politnews – Kampfansage aus Bellevue

[ Mit Meldungen zu: Social-Media-Nutzung 2021, digitale Verwaltung in Deutschland, Medienvertrauen während Corona, Debatte über Gender-Sprache und Arbeitsverbote für deutsche NGOs in Russland ]

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Als Frank-Walter Steinmeier am Freitag zu einem kurzfristig anberaumten Pressestatement lud, wurde in Berlin nur sehr kurz die Luft angehalten. Ein Rücktritt wie bei seinen Vorgängern Horst Köhler, der wegen „Mangels an Respekt am Amt des Staatsoberhaupts“ als erster Präsident seit Heinrich Lübke 1969 zurücktrat oder Christian Wulff, der sich in der Rubikon-Affäre verhedderte, traute man dem als zuverlässig und staatstragend geltenden Steinmeier nicht zu. Und so war auch das Gegenteil der Fall: Steinmeier kündigte seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit an. In dieser eigeninitiativen Form ein Novum für das Amt, zumal der 65-Jährige derzeit keinen sicheren Ausblick auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung hat.

Steinmeier folgte 2017 dem ersten parteilosen Bundespräsidenten, Joachim Gauck, der auf eine zweite Amtszeit verzichtete. Es war einer der letzten Coups von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, als dieser Anfang des letzten Bundestagswahljahres Martin Schulz als SPD-Spitzenkandidaten und sich selbst im Auswärtigen Amt positionierte. Von dort wiederum wechselte Steinmeier ein paar Kilometer westwärts ins Schloss Bellevue. Mit Parteifreund Schulz musste Steinmeier auch seine erste Nagelprobe im Amt bestehen: Erst die Intervention des Bundespräsidenten in Form eines Appells an das staatsbürgerliche Gewissen der SPD brachte die letzte Große Koalition auf den Weg. Kurz vorher waren die Jamaika-Sondierungen krachend gescheitert. Ob die in den Umfragen seitdem noch weiter gesunkenen Genoss:innen ihm das auf die Habenseite schreiben, steht auf einem anderen Blatt.

Steinmeier ist kein schillernder Präsident, aber ein beliebter. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage fänden zwei Drittel eine zweite Amtszeit gut. 70% sind sehr zufrieden oder zufrieden mit seiner bisherigen Arbeit. Seine Amtszeit war geprägt durch die Coronakrise, deren „Wunden er weiter heilen möchte“. Auch der Kampf gegen Rechtsradikalismus und die Beziehungen mit Israel sind ihm große Anliegen.

Auch wenn das Amt kein politisches in dem Sinne ist, hat die Wahl des Bundespräsidenten nicht wenige machtpolitische Implikationen. Das war nicht nur 1969 so, als die FDP bei der Wahl von Gustav Heinemann einen sozialliberalen Präzedenzfall geschaffen hat. Nur kurz danach regierten SPD und FDP das erste Mal im Bund. Daher lohnt ein Blick auf die Reaktionen aus den Parteien.

Neben der zu erwartenden Begeisterung aus der SPD, zeigte die FDP vorsichtige Unterstützung für Steinmeiers Ansinnen. Bei der Linkspartei war man zurückhaltender, Bodo Ramelow wagte sich aber schon mal aus der Deckung und sprach sich für eine weitere Amtszeit aus. Repräsentativ für seine Partei ist das nicht. Union und Grüne lobten Steinmeiers Amtsführung, betonten aber auch, dass die Entscheidung erst nach der Bundestagswahl fallen würde. Dann wird auch die Verteilung der Bundesversammlung klarer sein, in der bisher immer parteiübergreifend Mehrheiten gefunden werden mussten. Bis auf das Jahr 1979, als die Union mit absoluter Mehrheit Karl Carstens ins Amt wählte.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Bei der letzten Bundesversammlung, als Steinmeier mit 75 % gewählt wurde, war die AfD noch nicht im Bundestag. Die Ära der Konsenskandidaten der „Volksparteien“ könnte passé sein. Steinmeier geht also ins Risiko, aber eben auch mit der Zeit.

Viele erwarten das aber auch für das Amt und wünschen sich nach 12 Bundespräsidenten endlich eine Frau auf dem höchsten Staatsposten. Oder eine Person mit Migrationshintergrund. Auch ein grünes Parteibuch wäre mal „dran“. Zumindest zwei dieser Voraussetzungen erfüllt Katrin Göring-Eckardt. Zudem bringt sie eine ostdeutsche Biographie, die Unterstützung der evangelischen Kirche und überparteiliches Ansehen mit – insbesondere in der Union. Sollte es für eine grüne Kanzlerin Baerbock nicht reichen, würden Göring-Eckardts Chancen sprunghaft steigen, wie Matthias Koch für das RND analysiert.

Aber auch ohne „KGE“ hätte Steinmeier beim derzeit wahrscheinlichsten Regierungsbündnis, einer Koalition zwischen Union und Grünen, kaum Chancen. N-TV über die Aussichten der weiteren potenziellen Kandidatinnen Julia Klöckner (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Ilse Aigner (CSU). Aber auch andere mehr oder weniger aussichtsreiche Namen kursieren, darunter Claudia Roth (Grüne) oder der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier (CSU).

Bis zur nächsten Bundesversammlung im Februar 2022 – die bei einem wachsenden Bundestag womöglich nicht mehr im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes tagen könnte – stehen aber nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch diverse Landtagswahlen an, die über die Kräfteverhältnisse entscheiden. Die nächste schon am Sonntag in Sachsen-Anhalt. MDR-Redakteur Thomas Vorreyer mit einer Vorwahlanalyse aus dem Land der wackeligen Kenia-Koalition.

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

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[ Social-Media-Nutzung 2021: Weniger Junge, Saarland am aktivsten ]

Seit 2013 sind erstmals weniger als 9 von 10 deutschen Teenagern auf Sozialen Medien aktiv. Laut dem aktuellen Social-Media-Atlas von Faktenkontor nutzen nur noch 88 % der 16-19-Jährigen Kanäle wie Twitter, TikTok und Co. – ein sattes Minus von 9 % im Vergleich zu 2020. Die 50 bis 59-Jährigen verzeichnen dagegen einen Anstieg um 6 Prozentpunkte auf 76 %. Im Vergleich der Bundesländer liegt Saarland mit 86 % (+3) vor Berlin mit 79 % (+4). Thüringen liegt mit 68 % am Listenende, wo sich auch die meisten ostdeutschen Bundesländer befinden.

PR-Journal (Ergebnisse) | Faktenkontor (Studie & Pressemitteilung)


[ Digitale Verwaltung: Deutschland steckt in einer Komplexitätsfalle ]

Die Corona-Krise offenbart eine zu langsam und kompliziert umgesetzte Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland. Das hat der aktuelle Bericht des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) festgestellt. So befand sich die Verwaltung der Bundesrepublik 2020 bezüglich des digitalen Angebots lediglich auf dem 20. Rang aller 27 EU-Länder (Rang 24 im Vorjahr). Eine Umfrage des NKRs ergab zudem, dass 94 % der Deutschen meinen, das Land hinke bei der Digitalisierung der Verwaltung hinterher. Zur Lösung schlagen die Autor:innen neben einer Ausweitung der digitalen Angebote vor allem die Einführung bundesweiter Standards vor.

Normenkontrollrat (Bericht)


[ Deutsche vertrauen Medien in der Corona-Pandemie ]

Lediglich 10 % der Deutschen sahen Politiker:innen als zuverlässige Informationsquelle über die Corona-Pandemie. Das hat eine Studie des Reuters-Instituts für Journalismusforschung ergeben. Für 39 % der Befragten waren hingegen Medien die Hauptinformationsquelle über das Virus, dahinter folgten Wissenschaftler:innen und Expert:innen mit 30 %. Die Bundesrepublik nimmt damit nahezu eine Sonderstellung ein. In den USA sowie in Spanien und Südamerika zeigte sich ein signifikant geringeres Vertrauen in Nachrichtenorganisationen und Expert:innen neben deutlich höheren Werten für Soziale Medien und Suchmaschinen als in Deutschland.

University of Oxford (Studie)


[ Debatte über Gendersprache bei staatlichen Stellen ]

Christoph Ploß (CDU) will staatlichen Stellen die Nutzung gendergerechter Sprache untersagen und löste damit eine Debatte aus. Die Gender-Schreibweisen seien ideologisch motiviert, grammatikalisch falsch und betonten das Trennende, so der Vorsitzende der CDU Hamburg. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) widersprach Ploß: Sprache sei nicht „links oder rechts“, sondern solle Frauen und Männer gleichermaßen ansprechen. Laut einer Civey-Umfrage für den SPIEGEL stößt der Vorschlag des Hamburgers allerdings auf Zustimmung. Rund 53 % der Deutschen würden ein Verbot der Gendersprache an staatlichen Stellen unterstützen.

Spiegel (Ergebnisse der Umfrage) | Tagesspiegel (Tobias Hans) | Spiegel (Vorstoß von Ploß, Paywall)


[ Russland stuft deutsche NGOs als „unerwünscht“ ein  ]

Die russische Generalstaatsanwaltschaft erklärte am Mittwoch drei deutsche NGOs für „unerwünscht“. Das Zentrum für liberale Moderne, der Deutsch-Russische Austausch sowie das Forum russischsprachiger Europäer seien eine Gefahr für die Verfassungsordnung und die Sicherheit des Landes, so die russische Behörde. Nach einem Gesetz von 2015 kommt diese Einstufung einem Betätigungsverbot gleich, Mitarbeiter:innen drohen bis zu sechs Jahren Haft. Die deutschen Organisator:innen des Petersburger Dialogs, einem renommierten Format, bei dem die Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft beider Länder zusammenkommen, setzten daraufhin die Vorbereitungen für das diesjährige Treffen aus.

Deutsche Welle (Petersburger Dialoge) | FAZ (Analyse der Beziehungen) | Zentrum Liberale Moderne (Pressemitteilung)


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Wie lässt sich die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit Deutschlands nach der Corona-Pandemie sichern? Was ist derzeit ökonomisch möglich und wie können ökologische Transformation, mehr Verteilungsgerechtigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung sowie eine kluge Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gleichzeitig erreicht werden? Diese Fragen behandelt der Sammelband „Postcoronomics. Neue Ideen für Markt, Staat und Unternehmen“, den jüngst das Wirtschaftsforum der SPD herausgegeben hat und der auf Texten des „blog politische ökonomie“ beruht. Der Band versammelt Beiträge von 60 Autor:innen – unter anderem Sigmar Gabriel, Franziska Giffey, Hubertus Heil, Claudia Kemfert, Christian Lindner, Matthias Machnig, Olaf Scholz und Norbert Walter-Borjans.


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¯\_(ツ)_/¯

Di, 01.06.2021 – Generation Diversity – Über Babyboomer, GenXYZ, Respekt & Werte
BASECAMP | Arbeit & Generationenvielfalt | online | 12.00 Uhr

Mi, 02.06.2021 – Wie viel Europa steckt drin? Solidarität und Grundrechte
Heinrich Böll Stiftung | Demokratie | online | 13.30-14.15 Uhr

Mi, 02.06.2021 – Neue Weltunordnung: Transatlantischer New Deal?
Körber Stiftung | Internationale Politik | online | 19.00 Uhr

Fr, 04.06.2021 – COP26: Will it be different this time?
EURACTIV | Umweltpolitik | online | 9.30-10.45 Uhr

Mo, 07.06.2021 – Schwachstellen der Demokratie und wie man ihnen begegnen kann
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31. Mai 2021