politnews – Kontaktverbot gegen das Coronavirus und eine flügellahme AfD

[ Mit Meldungen zum Vertrauen in Krisenzeiten, Home Office-Herausforderungen, Demokratie leben! und dem Kampf gegen Falschmeldungen ]

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“Keine Treffen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit, zwei Wochen lang.” Das gab die Bundesregierung gestern als nächsten Schritt in der Bekämpfung der Corona-Pandemie bekannt. Hier alle Maßnahmen zum Nachlesen. Der Entscheidung ging eine Debatte über Sinn und Zweck von Ausgangssperren, bzw. deren Verhältnismäßigkeit voraus. Der Verfassungsblog wägt die Kontaktverbote gegen die resoluteren “Lockdowns” ab und bescheinigt der Bundesregierung gutes Augenmaß. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat ein FAQ “Corona und Grundrechte” aufgesetzt, das laufend aktualisiert wird.

In Ungarn will Langzeitpräsident Viktor Orbán die Corona-Pandemie hingegen nutzen, um das Parlament per Notstandsgesetz auszuhebeln und seine Macht theoretisch unbegrenzt zu sichern. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Regierung “außergewöhnliche Maßnahmen für die Stabilität des Lebens” ohne parlamentarische Zustimmung vornehmen kann. Das US-Justizministerium prüft derweil, ob Festgenommene ohne jegliche richterliche Anhörung inhaftiert werden können.

Die Frage, inwieweit in Krisensituationen Sicherheit und Freiheit(srechte) abgewogen werden, ist so alt wie Krisen selbst. So bedrohlich eine Gefährdungslage auch sein mag: Jeder Einschnitt in demokratische Grundrechte muss penibelst begründet und vor allem reversibel sein. Daher ist die grundsätzliche Aushandlung dieser Prinzipien in ruhigeren Zeiten auch so elementar.

Im Bundestag beginnt heute die erste Sitzungswoche in der Coronakrise mit unsicheren Vorzeichen. Die Arbeits- und Beschlussfähigkeit der Kammer ist in Gefahr, wenn zu viele Abgeordnete in Quarantäne gehen müssen, wie zuletzt sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel. Um die Geschäftsfähigkeit des Bundestags zu erhalten, wird unter anderem die Sitzungswoche verkürzt. Zusätzlich soll das Pairing-Verfahren, nach dem jeweils nur rund ein Drittel aller Abgeordneten der einzelnen Fraktionen gleichmäßig entsandt werden, die Anzahl der ParlamentarierInnen im Plenarsaal reduzieren und gleichzeitig die Mehrheitsverhältnisse sicherstellen. Robert Roßmann über die Ausnahmesituation im Bundestag und die neuen Maßnahmen.

Dass es zu einer pandemischen Situation kommen kann, ist Regierungsverantwortlichen nicht neu: Die amerikanische Regierung hat 2017 ein Szenario durchgespielt, das der Coronavirus-Verbreitung erstaunlich ähnelt (Bericht der Übungsleiterin und die Präsentationsfolien). Auch die Bundesregierung hat 2007 den Ernstfall geprobt. Besonders im Fokus: die kritischen Infrastrukturen und die dazugehörige Koordinierungsstelle: “KoSt KRITIS”. Georg Mascolo über die Ergebnisse der damaligen Simulation, bei der die Lebensmittellieferketten standhielten, das Gesundheitssystem jedoch nicht.

Unterstützt von vielen digitalpolitischen Initiativen hat die Bundesregierung über das Wochenende den WirVsVirus-Hackathon organisiert, den bisher weltweit größten mit fast 43.000 Teilnehmenden. Nahezu 1.500 Projektideen wurden am Ende eingereicht. Die Ideen reichen von einer Simulation besonders betroffener Landkreise mit integrierten Lösungsmöglichkeiten zur lokalen Unterstützung bis hin zu einer Plattform mit 3D-Druckmustern für medizinische Hilfsmittel.

Um Ihnen in der derzeitigen Informationsflut einen möglichst kompakten Überblick der Lage zu bieten, hier unsere Corona-Linktipps:

  • Auch in Großbritannien wurde kreativ gecodet. Ergebnis ist ein Kalkulator, der berechnet, wie lange man noch mit dem gehamsterten Toilettenpapier durchhält.
  • Mit einem anderen – und etwas sinnvolleren Online-Rechner – kann man den eigenen “pandemischen Fußabdruck” berechnen.
  • Die Tübinger Uni hat einen Simulator entwickelt, der den Verlauf der Ansteckung in einer Bevölkerung prognostiziert und NutzerInnen verschiedene verstellbare Parameter zur Wahl stellt.
  • Das Virus und die Möglichkeiten, sich davor zu schützen, finden Sie hier auch in leichter Sprache erklärt.
  • Die Berliner Zeitung hat den verschiedenen Darstellungsarten des allgegenwärtigen stecknadelkopfbewehrten Virus’ einer Analyse gewidmet.
  • Die Echtzeitkarte der Johns Hopkins Universität kennen mittlerweile wohl die meisten von Ihnen. Zusammen mit den AnalystInnen von Risklayer hat der Tagesspiegel nun eine interaktive Karte mit den aktuellen Ansteckungszahlen pro Landkreis und Bundesland veröffentlicht.
  • Mit dem Krisenmanagement ihrer Landesregierung sind die BayerInnen am zufriedensten, die Hauptstadt liegt mit Sachsen und Brandenburg am Ende, zeigt eine Umfrage.
  • Die New York Times hat in einem beeindruckendem Interaktiv-Dossier animiert, wie sich das Virus von Wuhan über die ganze Welt ausbreiten konnte.
  • Das Virus sei in einem Labor gezüchtet, solle die Weltbevölkerung reduzieren oder eigentlich eh ein Fake. Keine Katastrophe ohne Verschwörungstheorien. Das ZAPP-Medienmagazin des NDR hat sich die beliebtesten vorgeknöpft.

Es müssen besondere Zeiten sein, in denen die Beobachtung der einflussreichsten Strömung der Oppositionsführerin durch den Verfassungsschutz wie eine Rückkehr zur politischen Normalität erscheint. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsschutzes, den “Flügel” zu beobachten, hat die AfD-Parteiführung reagiert und mit einer Gegenstimme (Andreas Kalbitz) und einer Enthaltung (Stephan Brandner) entschieden, das Netzwerk aufzulösen. Flügel-Chef Björn Höcke ließ die Umsetzung im Vagen und sprach davon “Aktivitäten zurückzufahren”. Innerhalb der Gruppierung scheint Uneinigkeit zu herrschen: Auf dessen Facebook-Seite wurde zunächst die Auflösung der losen Vereinigung verkündet. Der Post wurde inzwischen gelöscht und durch eine unbestimmte Aussage zur “Bewertung und möglichen fristgemäßen Umsetzung des Bundesvorstandsbeschlusses” ersetzt. Der hessische Ablegers des Flügels hat heute seine Auflösung bekanntgegeben, weitere könnten folgen.

Nun ist die Ironie an dieser “Auflösung”: Die Flügel-Mitglieder verbleiben in der AfD, allein informelle Strukturen, Logos etc. sollen verschwinden, da der Flügel kein Verein oder anderweitig offiziell institutionalisierte Struktur innerhalb der AfD war. Der „politische Kurs“ des Flügels soll innerhalb der Partei weitergeführt werden, sagt Höcke im Interview mit der neurechten “Sezession”, das der Spiegel zusammengefasst hat.

Davon abgesehen war von der AfD dieser Tage nicht viel zu hören. Die Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie ließen den Rechtsnationalen wenig Raum für ihre Agenda, mit konstruktiven Lösungsvorschlägen für die vielleicht schwerste Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg hielt man sich dezent zurück. Das schlug sich auch in den Umfragen nieder: Die AfD fällt teilweise auf einstellige Werte zurück. Neuen Auftrieb konnte hingegen die Union finden, die sich v. a. mit Merkel, Spahn, Laschet, Altmaier und Söder als Krisenmanagerin profilieren kann. Olaf Scholz kann zwar die gleiche Wirkung für sich als Person beanspruchen, wenngleich die SPD davon derzeit noch nicht signifikant profitieren kann.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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Serbisches Symphonieorchester musiziert für Italien

Twitter lief in der letzten Woche zur Hochform auf. Die Coronakrise katalysierte Kreativität und die Sehnsucht nach Momenten der Zwischenmenschlichkeit. Beides zeigte das Serbian National Theater Orchestra, als es per Videokonferenz “Bella Ciao” für das gebeutelte Italien spielte.

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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde im Jahr 2004 gegründet und ist eine Bundesoberbehörde unter Aufsicht des Bundesinnenministeriums (BMI) mit Hauptsitz in Bonn.

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23. März 2020