100 Tage Krise

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Editorial: 100 Tage Krise +++ Meldungen: BILD mit Presserügen-Rekord, Hasskommentare im Bundestagswahlkampf, 30 Politikköpfe von morgen, Faesers Aktionsplan gegen Rechts, Henrik Enderlein Preis +++ Wahltrend: Linke wieder mit Verlusten +++ Buch: Olaf Scholz. Wer ist unser Kanzler? +++ Tweet: Renaming NRW +++ Jobs: Volontär:in Public Affairs (bitkom), Klaus Töpfer Sustainability Fellowship 2023, Leiter:in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Stiftung Forum Recht), u. a. +++ Events: FishBowl: Endlich freie Fahrt für Digitalpolitik? Die Agenda der Ampel (BASECAMP, polisphere), Demokratie braucht Feminismus (Heinrich-Böll-Stiftung), Olaf Scholz – Wer ist der neue Kanzler? (Urania Berlin), u.a. +++ Stakeholder: Jacques Delors Centre

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Liebe Leserin, lieber Leser,

als Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933 das Amt des 32. Präsidenten antrat, hatte er eine Wirtschaftskrise epischen Ausmaßes zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund bat er sich eine Frist von 100 Tagen von der Presse aus, die sie ihm und seinen zahlreichen Gesetzesvorhaben lassen sollte, bevor man über sie urteilt. Kenneth T. Walsh über den Pionier des 100-Tage-Konzepts (englisch), das seither eine beliebte Grundlage für die Bewertung neuer Regierungen ist.

Die Ampel hat zwar keine Wirtschaftskrise im engeren Sinne zu bewältigen, aber dankbar sind die Rahmenbedingungen für die Neukoalitionäre nun wahrlich nicht: Der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen, die munter grassierende Corona-Pandemie und auch wenn die Klimakrise derzeit fast in Vergessenheit gerät, gibt es auch hier großen Handlungsbedarf. Dass derweil in der Antarktis 30 (!) Grad mehr als normalerweise gemessen werden, ist nur ein kleiner Erinnerungsruf.

Wie sich die Ampel in ihren ersten 100 Tagen schlug, haben Lenz Jacobsen und Michael Schlieben zusammengetragen. Weitere Hintergründe:

  • In jeder Regierung gibt es Lautsprecher und Leisetreter. Das RND hat die Charaktere der Ampelminister:innen typisiert.
  • Die Tagesschau hat sich die Bilanz der “unscheinbaren” Minister:innen näher angeschaut.
  • Karl Lauterbach ist nicht mehr der beliebteste Ampelminister, wer ihn nach 100 Tagen überholt hat, zeigt der SPIEGEL-Regierungsmonitor.
  • Was ein neues Meeting-Format, das Olaf Scholz aus Hamburg importiert hat, mit der relativ geräuschlosen Zusammenarbeit der Ampel zu tun hat, erklärt die taz.
  • Die Ampel trat als Zukunftskoalition an. Aber nehmen die Wähler:innen sie als solche wahr? Das Progressive Zentrum hat nachgefragt.
  • Welche ihrer Pläne sie bereits umgesetzt hat, kann man mit einem Tool der Initiative FragDenStaat jederzeit nachprüfen: dem Koalitionstracker.
zufriedenheit

Aber diese erste Zwischenbilanz geriet in der letzten Woche zur Nebensache: Denn noch tobt der Krieg in der Ukraine und Selenskyjs Auftritt im Bundestag (Video) hat Wellen geschlagen. Der ukrainische Präsident ging hart mit der Bundesregierung ins Gericht. Berthold Kohler bewertet die verbalen “Prügel” von Selenskyj in der FAZ. Anlass zur Kritik gab es vor allem an dem trockenen Übergang zur Tagesordnung nach der Rede. Norbert Röttgen sah darin den “würdelosesten Moment des Bundestags, den er je erlebt hat”, Hendrik Wieduwilt sieht das Risiko einer “historischen Schande“. Laut Katja Mast, der Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, wollte die Ampel-Koalition die Worte des ukrainischen Präsidenten “für sich stehen lassen, weil sie es verdient hätten, für sich wahrgenommen zu werden”. Diese Interpretation hatte die Ampel wohl ziemlich exklusiv für sich. Einen Fehler sah darin rückblickend nicht nur SPD-Außenpolitiker Michael Roth.

Der Krieg in der Ukraine fordert täglich Hunderte Tote, er wird aber auch mit Worten und Bildern geführt:
  • Selenskyjs Rede im US-Kongress soll viele der anwesenden Parlamentarier:innen zu Tränen gerührt haben, gerade der vorbereitete Zusammenschnitt mit Kriegsbildern entfaltete seine Wirkung.
  • Auch Arnold Schwarzenegger hat sich positioniert. Warum sein herausgegebenes Video-Statement ein “Meisterwerk der politischen Rhetorik” ist, analysiert Tobias Rapp hinter der Paywall des SPIEGELs.
  • US-Präsident Biden nannte Putin einen “Kriegsverbrecher” und “mörderischen Diktator”. Was solche Äußerungen mit dem Konflikt machen, hat die NYT (englisch) analysiert.
  • Ein interaktives Dossier über die Gründe für Putins kriegerisches Versagen bietet die Financial Times.
  • Könnten wir, die Bevölkerung eines zentraleuropäischen Staats, den Krieg unmittelbar stoppen? RND-Journalistin Kristina Dunz mit einem Tagtraum als Lösungsansatz.
  • Jede Krise braucht eine:n Erklärer:in. Der Militär- und Sicherheitspolitikexperte Carlo Masala ist derzeit schwer damit beschäftigt, Orientierung in großer Unsicherheit zu geben. Anna-Lena Scholz über den Christian Drosten des Ukrainekriegs (Paywall).

Selbst die mit Spannung erwartete Debatte zur Impfpflicht geriet nach Selenskyjs Appell fast zur Nebensache. Ob sie nun kommen wird, entscheidet sich erst Anfang April. Ist sie der “Weg der Vernunft” oder ein” totes Pferd”? Die Tagesschau wägt den Stand der Debatte ab.

Seit gestern sind aber bereits diverse Corona-Maßnahmen weggefallen, so gilt in Zügen z.B. nicht mehr die 3G-Regel und in vielen Bundesländern müssen auch keine Masken mehr in Restaurants getragen werden. Die Tagesschau mit einem FAQ-Artikel zum Stand der aktuellen Regelungen.

Die Lockerungen treten zeitgleich in Kraft mit einem neuen Rekordhoch an Inzidenzen, mehr als 4 Millionen aktiven Infektionen und nach einer Woche, in der drei von fünf Mitglieder des Bundestagspräsidiums aufgrund von Coronainfektionen ausfielen. Auch das kann man für sich stehen lassen.

Bei der aktuellen Nachrichtenlage geht der Wahlkampf im Saarland fast unter. Das Land steuert am Sonntag wohl auf einen Regierungswechsel zu, analysiert die n-tv-Redaktion.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff

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Presserat: BILD erhält fast die Hälfte aller Rügen

Im letzten Jahr sanktionierte der Deutsche Presserat wieder deutlich mehr Medien als im Vorjahr, so der Jahresbericht des Gremiums. Insgesamt wurden 60 Rügen (2020: 53) verteilt, die höchstmögliche Strafe des Presserats. An die BILD allein gingen 26. Insgesamt gab es jede dritte Rüge (22) wegen Verletzung des Persönlichkeitsschutzes, 21 wegen Schleichwerbung. Mehr als 90 % der 2.556 Beschwerden kamen von Privatpersonen.

Neue Generation: Die Rising Stars 2022

Wem trauen die Parteien eine große Zukunft zu? Das Fachmagazin politik&kommunikation hat das politische Berlin befragt und stellt die 30 Rising Stars 2022 vor. An erster Stelle: Der 34-Jährige JU-Vorsitzende Tilman Kuban. Auch dabei ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Sanae Abdi (35), die gleich in ihrer ersten Legislaturperiode zur entwicklungspolitischen Sprecherin ihrer Fraktion wurde. Als “eines der großen politischen Talente der Freien Demokraten” schaffte es auch Ria Schröder (29), die ehemalige JuLi-Chefin und Mitglied im FDP-Vorstand, in die Liste.

Wahlkampf 2021: 30 Hasskommentare pro Stunde

Im September 2021 waren Kandidierende im Bundestagswahlkampf durchschnittlich 30 Hasskommentaren pro Stunde allein auf Twitter ausgesetzt. Das ergab eine Studie des Institute for Strategic Dialogue (ISD) und Hate Aid. Demnach waren unter den 191 meistgeteilten Hass-Tweets 6,8 % Verschwörungserzählungen zuzuordnen, rund 5 % waren fremdenfeindlich, 2 % rassistisch und 2,6 % sexistisch. Damit enthielten knapp 12 % der Tweets gruppenbezogenen Hass. Am meisten betroffen waren die Politikerinnen Saskia Esken, Sahra Wagenknecht und Katrin Göring-Eckardt.

Rechtsextremismus: Faeser präsentiert Aktionsplan

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will mit einem Aktionsplan den Rechtsextremismus in Deutschland verstärkt bekämpfen. Ziel sei es, insbesondere die Netzwerke der Szene zu zerschlagen und ihre Finanzen auszutrocknen. Der am Dienstag vorgestellte 10-Punkte-Plan sieht auch vor, radikalisierte Menschen in der Polizei und weiteren Behörden zu identifizieren und zu kündigen. Ein verstärkter Austausch von Verfassungsschutz, Polizeibehörden und Verwaltungsgerichten soll Rechtsextremist:innen zudem systematisch Waffen entziehen.

Sozialwissenschaften: Neuer Henrik Enderlein Preis

Das Jacques Delors Centre hat den Launch eines neuen Preises für herausragende Leistungen in den Sozialwissenschaften präsentiert: Der Henrik Enderlein Preis wird zukünftig jedes Jahr an eine:n europäische:n Forscher:in unter 40 Jahren verliehen. Er ist auf 10.000 Euro dotiert. Bewerbungen für den diesjährigen Turnus können bis zum 30. April eingereicht werden. Henrik Enderlein war ein deutscher Politik- und Wirtschaftswissenschaftler, deutsch-französischer Brückenbauer und zuletzt Präsident der Hertie School of Governance. Im Mai 2021 erlag er einem Krebsleiden.

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In den ersten 100 Tagen der Ampelkoalition kam bereits häufiger die Frage auf, wo eigentlich die von Olaf Scholz angekündigte politische Führung bleibe – sei es bei der Impfpflicht-Debatte oder bei Nord Stream 2. Vermutlich ist vielen auch einfach noch nicht klar, wie der neue Bundeskanzler eigentlich tickt und was sein Politikstil ist. Der Journalist Mark Schieritz schafft hier mit seinem neuen Buch Abhilfe und erklärt die Methode Scholz. Ein Muster bei Herausforderungen sei z.B. zunächst der Rückzug von der Öffentlichkeit und internes Abwägen, um dann etwas Überraschendes zu präsentieren. Wie das derzeit angesichts des russischen Angriffskriegs einzuschätzen ist, schildert der Autor unter anderem im DLF-Interview.

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Paul Vossiek von den Sozialliberalen sprach bei einer Online-Veranstaltung vor der NRW-Wahl im Mai auf Englisch und wurde dabei automatisch untertitelt. Und zack – so entstand ein neuer Name für Nordrhein-Westfalen, den das Bundesland jedenfalls im Internet nie wieder loswerden werden dürfte: offline west failure.

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Als Volontär:in (w/d/m) bei dem Digitalverband Bitkom sitzt Du an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft. Zu Deinen Aufgaben gehören die Beobachtung und Analyse wichtiger politischer Prozesse sowie die Unterstützung bei der Pressearbeit. Voraussetzungen für die Stelle sind u.a. überzeugendes Auftreten, politisches Interesse und ein erfolgreich abgeschlossenes Studium.

 

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Das IASS sucht talentierte Fellows (w/d/m) aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, deren kreative Ideen den Weg in eine nachhaltige Gesellschaft mitgestalten. Bewerbungsschluss ist der 17. April 2022.

 

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Di, 22.03.2022 | 18:00-19:30 Uhr
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Das Jacques Delors Centre ist eine Institution, welche wissenschaftliche Forschung im Bereich Europapolitik mit der Entwicklung konkreter Zukunftsideen verknüpft. Gründungsdirektor war der Politikwissenschaftler Henrik Enderlein. Das Jacques Delors Centre sitzt in Berlin und wird seit Enderleins Tod im Mai 2021 vom Team um Co-Direktorin Prof. Dr. Anke Hassel weitergeführt.

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21. März 2022