Editorial: Schlagabtausch im Bundestag +++ Meldungen: Rekordwerte für Demokratiestreben weltweit, Erwartungen an die EU, “Borgen” ist zurück, Neuer Social-Media-Atlas, Kandidat:innen-Mangel in der Kommunalpolitik, u.v.m. +++ Wahltrend: SPD stürzt weiter ab +++ Buch: Update Wirtschaft für Gesellschaft +++ Tweet: Eine Zugfahrt, die ist lustig +++ Jobs: (Managing) Director (PLRX), Landecker Democracy Fellowship, Sachbearbeiter*in (SPD-Fraktion Treptow-Köpenick), Trainee Public Affairs (FleishmanHillard), u.v.m. +++ Events: re:publica 2022 – Das Festival für die digitale Gesellschaft +++ Stakeholder: German Marshall Fund
Liebe Leserin, lieber Leser,
am vergangenen Mittwoch haben sich viele politische Beobachter:innen die Augen gerieben. Bei der Generaldebatte – hier eine kurze Auffrischung der Begriffsklärung – im Bundestag sprach ein angriffslustiger Bundeskanzler (Rede im Video) und das dazu noch in Teilen frei ohne vom Blatt abzulesen. So erlebt man Olaf Scholz selten. Den Frontalangriff von Friedrich Merz, der seiner Rolle als Oppositionsführer ebenfalls mehr als gerecht wurde (Rede im Video), konnte er gut parieren.
- Corinna Emundts analysiert für die Tagesschau die Debatte.
- Markus Feldenkirchen wundert sich in seinem NDR-Gastbeitrag dennoch über die grundlegende “Verdruckstheit” des Kanzlers.
- Für Ann-Kathrin Büüsker zeigte die Debatte die Konzeptlosigkeit der Bundespolitik.
- Auch Karikaturist Heiko Sakurai sah bei Merz einen äußerst motivierten Auftritt.
- Die gesamte Generaldebatte hier im Mitschnitt.
Im Bundestag konnte Scholz positiv überraschen, in der politischen Stimmung sieht es anders aus. Die CDU hat in den letzten Wochen nicht nur zwei Landtagswahlen gewonnen, sondern legte auch im Bund kontinuierlich zu (siehe politnews-Wahltrend weiter unten). Damit diese Entwicklung anhält, will die Partei nun ihr Grundsatzprogramm erneuern. Letzte Woche stellte Merz die Grundwerte-Charta vor, welche die Basis dafür bilden soll. 2024 sollen die Ergebnisse vorliegen.
- Rebecca Sawicki diskutiert für Watson, was vom Prozess zu erwarten ist.
- Warum Schwarz-Grün vor allem für Merz eine vielversprechende Machtoption ist, zeigt Alessandro Peduto für die WAZ in einem ausführlichen Hintergrund.
- Was CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen planen, hat der Deutschlandfunk zusammengetragen. In Schleswig-Holstein wird derzeit in kleinen Runden verhandelt.
Doch die CDU hat auch eine Liste an Reizthemen:
- Die Frage der Kanzlerkandidatur steht im Raum und wird mit jedem Tag bis zur nächsten Bundestagswahl (vermutlich am 26. Oktober 2025), präsenter werden. Laut einer INSA-Umfrage ist der Parteichef derzeit aber nicht der Wunschkandidat der Unionswähler:innen: Sie bevorzugen einen anderen alten Hasen.
- Außerdem streitet man in der Partei weiter über die Frauenquote. Es gibt keine einzige CDU-Landeschefin oder Ministerpräsidentin und auch die Spitze des Konrad-Adenauer-Hauses ist in männlicher Hand. Sophie Garbe hat die innerparteilichen Konfliktlinien in der Frage analysiert.
- Auch der Umgang mit der AfD stand auf einmal wieder auf der Agenda. Die Thüringer Landtagsfraktion könnte durch eine Kooperation mit Björn Höckes AfD eine Abstandsregelung für Windräder durchsetzen. Felix Hackenbruch im Tagesspiegel über die Hintergründe und die Argumente beider Seiten.
Derweil hat sich Merz-Vorgänger Armin Laschet gemeldet. Er sprach im “Alles gesagt?”-Podcast ausführlichst über seine Wahlniederlage und wie er heute als Kanzler operieren würde. Warum er damals erfolglos blieb, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer sehr lesenswerten Studie zur Bundestagswahl 2021 analysiert. Dort tragen die Autor:innen Gründe der Wechselwähler:innen und wahrgenommene Defizite am Profil der Partei zusammen.
Dass Angela Merkel heute Abend bei ihrem ersten öffentlichen Interview nach ihrem Abgang dazu Aussagen treffen wird, ist zwar unwahrscheinlich. Interessierte können das Gespräch mit Alexander Osang ab 20 Uhr dennoch unter diesem Link live verfolgen.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff
Demokratie: Rekordwerte für Demokratiestreben weltweit
Die Demokratie verzeichnet 2022 einen historischen Beliebtheitsrekord. Der Lantana Democracy Perception Index, die weltweit größte Erhebung zu dem Thema, ergab erstmals eine Zustimmung von 84 % für die Regierungsform. Konkrete demokratische Werte wie Redefreiheit, freie Wahlen und Gleichberechtigung werden sogar von über 90 % bejaht. Die ungleiche Verteilung von Reichtum gilt unter den Befragten als größte Gefahr für die Demokratie. Dabei ist 41 % von ihnen der Meinung, dass ihr eigenes Land nicht demokratisch genug sei.
Demokratie und Gesellschaft: Neue Erwartungen an die EU
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sehen deutsche Bürger:innen vor allem die Unabhängigkeit der Energieversorgung als erste Priorität für europäische Politik. Das meinten 66,9 % der Befragten bei einer aktuellen Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und von Das Progressive Zentrum. Deutschland solle, so eine Mehrheit von 72 %, zukünftig aktiver in der EU agieren; im Vorjahr waren es noch 67,9 %. Weiterhin sehen rund zwei Drittel mehr Vor- als Nachteile in der deutschen EU-Mitgliedschaft. Während aber nur noch 48,8% (-4,5) einen wirtschaftlichen Nutzen sehen, meinen nunmehr 63,7 % (+4,2), dass Deutschland vor allem politisch profitiert.
Gesellschaft: Netflix zeigt neue Staffel der Politserie Borgen
Nach neun Jahren wird die TV-Serie Borgen vom Streaming-Dienst Netflix mit einer neuen Staffel weitergeführt. Die Serie über Brigitte Nyborg, Vorsitzende einer linksliberalen Kleinpartei, die zur Premierministerin Dänemarks aufsteigt, war zwischen 2010 und 2013 ein Welterfolg. Nyborg, gespielt von Sidse Babett Knudsen zeichnet sich durch ihren skrupellosen Machtinstinkt und Erfolg in politischen Ränkespielen aus. In der vierten Staffel ist die Politikerin mit globalen Konflikten wie der Ukrainekrise konfrontiert – und gerät in die Defensive. (SPIEGEL-Rezension)
Social Media: Bayern Rekordhalter in Social-Media-Nutzung
78 % der Deutschen nutzen Soziale Medien, 2 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Social-Media-Atlas der Kommunikationsberatung Faktenkontor hervor. Spitzenreiter ist der Freistaat Bayern mit 82 % (+5). Den größten Zuwachs verzeichnet Bremen mit plus 7 Prozentpunkten, liegt dennoch weiterhin nur im Bundesschnitt. Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt. Lediglich 68 % nutzen dort Soziale Medien. Die bundesweit beliebteste Plattform ist Whatsapp (71%, +2), die damit YouTube (71 %, +1) knapp ablöst.
Parlamente: Kandidat:innen-Mangel bei Thüringer Bürgermeisterwahlen
In 22 Gemeinden fehlen für die Wahlen am 12. Juni in Thüringen Bürgermeisterkandidat:innen, das gab Landeswahlleiter Holger Poppenhäger bekannt (Stand 1. Juni). Poppenhäger betonte, dass Wähler:innen in diesen Gemeinden nun eigene Vorschläge auf die Stimmzettel schreiben könnten. Bei den letzten Kommunalwahlen 2016 fehlten ebenfalls zahlreiche Bewerber:innen, doch konnten auf diese Weise letztlich alle Bürgermeisterposten besetzt werden. Kandidat:innenmangel ist ein zunehmendes Problem in der Kommunalpolitik.
Ukraine & Russland
- Kriegsführung: Hinweise auf verdeckte Mobilmachung russischer Streitkräfte & Besetztes Gebiet entspricht einem Drittel Deutschlands
- Ölembargo: Kommentar: 26 EU-Länder knicken wieder vor Orban ein & Pressespiegel: Teil-Ölembargo gegen Russland: Sinnvoll oder nicht? & Was bedeutet das für Deutschland?
- Putin: Russlands Präsident soll Krebs-OP gehabt haben: US-Geheimdienste sprechen von schwerer Erkrankung & Prorussische Kämpfer erheben schwere Vorwürfe
- Analyse: Die Rolle Deutschlands in der Nato
Parteien und Parlamente
- Hessen: Boris Rhein ist neuer Ministerpräsident & Portrait: Vom Hardliner zum Landesvater: Wer ist der Mann, der Volker Bouffier folgt?
- Korruptionsvorwürfe: Frankfurter Oberbürgermeister Feldmann muss vor Gericht
- Die Linke: Sahra Wagenknecht: Parteiausschluss abgelehnt
- Baden-Württemberg: Untersuchungsausschuss gegen Innenminister Strobl wegen Informanten-Affäre
- Analyse: Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2022
- Afghanistan: Bundestag setzt einen Untersuchungsausschuss ein
Ministerien und Behörden
- Sachsen: NPD-Politiker saß zeitweise an Pforte des Landeskriminalamtes
- Krankenhausreform: Neues Gutachten setzt Gesundheitsminister Lauterbach weiter unter Druck (€)
- Justizminister:innenkonferenz: Beratung über Problem der Massenklagen
Demokratie und Gesellschaft
- Antisemitismus: Neues Forschungszentrum in Tel Aviv und Frankfurt gegründet
- Neu eingeführter Klimabürger:innenrat: Report der Heinrich-Böll-Stiftung über erste Erfahrungen
- Rechtsextremismus: Das Nazidorf: Der Dorfchef von Jamel
Lobbyismus und Interessenvertretung
- Hintergrund: Wie funktioniert wissenschaftliche Politikberatung?
Personalien
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz: Ralph Tiesler übernimmt Leitung
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: Mario Brandenburg tritt Sattelbergers Nachfolge an
- Europäische Volkspartei: Manfred Weber (CSU) wird zum neuen Vorsitzenden gewählt
- Bundesverband der Industrie: Ex-Umweltministerin Tanja Gönner wird Hauptgeschäftsführerin
- GAULY: Elvan Korkmaz-Emre wird Director
Politische Kommunikation
- Kriegskommunikation: Wolodymyr Selenskyj: Reden im Zeichen des Krieges
- Analyse: Die Rede-Taktik von Olaf Scholz (€)
- Robert Habeck: Applaus vom CDU-nahen Wirtschaftsrat
- Krisenkommunikation: Kommentar: Wenn aus Hektik Ohnmacht und Wut wird
Social Media
- Telegram: Nutzer:innendaten wurden an Bundeskriminalamt weitergegeben
- Meta: Sheryl Sandberg verlässt Konzern
- Gezielte Desinformation: Wie unser Diskurs durch digitales Astroturfing manipuliert wird
- Radikalisierung im Netz: Rassismus und Gewalt vermehrt auf Mainstream-Internetseiten (englisch)
Podcast
- Neues Format: DGAP: Die Sicherheitsbotschafter
Das Entlastungspaket der Bundesregierung, um die gestiegenen Kosten für Energie, Lebensmittel und Mobilität abzufedern, wird gerade kontrovers diskutiert. Doch das ist wohl nur ein Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen um die anstehende sozial-ökologische Transformation. Wie diese Aufgabe bewältigt werden kann, thematisiert der Band „Update Wirtschaft für Gesellschaft“ der Bertelsmann Stiftung. Darin schildern 32 junge Führungskräfte aus mittelständischen Betrieben sowie aus der Tech- und Start-up-Szene ihre Ideen für besseres Wirtschaften. Das Themenspektrum umfasst dabei Finanzfragen, den digitalen Wandel, Umwelt- und Klimaschutz, Diversität sowie allgemeine unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft.
Auf Sylt war über Pfingsten der Teufel los. Das lag in großen Teilen am 9€-Ticket, mit dem man seit dem 1. Juni mit Nahverkehrszügen der Deutschen Bahn fahren kann. Die Insel-Bewertungen fielen gemischt aus, wie der Tweet von Nils Markwardt exemplarisch zeigt.
Job der Woche
Fellowship der Woche
Landecker Democracy Fellowship (m/f/d)
Demokratie in der digitalen Zeit gestalten. Mit dem Landecker Democracy Fellowship von Humanity in Action kannst Du genau das tun! Neben einem lehrreichen Training bietet das Fellowship ein umfangreiches Unterstützungsprogramm an, damit Du Deine Projektidee umsetzen kannst. Bewirb Dich noch bis zum 17. Juli.
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Event der Woche
Mi, 08.06- Fr, 10.06.2022 | 10:00-23:00 Uhr
re:publica 2022 – Das Festival für die digitale Gesellschaft
republica GmbH | Arena Berlin & Festsaal Kreuzberg
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German Marshall Fund of the United States (GMF)
Der German Marshall Fund of the United States (GMF) ist eine überparteiliche politische Organisation, die den Zusammenhalt zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu stärken anstrebt. Der GMF setzt sich für Frieden, Demokratie und Menschenrechte in internationalen Beziehungen ein. Als Präsidentin steht Heather A. Conley an der Spitze der Organisation. Gegründet 1972 in Washington, feierte der GMF am 05. Juni 2022 sein 50-jähriges Jubiläum.
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