” (Audio).
  • Sie haben noch Fragen zu dem Konflikt? Das Recherchenetzwerk Correctiv bietet an, Ihnen diese zu beantworten. Sie können Ihre Fragen hier eintragen.
  • Wie es überhaupt so weit kommen konnte, hat die ZEIT in einer Timeline des Konflikts zusammengetragen.
  • Sie wollen helfen, wissen aber nicht wie? Das evangelische Sonntagsblatt hat eine Liste von verlässlichen NGOs zusammengetragen, denen Ihre Spende helfen würde.
  • Allein in Berlin demonstrierten gestern mehr als 100.000 Menschen. Der Krieg hat ihrer Kreativität und Humor keinen Abbruch getan. Wir haben einige der besten Protestschilder dokumentiert.

Neben der verfahrenen Situation in der Ukraine, die geeint wie nie hinter ihrem Präsidenten Selenskyj steht (nach einer jüngsten Umfrage befürworten 94 % seine Politik) hat Putin nun also noch weitere Baustellen geschaffen:

  • Die NATO scheint geeint wie nie; Schweden, Finnland und der Kosovo denken sehr öffentlich über einen Beitritt nach.
  • Die EU findet plötzlich zu sicherheitspolitischem Selbstbewusstsein und nimmt ukrainische Geflüchtete in großem Maßstab auf.
  • Deutschland hat sich von russischem Gas verabschiedet, will das Verteidigungsbudget erhöhen und hat in einer historischen Entscheidung Waffenlieferungen genehmigt.
  • Die russischen Finanzmärkte und der Rubel brechen ein und
  • aus China kommt nicht der erhoffte Support.

Wladimir Putin hat schon oft hoch gepokert und meist gewonnen. Sein militärisches und politisches Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt und die russische Übermacht ist immer noch gewaltig. Kiew könnte also nach wie vor innerhalb von kurzer Zeit fallen und der Ausgang der aktuellen Friedensverhandlungen beider Seiten ist ungewiss. Ihn zu unterschätzen wäre falsch und fatal. Doch der Krieg gegen die Ukraine könnte die eine Wette zu viel sein, die nicht aufging.

Mit Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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Seit acht Jahren halten von Russland unterstützte Separatisten einen Teil der Ostukraine besetzt. Was passiert, wenn man darüber vor Ort kritisch berichtet, schildert Stanislav Aseyev in „Heller Weg“. Der ukrainische Journalist wurde aufgrund seiner Reportagen aus dem Kriegsgebiet als „Extremist“ und „Spion“ zu 15 Jahren Haft verurteilt und kam nach zweieinhalb Jahren in einem Donezker Foltergefängnis durch einen Gefangenenaustausch frei. In seinem Buch berichtet er sachlich und reflektiert von der Demütigung, Angst und Folter, die er und andere dort erlebt haben. Zugleich legt er Zeugnis davon ab, wie es gelingen kann, unter unmenschlichen Bedingungen menschlich zu bleiben.

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Normalerweise ist der Tweet der Woche ein Fundstück, das vor allem unterhalten soll. In dieser Woche ist uns allen das Lachen erfroren, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet hat. #WeStandWithUkraine ist nicht nur ein Hashtag, eine Phrase. Es ist ein Gefühl – ein Gefühl, das aus der Dolmetscherin für den TV-Sender WELT bei einer Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj herausgebrochen ist und das vermutlich fast jede:r in diesen Tagen tief nachempfinden kann.

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28. Februar 2022