politnews – Der Fall Amthor

[ Mit Meldungen zur Solidarität unter EU-Staaten, Videokonferenztools auf dem Prüfstand, dem neuen "Politsnack"-Kampagnenblog der KAS, verstärktem Druck auf Zivilgesellschaft durch Rechte, Bento-Magazin vor dem Aus ]

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Die Sommerpause in Sichtweite, die Coronakrise vorerst unter Kontrolle: Fast war im politischen Berlin so etwas wie sich anbahnende Erleichterung zu spüren, als die SPIEGEL-Meldung (Paywall) über den Korruptionsverdacht gegen CDU-Shootingstar Philipp Amthor am Freitag über die Ticker ging. Hintergrund ist seine – dem Bundestag bekannte und auf Amthors offizieller Bundestagswebseite aufgeführte ­– Nebentätigkeit für ein amerikanisches Start-up unter deutscher Führung, das nach Eigenauskunft KI-Lösungen entwickelt. Der Vorwurf: Amthor soll sein Mandat genutzt haben, um der Firma Vorteile zu verschaffen, in dem er Treffen zwischen VertreterInnen des Unternehmens, an dem er Optionsscheine hielt, und dem Bundeswirtschaftsministerium arrangiert hat. Das Schreiben an Minister Altmaier setzte Amthor auf sein offizielles MdB-Briefpapier, eine problematische Verquickung seiner beruflichen Sphären. Erinnerungen an die Briefbogen-Affäre von Jürgen Möllemann werden wach. Der damalige BMWi-Staatssekretär Christian Hirte (der nach seiner Gratulation an Thomas Kemmerich im Februar diesen Jahres seine Posten abgeben musste), traf sich in der Folge im November 2018 zwei Mal mit VertreterInnen des Unternehmens und Amthor.

Amthor reagierte schnell mit einem persönlichen Statement, indem er “einen Fehler” einräumte und erklärte, dass er seine Nebentätigkeit beendet sowie jegliche Anteilsoptionen ungenutzt zurückgegeben hat. Der Journalist Lorenz Meyer analysiert den Wortlaut der Stellungnahme akribisch, was nicht nur für KrisenkommunikationsexpertInnen aufschlussreich ist.

Augustus Intelligence Inc. (Firmen-Website) wurde vom 33-jährigen Werner Haupt aus Fürth gegründet und hat seinen Sitz im New Yorker One World Trade Center. Was dort im 77. Stock vor sich geht, ist hingegen schon weitaus unklarer. Als ein “Unternehmen ohne Produkt”, beschreibt es das Handelsblatt (Paywall), der Business Insider blickt auf die Netzwerke der Firma. Schon vor den Enthüllungen stand Augustus im Blickpunkt, als es zum Rechtsstreit mit zwei ehemaligen Mitarbeitern kam. Diese warfen ihrem Ex-Arbeitgeber “Betrug, Illegalität und Korruption“ vor, dieser wiederum beschuldigte diese des Diebstahls von geistigem Eigentum.

Amthor ist nicht der einzige bekannte politische Kopf, der mit dem Unternehmen verbunden ist: Auch Karl Theodor zu Guttenberg und August Hanning (Ex-BND-Chef) tummeln sich im Augustus-Umfeld und bekleideten teilweise hochrangige Positionen. Ebenso wie der umstrittene Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Amthor sitzt wiederum auch im Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf den Breitscheidplatz 2016, vor den auch Maaßen geladen werden soll – ein weiterer potenzieller Interessenskonflikt.

Dass Amthor sein Bundestagsmandat aufgeben muss, scheint unwahrscheinlich. Doch der 27-Jährige will Chef der Nordost-CDU werden und womöglich Manuela Schwesig als Ministerpräsident beerben. Ein Plan für den ein Korruptionsverdacht schnell zum Verhängnis werden kann. Für die CDU Mecklenburg-Vorpommern ist das schon der zweite Lobby-Skandal in kurzer Zeit: Die Bundestagsabgeordnete Karin Strenz – gegen die Amthor im Rennen um einen Listenplatz 2017 knapp unterlag – geriet in der sogenannten Aserbaidschan-Affäre in die Schlagzeilen und nach Aufhebung ihrer Immunität im Januar 2020 in das Visier der Staatsanwaltschaft, die Büros der 52-Jährigen durchsuchte. Strenz bekam mindestens 22.000 Euro, um sich in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats positiv über das autoritär regierte Land zu äußern. Dafür gab es lebenslanges Hausverbot im Europarat und ein Ordnungsgeld für eine verspätete Angabe von Nebeneinkünften wie der Tagesspiegel im Januar berichtete. Sie war damit das erste Bundestagsmitglied überhaupt, das offiziell unter Korruptionsverdacht stand.

Der Fall belebt einen Evergreen des politischen Betriebs neu: Die Forderung nach einem Lobbyregister, das bisher vor allem von der Union und FDP abgelehnt wurde. VertreterInnen von SPD, Grünen, Linken und diverse NGOs fordern seit Jahren transparentere Auflagen für Nebentätigkeiten von ParlamentarierInnen. LobbyControl und abgeordnetenwatch.de erstellten 2017 einen entsprechenden Gesetzesvorschlag.

Inwieweit Amthor Auskunftspflichten und Verhaltensregeln verletzt hat und ggf. sogar illegal gehandelt haben könnte, werden die nächsten Tagen zeigen, in denen noch weitere Fragen geklärt werden müssen: So fallen die Aktienoptionen nicht unter die parlamentarische Veröffentlichungspflicht; die Frage, wer für Amthors Geschäftsreisen gezahlt hat, könnte dabei schon entscheidender sein. Der Schaden für den Politikbetrieb ist hingegen bereits entstanden und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die PolitikerInnen unter den Generalverdacht der Käuflichkeit und Vetternwirtschaft stellen.

Mit besten Grüßen zum Wochenstart
Philipp Sälhoff

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Die Europäische Union hat in der Krise besser zusammengestanden als es ihrem Ruf entspricht. Das belegt eine neue Erhebung des ECFR im Rahmen seines “Re:Think Europe”-Programms. Der “European Solidarity Tracker” sammelt und visualisiert Solidaritätsmaßnahmen zwischen EU-Mitgliedsstaaten während der Coronakrise. Das Daten-Projekt des Thinkthanks kann nach geleisteten und empfangenen Unterstützungen sowie der Art und Weise der Solidaritätsaktion filtern. Deutschland führt unter den “Geberstaaten”, das schwer getroffene Italien bei den Empfängern. ➡️ ECFR (Interaktiver Tracker)

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Freedom of the Press Foundation (Blogbeitrag mit Übersichtsgrafik) | t3n (Bericht)

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[ “Brückenthemen” gegen die gesellschaftliche Spaltung ]
Wie kann der weiteren Polarisierung der Gesellschaft entgegengewirkt werden? Dieser Frage widmet sich eine neue Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Untersuchung “Auf der Suche nach dem verlorenen Dialog” von Jana Faus und Matthias Hartl identifiziert drei gesellschaftlichen Gruppen der “national” bzw. “weltoffen Orientierten” und der dazwischenliegenden “beweglichen Mitte”. “Brückenthemen”, über die ein Dialog besonders wichtig und relevant erachtet wird, seien die “Integration von MigrantInnen”, “soziale Gerechtigkeit” und “Bildung”. ➡️ Friedrich-Ebert-Stiftung (Studie)

[ Bento gibt auf, “Spiegel Start” soll Leserschaft auffangen ]
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Magdeburg | Bewerbungsfrist: 08.07.2020 | Arbeitsbeginn: 17.08.2020 | Vollzeit

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt besteht derzeit aus fünf Abgeordneten, unter der Leitung von Frau Cornelia Lüddemann. Aktuelle Themen, mit denen sich die Fraktion derzeit beschäftigt sind unter anderem der Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextremismus, Schutz von Kindern in der Coronakrise, Probleme rund um das Thema des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder auch ihrer Vision Zero, welche sich auf den verschärften Bußgeldkatalog der Straßenverkehrsordnung bezieht.

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15. Juni 2020