politnews – Sommerpause im Schatten des Coronavirus

[ Mit Meldungen zu: neues Gesellschaftsmagazin „Veto“, Consul-Beteiligungssoftware in Detmold, Apple News ohne NYT, JournalistInnen-Preis „Top 30 unter 30“, Algorithmus-Änderung bei Facebook ]

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Die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause hat es traditionell in sich. Bevor es in die Wahlkreise bzw. Feriendomizile geht, stehen viele kleine und große Entscheidungen an, die vor der Sitzungspause abgeschlossen sein wollen. Manchmal auch historische, wie 2017, als die „Ehe für Alle“ am letzten Sitzungstag und von Konfettiregen begleitet den Durchbruch schaffte. In den letzten Plenarsitzungen des ersten Halbjahres 2020 wurden in der letzten Woche unter anderem folgende Entscheidungen getroffen – oder eben auch nicht:

  • Denn das Drama um die Wahlrechtsreform geht weiter. Die Große Koalition hat eine Abstimmung über den Entwurf der Opposition verhindert und selbst keinen eigenen vorgelegt. Eine Reduzierung der Wahlkreise für die nächste Bundestagswahl 2021, um einen XXL-Bundestag zu verhindern, scheint ausgeschlossen. SZ-Parlamentsreporter Robert Rossmann kommentiert, warum das ein Unding ist.
  • Ab 2022 dürfen keine herkömmlichen Tabakwaren mehr auf Außenflächen beworben werden. Ein Jahr später folgt dann dieselbe Einschränkung für E-Zigaretten. Deutschland ist damit das letzte EU-Land, das ein Tabakwerbeverbot einführt, nachdem die Union ihren jahrelangen Widerstand aufgegeben hat. Die Zustimmung des Bundesrats gilt als sicher. Der SPIEGEL erklärt die Einzelheiten des Gesetzes, gegen das die Tabaklobby lange erbittert gekämpft hat.
  • Die Grundrente kommt. Das Prestige-Projekt der SPD hat die letzte Hürde genommen und tritt ab 2021 in Kraft, bis Ende 2022 sollen alle Leistungsberechtigten ermittelt sein. Die Auszahlungen sollen rückwirkend erfolgen. Wer davon profitiert, erklärt die Wirtschaftswoche.
  • Fast zwei Jahrzehnte später soll Deutschland dann den Kohleausstieg vollenden. Spätestens im Jahr 2038 soll das letzte Kraftwerk vom Netz gehen. Warum das aber vor allem ein teuer erkaufter Rechtsfrieden ist, kommentiert Angela Ulrich vom RBB.
  • Aufgrund der Coronakrise beschloss der Bundestag mit fast 220 Milliarden Euro die höchste Neuverschuldung seiner Geschichte. Die Rekordmarke hielt bisher das Jahr 2010, als die Finanzkrise Löcher im Umfang von 44 Milliarden in die Staatskassen riss.

Auch die ersten Sommerloch-Debatten zeichnen sich ab. Die neue SPD-Wehrbeauftragte Eva Högl brachte die Wiedereinführung der Wehrpflicht ins Gespräch. Ein Vorstoß, der nicht nur in den eigenen Reihen für Befremden sorgte. Nach einer Woche, die für die SozialdemokratInnen eigentlich recht gut lief (siehe oben), einmal mehr ein hausgemachter Konflikt, bei dem es wenig bis nichts zu gewinnen gibt. Dazu gesellte sich dann noch die Debatte um die Beratertätigkeit von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel für den Fleischproduzenten Tönnies, der insbesondere für den Umgang mit seinen MitarbeiterInnen in die Kritik geraten war. Gabriels Rechtfertigung war, nun ja, eine für ihn typische: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag. Ich bin kein Politiker mehr.“ Das ARD-Magazin “Panorama” berichtet über den Inhalt Gabriels Tätigkeit, die vor allem auf den chinesischen Markt abzielte. Die Karenzzeit-Regelung für ehemalige PolitikerInnen verletzte Gabriel nicht.

Auf internationaler Bühne hat Deutschland gleich doppelt Verantwortung übernommen. Seit dem 1. Juli hat die Bundesregierung für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft inne. Neben dem Brexit, der gerade wieder selbst für seine Verhältnisse schleppend vorankommt, soll es vor allem um die europäischen Corona-Wiederaufbaufonds gehen. Ebenfalls zum Monatsbeginn hat Deutschland auch den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat für vier Wochen übernommen. Die Süddeutsche Zeitung erklärt, warum neben den Konflikten in Libyen, Jemen und Syrien insbesondere der Nahost-Konflikt eine harte Probe für die deutschen DiplomatInnen werden kann. Als ständige Mitglieder sitzen im wichtigsten Gremium der UN neben China und dem Vereinigten Königreich noch drei weitere Nationen, die in den letzten Tagen ebenfalls politische Paukenschläge erlebt haben.

  • In Russland haben nach offiziellen Angaben 78 Prozent für eine Verfassungsänderung gestimmt, die Präsident Putin eine Amtszeit bis ins Jahr 2036 ermöglichen würde. Abzüglich der Unterbrechung von 4 Jahren, als er zwischen 2008 und 2012 Ministerpräsident war, könnte er damit 32 Jahre im Amt sein. Der Tagesspiegel berichtet von massivenWahlfälschungen und einem indigenen Volk im Nordwesten Sibiriens, das als einzige Region mehrheitlich gegen die Verfassungsänderung gestimmt hat.
  • In Frankreich leitete Emmanuel Macron eine Kabinettsumbildung mit dem Rücktritt aller MinisterInnen ein. Auch wenn der Zeitpunkt Ende letzter Woche überraschte, kam der Schritt als solcher nicht unerwartet. Nach der Wahlschlappe bei den Kommunalwahlen will der Präsident nun seine Politik neu ausrichten. Zudem hatte sich der bisherige Premierminister Édouard Philippe als Bürgermeister von Le Havre wiederwählen lassen und bereits angekündigt, bald in die Hafenstadt zurückzukehren. Sein Nachfolger ist Jean Castex und gilt als Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
  • In den USA, die derzeit beweisen, wie real die Gefahr des Coronavirus immer noch ist, gibt es wohl einen neuen Bewerber um das Präsidentenamt. Rapper Kanye West kündigte am Wochenende an, gegen Trump und Biden ins Rennen zu gehen. Das könnte man als verspäteten Aprilscherz abtun, doch ist es nicht das erste Mal, dass der mit einem überaus gesunden Selbstbewusstsein ausgestattete Musiker sich für das höchste Staatsamt ins Gespräch bringt. Doch selbst wenn er ernst meinen würde, die Hürden sind enorm. In manchen Bundesstaaten kann er gar nicht mehr auf dem Wahlzettel stehen.

Auch die polisphere-Redaktion folgt dem parlamentarischen Kalender, der ab dem 7. September wieder die ersten Sitzungen ankündigt. Wenn nicht – wie im letzten Jahr, als die Abgeordneten für die Vereidigung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Sommerurlaub zurückbeordert wurden – Unvorhergesehenes geschieht. Bis dahin werden wir uns im 14-tägigen Rhythmus mit den politnews melden.

Da der politische Stellenmarkt auch im Sommer nicht still steht, erscheint unser job alert mit den neuesten Jobs aus dem Politikbetrieb weiterhin wöchentlich. Kostenfrei anmelden können sie sich hier.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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  • [ „Veto – Magazin für Protest und Verantwortung“ veröffentlicht zweite Ausgabe ]
    Neue Print-Magazine für gesellschaftspolitische Themen sind rar gesät. „Veto“ ist eines von ihnen. Aus einem Blog entstanden, konnte das „Magazin für Protest und Verantwortung“ nach einem Crowdfunding-Projekt Ende April das erste Mal in den Druck gehen und soll nun viermal im Jahr erscheinen. Das Magazin macht es sich zur Aufgabe, Engagierte in Deutschland sichtbar zu machen und zu erreichen. Die zweite Ausgabe steht unter dem Titel „Zusammenhalt – Gesellschaft in der Krise“ und lässt VertreterInnen von Minderheiten einen Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage werfen. ➡️ Veto (Webseite)
  • [ Erste deutsche Stadt führt Beteiligungssoftware Consul ein ]
    Detmold ist deutscher Consul-Pionier und führt die Beteiligungssoftware auf Open-Source-Basis ein. So soll Bürgerbeteiligung vereinfacht und ausgeweitet werden. Die BürgerInnen der nordrhein-westfälischen Stadt können nun z. B. über Straßenumgestaltungen abstimmen. Über 120 Städte haben die Software bereits genutzt, unter anderem New York, Madrid und Buenos Aires. Consul ist die meistgenutzte Beteiligungssoftware weltweit und auch andere deutsche Städte, wie München und Augsburg, haben bereits ihr Interesse an der Plattform geäußert. ➡️ Mehr Demokratie (Meldung) | Stadt Detmold (Beteiligungsplattform)
  • [ New York Times verlässt Apple News ]
    Die New York Times zieht sich von Apple News zurück, mit dem Ziel, ihre LeserInnen wieder mehr an die eigenen Plattformen zu binden. Der britische Guardian hat das bereits 2017 getan, kehrte jedoch im März zu Apple News zurück. Die New York Times hat zwar nur wenige Artikel auf Apple News veröffentlicht, trotzdem verabschiedet sich damit einer der größten Namen von der Plattform, von der es sowohl eine kostenlose als auch eine Plus-Variante für monatlich 9,99 Dollar gibt. ➡️ Meedia (Meldung)
  • [ medium magazin kürt “Top 30 unter 30” JournalistInnen ]
    Das medium magazin hat seine diesjährige Auswahl der „Top 30 unter 30“ JournalistInnen veröffentlicht. Darunter August Modersohn (ZEIT), Antonia Mannweiler (FAZ) und Nike Laurenz (SPIEGEL). Darüber hinaus wurde das Team des „Sozusagen“-Podcasts ausgezeichnet. Die „Top 30 bis 30“ werden seit 2006 jährlich ausgewählt und sollen „Podium für begabten Nachwuchs in allen Gattungen des Journalismus“ sein. ➡️ kress (Meldung)
  • [ Facebook kündigt Algorithmus-Änderung an ]
    Nach jahrelanger Kritik an Facebooks Untätigkeit gegenüber Desinformation auf den eigenen Plattformen und dem Werbeboykott #StopHateForProfit will das Unternehmen jetzt vor der US-Präsidentschaftswahl seinen Feed-Algorithmus ändern. Von nun an sollen Artikel, die von Facebook als “Ursprungsquellen” identifiziert wurden, weiter oben angezeigt werden. Quellen, deren redaktioneller Hintergrund als nicht-transparent eingestuft wird, sollen weniger sichtbar sein. ➡️ Süddeutsche (Meldung) | Facebook (Pressemitteilung)


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Das Private ist politisch

Home Office und Kinderbetreuung sind, wie viele spätestens jetzt wissen, eine anspruchsvolle Kombination. Der legendäre Live-Interview-Auftritt des Nordkorea-Experten Robert E. Kelley hat das schon im Jahr 2017 bewiesen und nun endlich eine würdige Nachfolgerin gefunden. Abermals in der BBC erklärt Dr. Clare Wenham wie lokale Lockdowns in Großbritannien funktionieren können, während sich Tochter Scarlett als Inneneinrichterin versucht – und damit auch den Moderator im Studio überzeugt.

 

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6. Juli 2020