G7-Gipfel, Grüner Abstieg und Geschichtsstunde im Parlament

EDITORIAL: G7-Gipfel, Grüner Abstieg und Geschichtsstunde im Parlament

MELDUNGEN: Politikawards 2023 | Gesellschaftliche Kipppunkte in Krisenzeiten | Wiedereröffnung Theodor-Heuss-Haus | Politische Voreingenommenheit von ChatGPT | Dialogbox 2023 u. v. m.

WAHLTREND: FDP gewinnt, Grüne schon fast einen Punkt hinter der AfD

BUCH: Keine falsche Toleranz! Warum sich die Demokratie stärker als bisher zur Wehr setzen muss

TWEET: Work-Life-Balance mal anders

STAKEHOLDER: Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte

Liebe Leserin, lieber Leser,

wohl kein bisheriger Schauplatz eines G7-Gipfels steht so sehr für die Notwendigkeit multilateraler Koordination wie das japanische Hiroshima. Fast 80 Jahre nach dem Atombombenabwurf am 6. April 1945 wurde die historische Vorlage von den beteiligten Staatschefs der führenden Industrienationen genutzt: Der Appell für Frieden im Allgemeinen und für den Verzicht auf Atomwaffen im Speziellen war eine zentrale Botschaft des Wochenendes.

Überraschungsgast war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Unstimmigkeiten soll sein Besuch allerdings bei der brasilianischen Delegation verursacht haben: Präsident Lula war angeblich verstimmt, weil der ukrainische Präsident um ein bilaterales Treffen gebeten habe und Druck auf Brasilien ausgeübt werde, sich stärker auf Seiten der Ukraine zu positionieren. Ein persönliches Gespräch zwischen den beiden kam letztlich nicht zustande. Selenskyjs Besuch war ansonsten aber ein Erfolg für die Ukraine, insbesondere weil die USA die Ausbildung ukrainischer Piloten zugesagt haben und die Koalition für die Lieferung von Kampfjets weiter gewachsen ist.

  • Die Abschlusserklärung zum Gipfel wurde umgehend von China und Russland verurteilt. Dabei ist sie auf Betreiben Frankreichs und Deutschlands weniger kritisch gegenüber China als im vergangenen Jahr, wie Ulrich Speck anmerkt.
  • Warum die G7 diesmal zwar ihre Pflicht erfüllt haben, aber hinter den Kulissen an der Kür gescheitert sind, kommentiert Andreas Niesmann.
  • Zeitgleich hat China einen „Gegengipfel“ mit fünf zentralasiatischen Staaten veranstaltet.
  • Thematisiert wurde zudem die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und die Notwendigkeit, dass sie demokratischen Werten entspricht (siehe auch unsere Meldung zu ChatGPT weiter unten).
  • Am Rande des Gipfels war auch die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Thema. Das RND mit 5 Gründen, warum der britische Verteidigungs­minister Ben Wallace gute Chancen hat.
  • Der Tagesspiegel erklärt, warum Hiroshima um seinen Ruf als Stadt des Friedens fürchtet.

Es war darüber hinaus die erste Dienstreise ins Ausland, bei der Scholz von seiner Ehefrau Britta Ernst begleitet wurde.  Ernst trat jüngst als Brandenburgs Bildungsministerin zurück. Jan Dörner über das Verhältnis der beiden. Der Focus weiß, welche Partner:innen der anderen Staats- und Regierungschefs noch beim separaten Kulturprogramm dabei waren. Im Anschluss ging es für das Kanzler-Paar übrigens nach Südkorea.

Eine Auslandsreise wäre für Vizekanzler Robert Habeck derzeit wohl auch eine feine Sache. Im heimischen Berlin läuft es so gar nicht für den Wirtschaftsminister. Die Entlassung von Staatssekretär Patrick Graichen („Der eine Fehler zu viel“) am Mittwoch kam dann doch relativ schnell (Graichens Twitter-Statement). Auch Michael Schäfer verkündete erwartungsgemäß, dass er für die Neubesetzung der Stelle als dena-Chef nicht zur Verfügung steht (Twitter-Statement). Weitere Hintergründe zur Lage im BMWK:

  • Der Nachfolger von Graichen wird Philipp Nimmermann, der bisher Staatssekretär in Hessen war.
  • Eine Chronologie der Ereignisse um Patrick Graichen hat der Spiegel aufbereitet.
  • Das Pressestatement von Wirtschaftsminister Habeck im Video (ab Minute 2:30).
  • Warum auch vielen Grünen nach der Befragung von Graichen im Bundestagsausschuss der Geduldsfaden riss, hat der Tagesspiegel recherchiert.
  • Bei Graichen steht nun auch noch ein Plagiatsverdacht seiner Doktorarbeit im Raum.
  • Zusätzlich gibt es Vorwürfe gegen Udo Philipp, einen weiteren Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.
  • Nils Markwardt von der Zeit (€) über grundsätzliche gesellschaftliche Lehren aus der Entlassung Graichens.

Auch sonst sind die Grünen im Krisenmodus: Der Ampel-Streit um das Heizungsgesetz, die Wahlschlappe in Bremen und fallende Umfragewerte (siehe Wahltrend) setzen ihnen zu. Warum der Kommunikationsstil der Grünen dafür ein Hauptgrund ist und die Partei so selbst verschuldet gewonnene Sympathien verspielt, hat Jagoda Marinić in der SZ kommentiert. Zu alledem hat sich das Rügener Café “Habeck’s” nun entschieden, seinen Namen zu ändern, weil dieser geschäftsschädigend sei. 

Derweil wird in Berlin eine kleine parlamentarische Revolution vorbereitet: Der Bundestag könnte zukünftig alle 5 Jahre gewählt werden. Zumindest verdichten sich die Hinweise, wie Albert Funk für den Tagesspiegel analysiert. Für den deutschen Parlamentarismus wäre das eine historische Wegmarke.
 
Dessen Grundstein wurde am 18. Mai in Frankfurt am Main gefeiert. Genauer gesagt in der Frankfurter Paulskirche, wo 1848 die Abgeordneten der Nationalversammlung zusammentraten, um erstmals eine freiheitliche Verfassung für ganz Deutschland zu erarbeiten. Der Festakt zum 175-jährigen Jubiläum wurde nun durchaus spektakulär begangen. Insgesamt kamen ca. 250.000 Besucher zu den Events der viertägigen Feier.

  • Die Hessenschau mit einer Zusammenfassung des Festakts mit dem Bundespräsidenten.
  • Die Lichtshow am Main in der Aufzeichnung.
  • Vor Ort konnte man auch eine Virtual Reality-Reise zur Nationalversammlung von 1848 unternehmen.

Wie trittsicher die Bundestagsabgeordneten bei historischen Daten und Zahlen sind, hat „MrWissen2Go” für das ZDF im Reichstag abgefragt und unter anderem mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Philipp Amthor gesprochen. Emilia Fester von den Grünen erntete danach viel Spott, weil sie nicht wusste, dass Bismarck mal Kanzler gewesen ist. Die Welt mit einem Pro und Kontra, ob Abgeordnete solche Dinge heute noch zwingend wissen müssen.

Ebenfalls nicht sehr treffsicher zeigten sich andere MdBs am Wochenende in Wien. Der FC Bundestag trat dort bei der Fußball-EM der Parlamentsauswahlen an und wurde Letzter. Statt der Titelverteidigung gab es drei Niederlagen gegen die Parlamentsteams aus Österreich, Finnland und der Schweiz. Daran konnte selbst Felix Magath als Trainer nichts ändern. Zur Vollständigkeit gehört aber auch, dass bei den Finnen ein ehemaliger Bundesligaprofi mitgespielt hat.

Der FC Bundestag kickt manchmal auch auf der Wiese vor dem Reichstag. Warum das am Dienstag nicht möglich gewesen wäre  und stattdessen eine Herde Kühe mit Blick auf die Kuppel gegrast hat, weiß die Stuttgarter Zeitung.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

 

Aktuelle politjobs
Politticker
Wiedereröffnung des Theodor-Heuss-Hauses

“Demokratie als Lebensform” – dies ist der Titel der Dauerausstellung, die im wiedereröffneten Theodor-Heuss-Haus das Leben des ersten Bundespräsidenten und seiner Ehefrau Elly Heuss-Knapp zeigt. Nach mehreren Jahren Renovierungszeit wurde Heuss’ ehemaliges Wohnhaus in Stuttgart vergangenen Montag wiedereröffnet. Zu diesem Anlass hielt auch der aktuelle Bundespräsident Steinmeier eine Rede über die Bedeutung der Demokratie und über Heuss’ Wirken als erster Bundespräsident nach dem NS-Regime. Das Haus, das sich im Besitz einer Stiftung befindet,…

Verleihung der Politikawards 2023

Politische Persönlichkeiten, die durch besondere Leistungen aufgefallen sind, werden einmal im Jahr mit den Politikawards des Fachmagazins politik&kommunikation und der Quadriga Hochschule ausgezeichnet. Nun wurden die diesjährigen Gewinner:innen verkündet: Hendrik Wüst ist Politiker des Jahres, Aufsteigerin des Jahres ist Aminata Touré. Der FDP-Politiker Gerhart Baum wurde mit dem Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Eine Sonderauszeichnung erhielt zudem die Demokratiebewegung im Iran, die stellvertretend die Menschenrechtsaktivistin Shadi Sadr entgegennimmt. Die Gala zur…

Politische Voreingenommenheit von ChatGPT

Bei der Nutzung von ChatGPT fallen vermehrt Probleme auf: Neben falschen und erfundenen Informationen zeigt sich auch, dass die KI politisch voreingenommene Antworten gibt. Dies fanden Forscher:innen der TU München und der Universität Hamburg heraus, die ChatGPT eine “pro-environmental, left-libertarian orientation” attestieren. Daran anschließend haben nun US-amerikanische Forscher die Reaktionen auf verschiedene Aussagen untersucht und kommen zu dem Schluss, dass sich in der Regel ein “left-leaning bias” beobachten lässt, ChatGPT aber…

Gesellschaftliche Kipppunkte in Krisenzeiten

Die gesellschaftliche Stimmung erfassen und mögliche “Kipppunkte” antizipieren: Mit diesen Zielen haben das Karlsruher Institut für Technologie und das FZI Forschungszentrum Informatik ein neues Forschungsprojekt zu “Social Sentiment in Times of Crises” entwickelt, das durch die Alfred Landecker Foundation unterstützt  wird. Zentral ist der Fokus auf besagte Kipppunkte, an denen sich Meinungen schlagartig verändern und potentiell demokratiegefährdend werden. Das Forschungsprojekt simuliert diese Punkte im Rahmen einer Längsschnittstudie in Deutschland und den…

Dialogbox 2023

Die Initiative Offene Gesellschaft hat ihre diesjährige Dialogbox angekündigt: Damit lassen sich Dialog-Workshops gestalten und insbesondere politische Diskussionen führen. Zu diesem Zweck sind verschiedene Materialien und Methoden enthalten, die entweder zusammen oder einzeln genutzt werden können. Zielgruppen dafür sind z.B. Schulklassen, Aktionsgruppen oder Bibliotheken, die anhand der Dialogbox Veranstaltungen organisieren können – etwa zum Tag der Offenen Gesellschaft am 17. Juni.

Wahltrend
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Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Wolfgang Kraushaar

Keine falsche Toleranz! Warum sich die Demokratie stärker als bisher zur Wehr setzen muss

Die Zahl politisch motivierter Straftaten lag 2022 so hoch wie noch nie in den vergangenen 20 Jahren, wie das Bundesinnenministerium kürzlich mitteilte. Und Razzien gegen Gruppen, die einen Putsch planen oder Minister entführen wollen, werfen die Frage auf, wie gefährdet die Demokratie in Deutschland ist. Wolfgang Kraushaar widmet sich in seinem Buch dieser Frage sowie einer Antwort darauf, was es für eine Demokratie bedeutet, wehrhaft zu sein.

Der Politikwissenschaftler, der vor allem mit seinen Arbeiten zur 68er-Bewegung und über linksradikalem Terrorismus bekannt geworden ist, sieht ein Gefährdungsszenario, das nicht mehr von den politischen Rändern, sondern von der gesellschaftlichen Mitte ausgeht. Ein Teil daraus radikalisiere sich durch die multiplen Krisen der vergangenen Jahre und zeige sich in Form von Reichsbürgern, Querdenkern, Pegida usw. offen für rechtsextreme Strömungen. Der Autor schildert dazu die Herausforderungen der deutschen Demokratie von rechts seit 1945 und plädiert mit Carlo Schmid, einem der Väter des Grundgesetzes, für Wehrhaftigkeit und Intoleranz gegenüber jenen, die die liberale Demokratie mit legalen Mitteln abschaffen wollen. Dafür brauche es laut Kraushaar z.B. weitere strukturelle Korrekturen in den Sicherheitsbehörden, mehr Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft sowie eine dynamische Theorie der Radikalisierung statt die statische Theorie vom Extremismus.

Benjamin Triebe

Tweet der Woche

Work-Life-Balance mal anders

Normalerweise begründen Politiker:innen ihre Rücktritte gern mal damit, mehr Zeit mit ihren Liebsten zuhause verbringen zu wollen. In der Causa Graichen hätte es angesichts der kolportierten familiären Verbindungen ins Umfeld des Ministeriums aber auch andersherum laufen können, wie Der Postillon in gewohnter Manier feststellt.

 

Mareile Ihde

Stakeholder der Woche
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STAKEHOLDER DER WOCHE

Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte

Die “Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte” ist damit beauftragt, entsprechende Orte zu erhalten und bestehende Strukturen in diesen Bereichen zu fördern. Zudem soll ihre gesellschaftliche Wahrnehmung gefördert und mehr demokratische Teilhabe angeregt werden. Die Einrichtung der Stiftung wurde 2021 vom Bundestag beschlossen und knüpft an die Arbeitsgemeinschaft “Orte der Demokratiegeschichte” an, in der sich diverse Museen und Stiftungen zusammengeschlossen haben. Sitz der Stiftung ist Frankfurt am Main in Erinnerung an die Nationalversammlung in der Paulskirche von 1848.

 

 

Gregor Bauer

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23. Mai 2023