politnews – Erfurt beendet den politischen Ausnahmezustand

[ Mit Meldungen zu Deutschland im Innovationsvergleich, NGO-Budgets für Facebook-Werbung, Twitter-Alternative Mastodon, dem politischen Buch des Jahres und der weltweiten Demokratie-Krise ]

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In Thüringen endete am Mittwoch eine – mindestens – vierwöchige Regierungskrise und teils surreale Politposse. Selbst der Coronavirus war zum Schluss im Spiel: Bis am Vortag der Ministerpräsidentenwahl der Verdacht auf diesen bei einem CDU-MdL ausgeräumt werden konnte, stand die ganze Abstimmung auf der Kippe.

Bodo Ramelow wurde dann aber im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Ministerpräsidenten gewählt. Die CDU enthielt sich (bis auf den dritten Wahlgang, in dem ein CDU-Abgeordneter vermutlich mit “Nein” stimmte), die FDP stimmte nicht ab. Einer der ersten Gratulanten, dem Ramelow anders als AfD-Gegenkandidat Björn Höcke nicht den Handschlag verweigerte (Szene im Video): der geschäftsführende Ministerpräsident Thomas Kemmerich von der FDP. Antonia Rietzschel schaut für die Süddeutsche auf einen Monat Phantom-Regentschaft zurück, die u. a. dadurch in Erinnerung bleiben dürfte, dass StaatssekretärInnen JournalistInnen nach der Handynummer ihres obersten Dienstherrn fragen mussten. Das RND schlüsselt die 110.000 € auf, die Kemmerich an finanziellen Ansprüchen als Kurzzeit-Ministerpräsidenten zustehen. Kemmerich hat bereits angekündigt, alles jenseits seines Abgeordnetengehalts zurückzuzahlen oder zu spenden.

Ebenfalls am Mittwoch wurde das Kabinett der Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen vereidigt. Der MDR hat eine Übersicht der 23 MinisterInnen und StaatsekretärInnen zusammengestellt.

Bedingung für die Ramelow-Wahl war der sogenannte „Stabilitätsmechanismus“, der eine projektorientierte Zusammenarbeit zwischen Rot-Rot-Grün und CDU bis zur nächsten Landtagswahl am 25. April 2021 regelt. Die erste Feuertaufe bestand der Erfurter Pakt auch direkt: Ein Investitionspaket für die thüringischen Kommunen wurde mit den Stimmen der Minderheitsregierung sowie CDU und FDP verabschiedet. Die AfD enthielt sich.

Weiterer Bestandteil des Abkommens: Es soll keine Mehrheiten geben, die nur durch die Stimmen der AfD zustande kommen. Ramelow selbst stellte diesen Passus direkt auf die Probe und gab dem AfD-Kandidaten für den Landtagsvizepräsidenten seine Stimme. Der wiedergewählte Ministerpräsident wollte damit nach eigener Aussage einer angedrohten Erpressungssituation der AfD zuvorkommen. Die Abstimmung rief in- und außerhalb der Partei großen Protest hervor: Auch seine Landesvorsitzende, Susanne Hennig-Wellsow, distanzierte sich von ihm. Im Bundestag ist der für die AfD reservierte Vizepräsidiumsposten immer noch unbesetzt.

Auch in einer anderen Sache zeigte sich Ramelow kurz vor dem gestrigen internationalen Frauentag – nett formuliert – hyperpragmatisch: Das unter Rot-Rot-Grün verabschiedete Paritätsgesetz, dass 50 Prozent der Wahllisten für Frauen reserviert, soll zur kommenden Landtagswahl doch wieder außer Kraft gesetzt werden – aus Angst vor formalen und juristischen Blockaden von AfD und FDP. Beide Parteien verfügen über sehr wenige Kandidatinnen und stellen sich gegen das Gesetz. Wenn die Quoten vor der Wahl nicht erfüllt werden, kann die Liste gekürzt oder gar nicht erst zugelassen werden.

Die Ramelow-Wahl fiel zusammen mit der Strategiekonferenz der Bundespartei in Kassel, die ebenfalls für Schlagzeilen gesorgt hatte. U. a. weil Co-Parteichef Bernd Riexinger das extremistische Schwadronieren einer Parteifreundin über das “Erschießen von Reichen” (Video-Ausschnitt) lapidar mit einem Witz über Zwangsarbeit abtat. Beide entschuldigten sich später für ihre Aussagen. Die Doppelspitze aus Riexinger und Katja Kipping steht im Juni für den Parteivorsitz zur Wiederwahl.

In der Frankfurter Rundschau nimmt sich Thomas Kaspar die derzeitige Lage der Partei zwischen realpolitischem Anspruch und ewiggestriger Ideologie vor.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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Nevertheless, she performed on Saturday Night Live

Selbstironie, dazu noch in Momenten der Niederlage, ist eher selten im politischen Betrieb. Nach dem “Super Tuesday” sind von den ursprünglich 29 demokratischen PräsidentschaftskandidatInnen noch drei im Rennen. Auch Senatorin Elizabeth Warren stieg aus, nahm das aber bei einer Comedy Show selbst auf die Schippe.

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9. März 2020