politnews – Grüne zwischen Euphorie und Ernüchterung

[ Mit Meldungen zu: Massiver Anstieg von EU-Skepsis, „selbstgemachtes“ Lobbyregister, Social-Media-Performance der Spitzenpolitik, Unzufriedenheit mit Klimaschutzdebatte und stärkere Regulierung für Telegram ]

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Annalena Baerbock hielt auf der Bundesdelegiertenkonferenz, dem Parteitag der Grünen, am Samstag sicher nicht die beste Rede ihres Lebens. Die Nervosität nach den Fehltritten der letzten Wochen war ihr anzumerken, ein paarmal verhaspelte sie sich. Das machte sie offenbar so sauer, dass sie ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck im Abgehen in einem Kraftausdruck ihre Selbsteinschätzung mitteilte. Nur war ihr dabei entgangen, dass ihr Mikro noch offen war. Ob das Urteil zutrifft, kann hier selbst überprüft werden. Zuvor wurde Baerbock souverän mit 98,5 % als erste Kanzlerkandidatin der Grünen bestätigt, nur 6 Delegierte stimmten gegen sie. Bettina Gaus vom SPIEGEL sieht für sie dennoch kaum noch Chancen auf das Kanzleramt.

Neben ihrer Nominierung und dem Einschwören auf den „Wahlkampf des Lebens“ verabschiedeten die Grünen auch ihr Wahlprogramm – und das spricht die realpolitische Sprache einer Regierungspartei in Wartestellung. 13 Euro Mindestlohn? Die Delegierten wählten den 12-Euro-Vorschlag des Bundesvorstands. 53 % Spitzensteuersatz? Lieber 48 %. Der Antrag auf Enteignung großer Wohnungskonzerne? Abgelehnt. Weitere Forderungen wie die Streichung von „Deutschland“ aus dem Programmtitel oder eine Herabsetzung des Wahlalters auf 14 Jahre kamen gar nicht erst zur Abstimmung. Der Hartz-IV-Satz soll um überschaubare 50 Euro monatlich aufgestockt werden. Auch dass 3,5 % der  Wirtschaftsleistung bis 2025 in Forschung und Entwicklung investiert werden sollen, wird  nicht zu größeren Kontroversen in Koalitionsverhandlungen führen. Zudem soll der CO2-Preis auf 60 Euro pro Tonne erhöht werden. Nur ein moderater Unterschied zu den 55 Euro, wie es die Bundesregierung vorschlägt. Was noch im mit 98 % angenommenen Wahlprogramm steht, erklärt der Deutschlandfunk, das komplette Dokument gibt es hier zum Download. Ulrich Schulte blickt jetzt bereits auf eine „zaghafte Modernisierungskoalition“ zwischen Union und Grünen voraus.

Auch wenn schon im Vorfeld klar war, dass die Grünen nicht gerade einen fundamentalen Linksruck erleben werden, nahm der Interessensverband Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) genau dieses Schreckgespenst zum Anlass und schaltete in zahlreichen On- und Offline-Medien großflächige Anzeigen, in denen Baerbock als Moses mit neuer „Staatsreligion“ aus 10 Verboten karikiert wird. Viele davon sind übertrieben oder schlichtweg falsch, wie ein Faktencheck zeigt. Florian Harms, Chefredakteur von t-online, erklärt, warum sein Medium die Anzeige abgelehnt hat und die „Schmutzkampagne“ ein schlechtes Omen für den Bundestagswahlkampf ist. Der Bund der Arbeitgeber distanzierte sich bereits von der Anzeige, auch Antisemitismusvorwürfe wurden gegen die Darstellung erhoben. Die INSM sieht ihre Anzeige hingegen falsch verstanden, wie sie erklärt.

Es sollte nicht die letzte Diskussion um Antisemitismus am Wochenende bleiben. Auf die Gastrede von Autorin Carolin Emcke, in der sie die Entstehung von Desinformationskampagnen und radikalisierten öffentlichen Diskursen erklärt, folgte teils heftige Kritik. Stein des Anstoßes sind Emckes Sätze über die Gefahr von Hetze und Desinformation im kommenden Bundestagswahlkampf:

„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben. Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen oder die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“ 

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sah darin eine „unglaubliche und geschichtsvergessene Entgleisung“, die BILD eine Relativierung des Holocausts. Auch die WELT erkannte einen Fall von Antisemitismus (Paywall), untermauerte diese Argumentation aber mit einem Twitter-Account, der Fragen aufwirft, wie netzpolitik-Journalist Daniel Laufer analysiert. Aber auch Ex-Parteichef Cem Özdemir sowie Grünen-Urgestein Volker Beck fanden die Formulierung mindestens unglücklich. Warum Emcke hier Funktionsmechaniken von Desinformationen beschreibt und Antisemitismus-Vorwürfe gegen sie an den Haaren herbeigezogen sind, legt Ronen Steinke in der Süddeutschen dar, denn eine Aufzählung sei kein Vergleich. Auch der Zentralrat der Juden schloss sich dieser Auffassung zwischenzeitlich unmissverständlich an, löschte den Tweet dann aber wieder. Nun plädiert der Zentralrat für eine „rasche Beendigung der unangemessenen Debatte“. Ein eigenes Bild von der Rede können Sie sich hier machen.

Am Sonntag ging die „digitale BDK“ unter dem Titel „Bereit, weil Ihr es seid“ dann mit dem Besuch der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zu Ende. Aber auch nicht ohne einen Seitenhieb von der politischen Konkurrenz: Die SPD sicherte sich die entsprechende Domain „www.bereit-weil-ihr-es-seid.de“, wie Generalsekretär Lars Klingbeil auf Twitter wissen ließ. Auch die Rückgabebedingungen für die URL-Geisel sind schon definiert

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

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politnews


[ Massiver Anstieg der EU-Skepsis in Deutschland ]

Die Corona-Politik der EU hat einen herben Vertrauensverlust unter Deutschen zur Folge. Laut einer Umfrage des Think Tanks European Council on Foreign Relations (ECFR) gaben 49 % der Befragten an, wegen der europäischen Impfstoffpolitik weniger oder sehr viel weniger Vertrauen in die EU zu haben. 55 % hält das politische System der EU mittlerweile für „unzulänglich“. Nur noch 36 % sind der Meinung, dass es funktioniere, im November 2020 waren es noch knapp die Hälfte der Befragten.

ECFR (Umfrage) | SZ (Bericht)


[ Kampagne für selbstgemachtes Lobbyregister ]

Mit einer neuen Kampagne wollen die Initiativen FragDenStaat und abgeordnetenwatch ein unabhängiges, „selbstgemachtes“ Lobbyregister schaffen. Ziel sei die Kritik am kürzlich vom Bundestag beschlossenen Register ebenso wie die Offenlegung von Lobbykontakten der Bundesregierung. Dazu wurden bereits 800 Anfragen zu möglichen Kontakten der größten und wahrscheinlichsten Verbände und Unternehmen vorbereitet. Interessierte können diese über die Website der Initiative an Regierungsstellen in ihrem Namen weiterleiten lassen.

Initiative Lobbyregister selbst gemacht (Website)


[ Social-Media-Performance der deutschen Spitzenpolitik ]

Annalena Baerbock verzeichnet deutlich mehr Social-Media-Reichweite als ihre Konkurrenz im Rennen um das Kanzler:innen-Amt, so eine Analyse von politik&kommunikation. Demnach hat die frisch gekürte Grünen-Kandidatin nicht nur mit 459.000 fast doppelt so viele Follower auf Instagram, Facebook und Twitter als Armin Laschet (240.000) – Olaf Scholz folgt mit 190.000. Auch bei den Engagement-Werten, welche sich aus der Relation von Interaktionen und Followern berechnet, führt die Grüne auf allen Plattformen. Doch im Gesamtvergleich der deutschen  Spitzenpolitik steht ein Liberaler klar an der Spitze: Christian Lindner mit 930.000 Followern.

politik&kommunikation (Analyse)


[ Breite Unzufriedenheit mit Klimaschutz-Debatte ]

Die Diskussion über Klimaschutz in Deutschland wirkt spaltend auf die Gesellschaft. Das meinten 80 % der Befragten in einer neuen Studie von More in Common. 65 % empfanden die Debatte in Deutschland als abgehoben, 52 % als unsachlich. Eine Mehrheit der 2000 Studien-Teilnehmer:innen gab zwar an, dass sie selbst mehr für die Umwelt machen könnten. Allerdings sei insbesondere die Umweltpolitik der Bundesregierung wirkungslos (63 %) und ungerecht (64 %).

More in Common (Umfrage) | FAZ (Bericht)


[ Telegram soll stärker reguliert werden ]

Das Bundesjustizministerium plant, den Messenger Telegram unter die Kontrolle des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu stellen. Soziale Medien wie Facebook, Twitter oder TikTok unterliegen den Regulierungen des NetzDG bereits. Demnach müsste auch Telegram strafbare Inhalte in öffentlichen Gruppen löschen und ab Februar 2022 an das Bundeskriminalamt melden. Der Messengerdienst ist durch die Zunahme rechter Chatgruppen sowie die Verbreitung von Verschwörungserzählungen auf der Plattform zunehmend in die Kritik geraten.

n-tv (Bericht)


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Verschwörungserzählungen begegnen vielen Menschen im Alltag häufiger als uns lieb sein kann. Doch was kann man tun, wenn jemand im eigenen Umfeld solche Aussagen und Ideen verbreitet? Netzaktivistin Katharina Nocun und Psychologin Pia Lamberty geben in „True Facts“ sowohl einen Überblick über problematische Verschwörungsdiskurse als auch Tipps für Gegenstrategien und Diskussionsansätze.


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Lebende Geschichte

In Cornwall lud Boris Johnson zum G7-Gipfel ein. Auch die Queen war dabei und traf sich mit den Staats- und Regierungsschefs an der britischen Küste. Dort kam sie auch mit US-Präsident Joe Biden zusammen, was beileibe nicht ihre erste Zusammenkunft mit einem amerikanischen Staatsoberhaupt war.

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14. Juni 2021