politnews – Staatsterrorismus im EU-Vorgarten

[ Mit Meldungen zu: Umfragen zu deutschem Förderalismus und Vertrauen in die EU, einem Code of Conduct für den digitalen Wahlkampf, Meta-Bot, dem ersten Antidiskriminierungs-Chatbot Deutschlands und den Gewinnerinnen des Civis-Medienpreises 2021 ]

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Ein Plot wie aus einem Kinofilm spielte sich am Pfingstsonntag über dem Luftraum von Belarus ab. Ein Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius wurde über dem belarussischen Luftraum unter dem Vorwand einer Bombendrohung umgeleitet. Eine MiG-29 fing die Boeing kurz vor der litauischen Grenze ab und eskortierte sie nach Minsk – die Flugroute als Grafik. Eine von vielen Ungereimtheiten in der Version des Lukaschenko-Regimes: Der Zielflughafen Vilnius war bereits näher als der Airport der belarussischen Hauptstadt. Dass es keine ernstzunehmende Bombendrohung gab, gilt als sicher.

Die staatlich organisierte Flugzeugentführung galt dem Passagier und oppositionellen Blogger Roman Protassewitsch. Der 26-Jährige wurde bereits in Athen auf eine Beschattung aufmerksam. Dort befand er sich im Urlaub, nachdem er ein paar Tage zuvor die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja bei ihrem Griechenland-Besuch traf und dies auch twitterte, was seinen Verfolgern nicht unverborgen geblieben sein dürfte.

Nach Augenzeugenberichten aus dem Flugzeug realisierte der Journalist sofort nach der Umleitung, dass die Entführung ihm galt. Noch an Bord übergab er seinen Computer an seine Lebenspartnerin Sofia Sapega, um ihn – erfolglos, wie sich später zeigen sollte – dem Zugriff der Behörden zu entziehen. NTV mit der Schilderung der Szenen an Bord; eine Influencerin schilderte ihre Erlebnisse in einer Story, die stern.de in Auszügen dokumentiert. Im Flugzeug sollen sich auch Agent:innen des belarussischen Geheimdienstes KGB befunden haben, wie Ryanair Chef O’Leary vermutet. Protassewitsch wurde nach der Landung in Minsk zusammen mit Sapega festgenommen. Am gestrigen Pfingstmontag veröffentlichten belarussische Staatsmedien ein Videostatement (übersetzte Version) des in Untersuchungshaft befindlichen Journalisten, auf dem er erklärt, dass er gemäß den Gesetzen behandelt würde. Protassewitsch trägt dabei Verletzungsspuren im Gesicht, Beobachter:innen gehen davon aus, dass er gefoltert wurde und das Video unter Druck entstand.

Protassewitsch ist ehemaliger Chefredakteur des einflussreichen NEXTA Telegram-Channels (englischsprachiger, seit Januar inaktiver Twitter-Account), der von Warschau aus operiert, und spielte bei den Protesten gegen die fingierte Wahl von Lukaschenko im letzten Jahr eine entscheidende Rolle. Teilweise folgten dem Kanal bis zu 2,1 Millionen Menschen; Belarus hat 9,5 Millionen Einwohner:innen. Protassewitsch lebt seit 2019 im litauischen Exil und baute dort unter anderem nach seiner Zeit bei NEXTA den oppositionellen Telegram-Kanal „Belarus’ Gehirn“ („Belarus Glownowo Mosga“) auf. Der Telegram-Messenger, der sich auch in Deutschland steigender Nutzer:innenzahlen erfreut, aber auch oft für Desinformation missbraucht wird, ist in dem osteuropäischen Staat eine wichtige Informations- und Vernetzungsplattform, insbesondere für die Opposition. Die Tagesschau analysierte die Rolle des Messengerdienstes bei den Protesten bereits 2020 und berichtet ausführlich über den aktuellen Stand der regierungskritischen Bewegung.

Am Montagnachmittag folgte die nächste Machtdemonstration des belarussischen Regimes. Ein Lufthansa-Flug wurde wegen einer angeblichen Bombendrohung der Hamas vom Start abgehalten. Alle Passagiere mussten das Flugzeug verlassen. Nach zweistündiger Verspätung konnte die Maschine ihren Flug antreten. Mit allen 51 Passagieren an Bord.

Als Reaktion bestellten zahlreiche Länder die belarussischen Botschafter:innen ein. Vor allem das direkt betroffene Litauen reagierte scharf. Die Regierung sperrte den eigenen Luftraum unmittelbar für belarussische Flüge und forderte alle Bürger auf, das Nachbarland zu verlassen. In einem symbolischen Protestakt tauschte der Veranstalter der in Riga stattfindenden Eishockey-WM alle belarussischen Fahnen mit der Flagge der Protestbewegung. Die autokratische Führung in Minsk verwies daraufhin alle lettischen Botschaftsmitarbeiter:innen des Landes. Der Kreml, Lukaschenkos engster Verbündeter, forderte zu Zurückhaltung auf und verwies u. a. auf den von den USA erzwungenen Stopp der Maschine des damaligen bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien 2013. Damals stand der Verdacht im Raum, dass Edward Snowden an Bord der Maschine sei. Nachdem sich dieser nicht bestätigt hatte, konnte Morales seine Reise fortsetzen, dieser protestierte jedoch vehement gegen den Eingriff.

Die Reaktion auf die staatlich organisierte Flugzeugentführung ist eine Nagelprobe für die Handlungsfähigkeit europäischer Außenpolitik – eine Zusammenfassung  der bisher einstimmig beschlossenen Sanktionen. EU-Verkehrskommissarin Adina Valean leistete sich indessen einen kommunikativen Fehltritt: Während sich Protassewitsch schon in Haft befand, jubelte sie auf Twitter über den Weiterflug der Passagiere.

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

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politnews


[ Föderalismus gewinnt an Vertrauen ]

Die Zustimmung zum Föderalismus in Deutschland ist seit 2013 stetig gewachsen. Das geht aus einer Allensbach-Befragung hervor. 37 % gaben an, dass die Bundesländer möglichst viel selbst regeln sollten (2013: 22 %; 2019: 29 %). Auf die Frage, ob sich eher die Landes- oder eher die Bundesregierung um ihre Belange kümmerten, stimmten 39 % für die Landes-, während nur 6 % die Bundesebene nannten. Lediglich 41 % zeigten sich zufrieden oder sehr zufrieden mit der Bundespolitik, während 57 % dies für die Politik ihres Landes angaben.

FAZ (Bericht, Paywall)


[ D64 entwirft Code of Conduct für digitalen Wahlkampf ]

Das SPD-nahe Zentrum für digitalen Fortschritt D64 fordert eine gesetzliche Regelung für Transparenz im digitalen Wahlkampf. Bis diese geschaffen wird, sollen sich die Parteien nun zu einem Code of Conduct mit zehn Verpflichtungen bekennen sowie haupt- und ehrenamtliche Unterstützer:innen entlang dieser Regeln schulen. Neben einer Absage an die Verbreitung irreführender Inhalte, Hassrede sowie dem Aufruf zur Gewalt sollen beispielsweise Quellen stets angegeben und Bots nur eingeschränkt benutzt werden.

D64 (Code of Conduct)


[ Neuer Chatbot: Künstliche Intelligenz gegen Diskriminierung ]

Erstmals berät ein Bot in Deutschland Opfer von Diskriminierung. Angesichts überlasteter Beratungsstellen soll der Chatbot „Meta“ zunächst drei Funktionen erfüllen: Betroffene können entweder Vorfälle melden, eine Beratungsstelle finden oder ihre Opferrechte prüfen. Geplant ist außerdem, das Tool zu einer künstlichen Intelligenz auszubauen, sodass Meta auch auf Freitext-Eingaben individuell reagieren kann. Derzeit ist der Bot nur über den Browser erreichbar, doch die Initiative um den Juristen Said Haider plant eine Ausweitung auf Messengerdienste und eine App.

Meta (Website)


[ Gesunkenes Vertrauen in EU und nationale Regierungen ]

In den letzten Monaten der Coronakrise mussten EU und ihre nationalen Regierungen herbe Vertrauensverluste hinnehmen. Dies geht aus einer Umfrage der Stiftung Eurofound hervor. Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 vergaben die Befragten im März 2021 im Schnitt noch 4,6 Punkte für die EU (5,1 im Juli 2020). Der stärkste Abfall zeigte sich dabei unter den deutschen Befragten von 5,4 auf 4,0 im Frühjahr. Das Vertrauen in nationale Parlamente sank ebenfalls massiv von 4,6 auf 3,9 Zähler. Mit einem Wert von 2,1 zeigten sich insbesondere polnische Befragte unzufrieden mit ihrer Regierung, während Dänemark mit 7,0 den höchsten Wert verzeichnet.

Eurofound (Studie, englisch)


[ Civis-Medienpreis geht an Podcast über rassistischen Brandanschlag ]

Der Podcast „Rice and Shine/Hamburg 1980: Als der rechte Terror wieder aufflammte“ gewinnt den diesjährigen Top Award des Civis-Medienpreises für Migration, Integration und kulturelle Vielfalt. Minh Thu Tran und Vanessa Vu widmeten sich darin einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg, bei dem 1980 zwei Männer aus Vietnam starben. Der Podcast gewann neben den mit 15.000 Euro dotierten Hauptpreis auch den Podcast-Publikumspreis. Damit setzten sich die Autorinnen gegen rund 800 Bewerbungen aus der EU und der Schweiz durch.

Civis (Alle Preisträger:innen)


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Parteien und Parlamente

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Politische Kommunikation und Journalismus

International

Podcast

Paper


Buch der Woche


Wirecard galt einst als ein aufstrebendes Finanz-Startup, das über prominente politische Unterstützer:innen verfügte mit Kontakten bis ins Bundeskanzleramt. Mittlerweile steht der Name jedoch für den größten Wirtschaftsskandal der deutschen Nachkriegszeit – inklusive Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der Journalist Felix Holtermann schildert in „Geniale Betrüger“ detailliert, wie es dazu kommen konnte. Dabei analysiert er auch die Schwächen eines Systems, das den milliardenschweren Betrug erst ermöglicht hat.


polittweet


„Gelobe feierlich, Königin Elizabeth die Treue zu halten.“

Im schottischen Parlament wird nicht oft Deutsch gesprochen. Bei der Vereidigung von Angus Robertson war es aber soweit. Die Mutter des Abgeordneten der SNP stammt aus Berlin, er selbst arbeitete jahrelang als Journalist in Wien. Robertson setzte sich gegen den Tory-Kandidaten in Edinburgh Central durch.

 

Do, 27.05.2021 – Digital Campaigning Conference
Friedrich Naumann Stiftung | Digitalisierung | online | 10.00-14.30 Uhr

Mi, 26.05.2021 – 10 Jahre Krieg in Syrien – eine Bilanz Deutscher Syrienpolitik
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik | Internationale Politik | online | 17.00-18.00 Uhr

Mi, 26.05.2021 – Tiergartenkonferenz 2021
Friedrich Ebert Stiftung | Europapolitik | online | 13.45-16.15 Uhr

Fr, 28.05- Sa, 29.05.2021 – 20th Humboldt Symposium – Leadership for the next decade
Humboldt-Forum Wirtschaft | Internationales Leadership | online

Sa, 29.05.2021- Politische Krisenkommunikation
Konrad Adenauer Stiftung | Kommunikation | online | 9.00-16.30 Uhr

Mo, 31.05.2021 – Policy Kitchen: Klima
Polis180 | Klimapolitik | online | 18.30-21.00 Uhr

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Luftfahrt-Bundesamt
Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) sorgt als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) für die zivile Flugsicherheit in der Bundesrepublik. Die Behörde besteht aus einer Zentrale in Braunschweig und Außenstellen in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München, Stuttgart und Berlin. Seit dem 01. Mai 2012 wird es von Jörg Mendel als Präsidenten geleitet.

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25. Mai 2021