politnews – Deutschland im Ausnahmezustand

[ Mit Meldungen zu 100 Tage von der Leyen, politischen PreisträgerInnen der Goldenen Bloggern, Wandel der Sprache im Bundestag und mehr Frauen in Parlamenten ]

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Es ist gekommen, wie es viele vorhergesagt haben: Die Coronavirus-Pandemie hat Deutschland und Europa de facto lahmgelegt. Italien meldete gestern fast 400 Todesopfer, Spanien, Frankreich und Österreich haben das öffentliche Leben weitgehend eingestellt. In Deutschland verschlechtert sich die Lage täglich: Mittlerweile sind offiziell fast 7.500 Personen an CoViD-19 erkrankt. Die Bundesregierung hat soeben ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung vorgestellt. Auf dem ganzen Kontinent gibt es bereits zu viele Grenzschließungen (Deutschland riegelte heute Morgen die Übergänge nach Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark ab) und großräumige Ausgangssperren als dass sie hier noch einzeln zu nennen sind. Am schlimmsten ist die Lage nach wie vor in Norditalien: Die taz ist in die tödlichste Zone der Region gereist und mit einem beklemmenden Bericht zurückgekehrt.

In den USA gehen die Bundesbehörden von bis 1,7 Millionen möglichen Todesopfern aus, in Großbritannien von bis zu 8 Millionen Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. An dieser Stelle noch mal der Hinweis auf das Dashboard, das die weltweite Verbreitung in Echtzeit trackt.

Zwei Aspekte sind bei der Verbreitung nicht zu unterschätzen: Dort, wo wie in Südkorea großflächiger getestet wurde, hat sich herausgestellt, das zwar nach wie vor Ältere die gefährdetste Gruppe sind, die am häufigsten Infizierten waren aber junge Menschen in den 20ern. Ebenfalls bisher unterschätzt scheint die “asymptomatische Ansteckungsgefahr” zu sein, also die Übertragung durch Menschen ohne erkennbare Symptome. Einige Tests ergaben bei Symptomfreien sogar eine höhere Konzentration der Viren als bei Infizierten mit Symptomen.

Für die aktuellsten Entwicklungen folgen Sie bitte den Tickern, die fast alle großen Nachrichtenseiten eingerichtet haben. Auch der NDR-Podcast mit Charité-Chefvirologen Christian Drosten gibt täglich Hintergrundinformationen – die Süddeutsche mit einem näheren Blick auf die derzeitige Lichtgestalt der deutschen Krisenkommunikation. Denn weder heute noch in den nächsten Wochen werden wir zum Pandemie-Newsletter, für uns steht auch weiterhin der politische Betrieb im Fokus, der auch mit Einschränkungen weiterläuft.

So wurde gestern die bayerische Kommunalwahl abgehalten, auch Frankreich hat auf kommunaler Ebene gewählt. Österreich sagte die Gemeinderatswahlen hingegen ab. In Bayern mussten LehrerInnen als Wahlhelfer zwangsweise eingezogen werden, die Stichwahlen sollen unter Umständen komplett per Briefwahl stattfinden. Der von uns hochgeschätzte Verfassungsblog hat erörtert, warum Wahlen unter Pandemie-Bedingungen nicht so einfach verschoben werden können und was das Bundesinfektionsschutzgesetz damit zu tun hat.

Die amerikanischen Vorwahlen sind ebenfalls betroffen: Louisiana und Georgia sagten bereits ab, Arizona, Florida und Illinois halten noch am morgigen Wahltermin fest.

Auch prominente Köpfe aus dem Politikbetrieb haben sich infiziert: Der ehem. UN-Generalsekretär Javier Solana, der Chef der italienischen Sozialdemokraten Zingaretti und auch mehrere Bundestagsabgeordnete,  – darunter Thomas Sattelberger (FDP), der ein sehr persönliches Videotagebuch dazu gestartet hat. Auch die FDP-Politikerin Karoline Preisler, berichtet auf Twitter aus ihrem #Coronatagebuch. Tests beim brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und seinem Amtskollegen Trump fielen hingegen negativ aus.

Ein diplomatisches Zerwürfnis verursachte das Angebot des US-Präsidenten, den Tübinger Impfstoffhersteller CureVac und ein dort in Entwicklung befindliches Gegenmittel exklusiv für die USA zu nutzen. Die Bundesregierung schaltete sich sein, das Unternehmen versicherte, keine Exklusivvereinbarungen zu tätigen. Die US-Regierung beschwichtigte im Nachhinein, dass nie eine “USA-only”-Lösung angedacht war. Hauptanteilseigner des Unternehmens, der das Angebot abwies: SAP-Gründer Dietmar Hopp.

Corona und die Medien: Die dpa verschickte am Freitag möglicherweise (noch gibt es keine offizielle Bestätigung) so viele Eilmeldungen wie noch nie an einem Tag, T-Online hat diese chronologisch aufgelistet. Eine “Blitz”-Meldung der höchsten Kategorie war jedoch nicht dabei, die letzte dieser Art ging zur Wahl von Donald Trump in die Redaktionen. Die Berichterstattung über die Corona-Krise ist omnipräsent und kaum ein Medium kann oder will sich dem entziehen. Dennoch schenken viele Desinformation Glauben, insbesondere über Messenger, wo vor kruden Therapiemöglichkeiten und Schließungen von Supermärkten gewarnt wird. Der Tagesschau-Faktenfinder hat sich dieser angenommen.

Aufgrund der aktuellen Lage gingen Meldungen unter, die im Politikbetrieb sonst für tagelangen Gesprächsstoff sorgen würden:

  • Der “Flügel” der AfD wird nun vom Verfassungsschutz beobachtet.
  • Die SPD-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans nehmen in einem Interview mit T-Online Abstand von einer potenziellen Kanzlerkandidatur.
  • Die CDU hat nicht nur ihren Parteitag verschoben, sondern auch ihren internen Wettbewerb zwischen Röttgen, Laschet und Merz bis auf weiteres eingestellt.

China, das mittlerweile fast neuinfektionsfreie Ursprungsland der Pandemie, feilt derweil weiter an seiner Sicht der Geschichtsschreibung und setzt den Glauben in die Welt, dass der Virus eigentlich aus den USA stammt. Lea Deuber in der Süddeutschen über die chinesische Propaganda-Strategie.

Neben China konnten auch Südkorea und einige Orte in Italiens roter Zone in den letzten Tagen teils deutliche Rückgänge der Fallzahlen verzeichnen. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens scheinen also Früchte zu tragen.

Daher zum Abschluss ausnahmsweise ein paar persönliche Worte an Sie: Bleiben Sie nach Möglichkeit zu Hause, reduzieren Sie soziale Kontakte so gut es geht und achten Sie auf regelmäßiges Händewaschen. Ein Teil – im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wahrscheinlich ein relativ großer Teil von Ihnen (die New York Times hat die Möglichkeiten für Home Office zwischen den verschiedenen Berufs- und Gehaltsstufen mit erwartbar klarer Verteilung verglichen) – wird diesen Newsletter wahrscheinlich im Home Office lesen. Das ist gut. So helfen Sie beim Projekt “#FlattenTheCurve“, um unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Warum “Social Distancing“ das Gebot der Stunde ist, hat die Washington Post mit ein paar animierten Grafiken verdeutlicht.

Nicht alle Menschen haben dieser Tage aber die Gelegenheit dazu, weil sie das zentrale Nervensystem dieser Republik am Leben halten: Gesundheitswesen, Handel, Polizei, Verwaltung und viele andere Bereiche. Sollten Sie diesen also begegnen – auch virtuell – schenken Sie Ihnen zumindest ein “Dankeschön” oder ein Lächeln. Denn was “systemrelevant” ist, definieren wir als Gesellschaft.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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  • [ 100 Tage Kommissionspräsidentin von der Leyen ]
    Nach 100 Tagen im Amt als EU-Kommissionspräsidentin hat das Handelsblatt die Arbeit Ursula von der Leyens größtenteils positiv bilanziert: Ein Sechs-Punkte-Arbeitsprogramm steht, in dem Digitalisierungsstrategie und außenpolitische Rolle der EU neu definiert werden. Das Vorzeigeprojekt der neuen Kommission ist jedoch der sogenannte “Green Deal”, durch den Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden soll. Die Erreichung der Ziele ist jedoch alles andere als sicher. ➡️ Handelsblatt (Kommentar)
  • [ Polenz, Bär und Lobo gewinnen “Goldenen Blogger” ]
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    In den 25 Jahren seit der UN-Frauenkonferenz in Peking ist der durchschnittliche Frauenanteil in den Parlamenten weltweit von 11,3 auf 24,9 % angestiegen, so der Report der Interparlamentarischen Union IPU. Die führende Region ist heute der amerikanische Kontinent, in Staaten wie Kuba oder Bolivien sind mehr als die Hälfte der Abgeordneten weiblich. ➡️ Tagesschau (Meldung) | IPU (Report)


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5 Minuten Brandrede führen zu kostenlosen Coronatests

Die US-amerikanische Kongressabgeordnete Katie Porter hat in einer leidenschaftlichen Kurzvorlesung die Kosten eines einzelnen Corona-Tests aufgeschlüsselt und staatliche Unterstützung für Betroffene gefordert. Mit Erfolg: Der anwesende Direktor der Gesundheitsbehörde CDC Robert R. Redfield versicherte direkt die Kostenübernahme – ob versichert oder nicht.

In Anbetracht der derzeitigen Lage verzichten wir auf Veranstaltungshinweise. Bis auf Weiteres werden wir uns auf Empfehlungen für digitale Formate konzentrieren.

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Die Weltgesundheitsorganisation (englisch World Health Organization, WHO) ist die Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen.

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16. März 2020