FishBowl-Event im BASECAMP

Am 22. März 2022 haben wir gemeinsam mit dem BASECAMP die FishBowl zum Thema „Endlich freie Fahrt für die Digitalpolitik? Die Agenda der Ampel“ durchgeführt. Dazu durften wir die digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU/CSU und SPD zur Diskussion begrüßen.

Die Digitalisierung war im vergangenen Jahr noch eines der großen Themen im Wahlkampf. Die Erwartungen an die neue Regierung sind dementsprechend hoch. Wohin steuert also die Digitalpolitik der Ampel? Über diese Frage diskutierten in der Berliner Mittelstraße die digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von FDP (Maximilian Funke-Kaiser), Bündnis 90 / Die Grünen (Maik Außendorf), CDU/CSU (Dr. Reinhard Brandl) und SPD (Dr. Jens Zimmermann) beim gemeinsam organisierten Event von BASECAMP und polisphere.

Im BASECAMP wird seit Jahren über die digitale Transformation der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik diskutiert, bemerkte bei seiner Begrüßung Philippe Gröschel, Director Government Relations von Telefónica. Und die Ampelregierung räumt diesen Transformationen nach eigener Aussage höchste Priorität ein, gerade auch, weil die Vorgängerregierung bei ihren digitalpolitischen Vorhaben nicht wie gewünscht vorangekommen sei. „Was ist liegen geblieben?“, fragte Moderatorin Mareile Ihde, Leiterin Digitale Kommunikation bei polisphere, in die Runde und stieg mit einem kritischen Rückblick in die Diskussion ein. Die Ampelvertreter hatten mit Blick auf die Arbeit der Vorgängerregierung eine lange Liste parat: Maik Außendorf betonte, dass die Entwicklung einer Bundescloud als Teil der Verwaltungsmodernisierung von der GroKo nur halbherzig angegangen worden sei. Laut Maximilian Funke-Kaiser bedürfe es einer Stärkung der digitalen Souveränität – des Staates, aber auch der Individuen. Er erwähnte aber auch die digitale Infrastruktur; man müsse jetzt vor allem den eigenwirtschaftlichen Ausbau fördern. Dem schloss sich Jens Zimmermann an. Der Glasfaserausbau hat für ihn höchste Priorität: „Wir brauchen in jedem Haus Glasfaser und Gigabit-Infrastruktur.“

Unter der Ampel-Regierung, bemerkte Zimmermann, werde es hier Verbesserungen geben. Sogenannte weiße Flecken auf der Landkarte sollten guten Internetzugang bekommen. Jetzt gebe es auch wieder Wettbewerb und jeder wolle in Deutschland Glasfaser bauen. Dazu müsse man aber auch die analoge Seite der Digitalisierung beachten, so der SPD-Politiker. Straßen müssten aufgerissen, Bagger bedient werden – Druck brauche es also auch bei der Bauwirtschaft.

Regierungs- und Selbstkritik vom Unionsvertreter

Der digitalpolitische Sprecher der Union, Reinhard Brandl, zeigte sich selbstkritisch. Seine Fraktion müsse sich digitalpolitisch neu aufstellen, dafür möchte er die Zeit in der Opposition nutzen. Aber Brandl äußerte auch Kritik an der Regierung: „Auch in der Ampel mahlen die Mühlen langsam.“ Er bemängelte, dass zum Beispiel das geplante Digitalbudget noch nicht im eben vorgelegten Haushalt vorhanden sei. Und was nicht im Haushalt stehe, so der Fachmann, der seit 2009 im Bundestag sitzt, das passiere letztlich auch nicht. Es sei zu befürchten, dass 2022 ein verlorenes Jahr für die Digitalisierung werde. Zumindest werde aber das 2017 beschlossene Onlinezugangsgesetz (OZG) noch bis zum Ende des Jahres spürbar werden. Ämter und Behörden müssten bis dahin eine Vielzahl ihrer Leistungen digitalisieren.

Eine lange Liste an Vorhaben, Wünschen und Baustellen wurde schon zu Beginn am FishBowl-Tisch geäußert: Regulierung der Social-Media-Plattformen, AI-Förderung, Chips-Produktion, Datenregulierung. Aber vor allem ein Thema schien bei allen ganz oben zu stehen: Der Netzausbau als Grundlage der Digitalisierung des Landes und als Bedingung gesellschaftlicher Teilhabe.

Ampel-Uneinigkeit bei digitaler Bildung: Gibt es ein Mindset-Problem?

„Und was ist mit dem digitalen Bildungsbereich?“, lenkte Moderatorin Ihde auf ein bis dahin noch unerwähnt gebliebenes Thema. Hier wurden die verschiedenen Perspektiven der Politiker deutlich: Außendorf wies auf die soziale Schieflage hin, betonte aber auch den Bedarf an Infrastruktur. Beim Glasfaserausbau würden Schulen schlicht vernachlässigt, „Friedhofskapellen wurden mit Glasfasern ausgerüstet, Schulen ein paar Meter weiter nicht“.

Zimmermann sah hingegen Grenzen des Einflusses, den die Fraktionen des Bundestages bei diesem Thema hätten: Bildung sei eben immer noch Ländersache, der Bund könne vor allem Geld bereitstellen. Wirkung könnten aber noch eine Kompetenz-Ausweitung der Bundeszentrale für Politische Bildung oder die Angebote von Kursen in Volkshochschulen erzielen. 

Aber ist die träge Digitalisierung im Land vielleicht auch eine Kulturfrage, eine Sache der Motivation? Das findet jedenfalls Zimmermann. Es seien oft nicht die Mittel, die fehlten, viele Lehrkräfte stellten sich auch gegen Veränderungen. Das „Mindset“ müsse sich ebenfalls ändern. Sein Koaltionskollege Außendorf stimmte zu. Auch in Verwaltungen, Krankenkassen, Ministerien gebe es schlicht „Weltmeister im Ausreden-Finden“. Es brauche daher die Bereitschaft, den Arbeitsalltag zu digitalisieren.

Der CSU-Politiker Brandl wiederum brach eine Lanze für die Lehrkräfte des Landes: Das sei ihm zu viel „Lehrerbashing“; es gebe sehr viele, die sehr engagiert und auch für Neuerungen offen seien. Auch Funke-Kaiser wolle nicht in „Pauschalisierungen“ verfallen. Schon aus persönlichen Gründen: Seine Freundin sei schließlich Lehrerin und nutze digitale Lehrmöglichkeiten mit voller Motivation.

Der Kampf gegen Desinformation: Viele Ideen, viel in Bewegung

Ob die Querdenken-Bewegung oder Russland – die monumentale Herausforderung von Desinformationen, die im Netz verbreitet werden, hat in den letzten Jahren hohe Wellen geschlagen. So ist es nicht wunderlich, dass auch die Teilnehmer der FishBowl eine Vielzahl an Lösungsansätzen zu dem Thema parat hatten. Dem digitalpolitischen Sprecher der Grünenfraktion sind beispielsweise erleichterte Klagen bei Hass im Netz wichtig. 

Die seien derzeit noch zu langwierig und hätten zu hohe Hürden. Der derzeit verhandelte Digital Services Act der EU könne das aber durchaus lösen, so Außendorf.

Brandl hingegen schlug eine agilere Kommunikation staatlicher Stellen vor. Der Staat müsse viel aktiver  werden. Er nannte die Website www.zusammengegencorona.de – die sei zwar gut, aber eine Website allein reiche schlicht nicht. Man müsse die Informationen vielmehr in Kacheln und Sharepics aufbereiten, sodass man gutaufbereitete Fakten beispielsweise auch gleich über Messenger versenden könne.

 Zimmermann meinte, dass schon vieles in Bewegung sei und lobte seine Parteikollegin und Innenministerin Nancy Faeser. Denn erst durch ihren Druck habe selbst Telegram sich bewegt und Desinformation aus der Verschwörungsszene gelöscht.

Cyber, Arbeit, Außenpolitik: Überall Baustellen

Nach einer ernüchternden Diskussion über die Cybersicherheit im Land (Tenor: Wir sind noch nicht genügend geschützt und müssen resilienter werden), wurde der Gaststuhl für Fragen aus dem Publikum geöffnet. 

Auch hier wurden neue Baustellen benannt und diskutiert: Wie sieht es mit der digitalen Arbeitswelt aus? Was bedeutet digitale Außenpolitik? Und wie steht es um den digitalen deutschen Wirtschaftsstandort?

In Sachen Digitalisierung – sei es in der Gesellschaft, Wirtschaft oder Politik – mangelt es nicht an Aufgaben und Herausforderungen. Das wurde an diesem Abend sehr deutlich. Und doch gab es für jedes Problem eben auch eine Vielzahl an Ideen der anwesenden digitalpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen in einer immer wieder leidenschaftlich geführten Diskussion. Ein wenig spürte man bei der FishBowl, um es mit einem Lieblingswort der Ampelkoalition zu sagen, den Aufbruch.

(Fotos: Henrik Andree)

25. März 2022