politnews – Nach dem Sturm

[ Mit Meldungen zu: Gaming im Wahlkampf, Scheuer verliert Kommunikationschef, Social-Media-Ausblick 2021, Bewerbungsendspurt bei JoinPolitics und HSS-Podcast zu Wissenschaftlichen Diensten. ]

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„Schockierende Szenen. Das Ergebnis von demokratischen Wahlen muss respektiert werden!“ Das twitterte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwochabend – nicht etwa über Ereignisse in einem krisengeschüttelten Entwicklungsland, sondern über die Umsturzversuche in Washington, der Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Ein Mob von Rechtsradikalen, Verschwörungsanhänger:innen und Trump-Fans verschaffte sich teils gewaltsam, teils von der überforderten Polizei ungehindert, Zugang zum Kapitol, dem Sitz des US-Kongresses, der Joe Biden währenddessen formell als neuen Präsidenten bestätigen sollte. Lars Wienand hat sich die radikale Ansammlung für t-online genauer angeschaut. Angeheizt wurde der Vorfall durch eine Trump-Kundgebung und die Nachrichten aus Georgia, wo zwei Demokraten die Stichwahlen gewonnen und damit eine demokratische Mehrheit im Senat ermöglicht haben – Biden kann also „durchregieren“.

Trump reagierte erst gar nicht, dann rief er halbherzig zum Gewaltverzicht auf. Aus dem Oval Office wurde berichtet, dass er die Auseinandersetzungen wohlwollend vor dem Fernseher verfolgt habe. Einige hochrangige Mitarbeiter:innen des Weißen Hauses kündigten daraufhin, viele Republikaner:innen distanzierten sich  von Trump, ebenso bisher loyale Wirtschaftseliten wie der Blackstone-Chef Stephen Schwarzman. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, forderte Vizepräsident Mike Pence gestern Abend dazu auf, Trump mithilfe des 25. Verfassungszusatzes abzusetzen. Andernfalls würden die Demokraten ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen den Noch-Präsidenten einleiten. Das Handelsblatt hat Motive und mögliche Folgen des Impeachment zusammengefasst.

Was Trump empfindlicher trifft als eine Amtsenthebung kurz vor seinem Abgang, sind aber die Reaktionen der Social-Media-Plattformen: Wie noch nie zuvor wurde der 74-Jährige in die Schranken gewiesen. Twitter ging voran und blockte Trumps Account erst für 12 Stunden und anschließend dauerhaft. Facebook folgte und legte sein Profil bis mindestens 21. Januar lahm. Die E-Commerce-Plattform Shopify sperrte sogar Unternehmen, die Trump-Merchandising verkaufen. Ein ständig aktualisiertes Google Doc zeigt die Maßnahmen aller Digital-Plattformen nach den „capitol riots“. Für besonderes Aufsehen sorgte die Stilllegung der bei Rechten beliebten Social-Media-Plattform Parler: Nach dem Rauswurf aus den App-Stores von Apple und Google schaltete Amazon dem Netzwerk nun die Server ab. Zuvor gelang es Hacker:innen jedoch noch, in den Dienst einzudringen und Daten abzugreifen, wie Twitter-User:innen berichten.

Die Reaktion der Tech-Riesen kommt spät. Zu spät, wie viele sagen, und auch nur, weil Trump schon de facto entmachtet ist. Über Jahre profitierten die Plattformen von Trumps Aufwiegelungen, die Interaktionsraten hochtrieben und somit auch lukrativer für Werbeschaltungen machten.

Eine Sammlung von Hintergründen zum Angriff auf das Kapitol, dem ersten seit über 200 Jahren, als die britische Armee 1812 das gesamte Gebäude zerstörte:

  • Der Sturm auf das Kapitol war eine digital inszenierte Show. Michele Coviello erklärt in der NZZ, wie die Trump-Anhänger:innen ihren aussichtslosen Staatsstreichversuch digital durchgestylt haben. Digitalexpertin Ann Cathrin Riedel hat die Radikalisierungsbewegungen im Netz in den Blick genommen.
  • Rechte bis faschistoide, gewaltbereite Sammelbewegungen sind gekommen, um zu bleiben und werden auch Donald Trump überdauern. Welche Gefahr von ihnen ausgeht, erklärt der auf Rechtsextremismus spezialisierte Christian Bangel auf ZEIT ONLINE.
  • Die Ereignisse vom Mittwoch kamen alles andere als unerwartet. Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver-Ashbrook von der Harvard University erklärt im NDR-Podcast, warum die Eskalation eine kalkulierte Folge der populistischen Strategie Trumps ist.
  • Viele Beteiligte sind Anhänger:innen der rechten Verschwörungsideologie QAnon, darunter auch der durch seine Büffelhörner und Kriegsbemalung in vielen Bildredaktionen beliebte Jake Angeli (RND-Kurzporträt). Peter R. Neumann im SPIEGEL-Gastbeitrag über die „gefährlichste Bewegung unserer Zeit“.
  • Wie es für die amerikanische Demokratie weitergehen könnte und was eine 2.000 Jahre alte Verschwörung aus dem antiken Rom damit zu tun hat, erklärt die US-Seite The Daily Beast.

Auch der Bundestag zieht Konsequenzen für die eigenen Sicherheitsvorkehrungen: Eine erhöhte Polizeipräsenz in der Umgebung des Reichstagsgebäudes wurde bereits veranlasst.

Autoritäre Regime ließen sich hingegen die Chance nicht entgegen, den Sturm auf das Kapitol für ihre Propaganda auszulegen: China setzte die Proteste mit den Demokratie-Bewegung in Hongkong gleich, Irans Präsident Hassan Rouhani sieht sie als Zeichen der Dysfunktionalität der westlichen Demokratien. Der Kreml währenddessen fokussierte sich auf das US-amerikanische Wahlsystem und kritisierte es als „archaisch“. Darüber hinaus gab es weitere Reaktionen internationaler Politiker:innen und Pressestimmen.

Die Bilder vom erstürmten Kapitol werden in das kollektive Gedächtnis der Zeitgeschichte eingehen. Dort sind auch einige Titelbilder des SPIEGELS zu finden, mit denen sich das Nachrichtenmagazin Trump vorgenommen hat. Zum Abschluss seiner Präsidentschaft hat der SPIEGEL seine Trump-Cover in einer Bilderserie zusammengestellt.

Deutschland steht ein deutlich geordneterer Personalwechsel an höchster Stelle bevor. Wer zunächst aber auf dem CDU-Vorsitz nachfolgt, wird sich auf dem kommenden CDU-Parteitag zwischen Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz entscheiden. Am Freitag trafen die drei im Konrad-Adenauer-Haus in einer Online-Diskussionsrunde (Komplettmitschnitt auf YouTube) aufeinander und beantworteten Fragen von CDU-Mitglieder:innen. Michael Schlieben hat die Debatte auf ZEIT ONLINE analysiert. Auch der digitalpolitische Thinktank der CDU, das cnetz, bat zum Interview: Über ihre digitalpolitischen Zukunftsperspektiven sollten die Kandidaten bzw. Teams bei den #ctalks berichten. Alle Interviews gibt es hier.

Derweil verließ die Schwesterpartei Interessantes verlauten: Entscheidend für die Kanzlerkandidatur wird sein, wer die besten Chancen hat, „ganz unabhängig davon, wer am 16. Januar der neue Vorsitzende der CDU wird“, so CSU-Landesgruppenchef Dobrindt. Auch CSU-Chef Söder sprach sich gegen eine verfrühte Kanzlerkandidatenkür aus und verwies auf die Zeit nach den ersten Landtagswahlen im März. Das wird auch Jens Spahn vernommen haben, der, angetrieben von seinem Popularitätshype, seine eigenen Chancen auf eine Kandidatur sondiert haben soll, wie der Spiegel erfuhr. Spahn selbst widersprach dem in der Welt am Sonntag vehement.

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

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politnews


[ Immer mehr Politiker:innen setzen auf Gaming im Wahlkampf ]

Um Wähler:innen abseits von Standard-Kampagnen zu gewinnen, setzen immer mehr Politiker:innen auf Online-Videospiele, die live übertragen werden und Diskussionen mit dem Publikum ermöglichen. Beliebtestes Medium dafür ist die Streaming-Plattform Twitch. Während in der deutschen Politik die Methode bis jetzt noch sparsam eingesetzt wird, zeigt ein Blick in die USA die möglichen Dimensionen dieser neuen Art der politischen Kommunikation: Demokraten-Hoffnungsträgerin Alexandria Ocasio-Cortez gelang es in einem Twitch-Stream ein Publikum von knapp 450.000 Menschen zu generieren.

politik&kommunikation (Bericht)


[ Verkehrsminister Scheuer verliert PR-Chef Ainetter ]

Wolfgang Ainetter gibt seinen Job als Kommunikationschef und Sprecher von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ab. Ainetter begleitete Scheuer seit dessen Amtsantritt 2018. Grund für den Abgang sollen starke Differenzen zwischen den beiden Männern sein. Scheuer sei zunehmend „beratungsresistent“, zudem mache er seine Mitarbeiter:innen für die zahlreichen Negativschlagzeilen um seine Politik und Person verantwortlich. Der Verkehrsminister steht vor allem wegen seiner gescheiterten Pkw-Maut in der Kritik – mit den Geschehnissen beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Berliner Morgenpost (Bericht)


[ Social-Media-Ausblick auf das Jahr 2021, EU-Twitter-Rückblick auf 2020 ]

Kommunikationsexperte Jörgen Camrath hat Expert:innen zu den Social-Media-Trends des akteullen Jahres befragt und die Ergebnisse auf seinem Blog veröffentlicht. Sein Fazit: LinkedIn, Instagram und TikTok sind die Plattformen der Stunde. Aber auch Newsletter und Messenger-Dienste werden 2021 weiter an Bedeutung gewinnen. Mit der Twitter-Nutzung der europäischen Spitzenpolitiker:innen im vergangenen Jahr beschäftigte sich hingegen eine Studie des European Parliamentary Research Service.

JO/CA (Blogpost) | European Parliamentary Research Service (Studie) | Martin Fuchs (Twitter-Thread)


[ Bewerbungsschluss bei JoinPolitics ]

Noch bis zum 15. Januar können sich politische Innovator:innen bei der JoinPolitics-Förderphase bewerben. Dazu sind ein Bewerbungsvideo und ein sogenannter Political Impact Plan notwendig. Die von privaten Großspender:innen finanzierte Initiative will die ausgewählten Projekte neben der finanziellen Förderung auch inhaltlich und methodisch durch Fellows unterstützen. Bisherige Projekte aus der Beta-Phase sind u.a. das Projekt VALUES UNITE von Sophie Pornschlegel und Susanne Zels sowie das feministisch-progressive Beratungsnetzwerk future_s.

JoinPolitics (Webseite) | VALUES UNITE (Webseite)


[ Black Box Berlin-Podcast über Wissenschaftliche Dienste des Bundestags ]

Mit ihrem Podcast „Black Box Berlin“ nimmt die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung regelmäßig Fragen des Politikbetriebs unter die Lupe. Moderatorin und Insta.Politik-Initiatorin Janine Klose hat sich in der neuesten Folge mit der Rolle der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags beschäftigt. Im Interview mit Dr. Guido Heinen, Unterabteilungsleiter der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag, werden Arbeitsprozesse und Methodik des „Bundestagsgehirns“ beleuchtet. In den bisherigen Ausgaben standen Ausschussarbeit, die Enquete-Kommission zu Künstlicher Intelligenz sowie die Rolle von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen im Bundestag im Blickpunkt.

Hanns-Seidel-Stiftung (Podcast) | Deutscher Bundestag (Wissenschaftliche Dienste)


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11. Januar 2021