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8. Januar 2024 14 Minuten

Wer den Proteststurm erntet

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass das neue Jahr viel gesellschaftspolitische Spannung bereithält, war klar. Dass sie sich so schnell und massiv entladen würde, eher nicht. Die heutigen Bauernproteste gegen die bereits teilweise zurückgenommenen Streichungen von Agrarsubventionen legen Teile des Landes lahm. Andere Berufsgruppen wie Lastkraftfahrer (Erhöhung der Maut) und Gastronomen (geplante Rücknahme der Umsatzsteuersenkung) haben sich angeschlossen. Mit dem angekündigten Lokführer-Streik ab Mittwoch droht eine weitere Härte. Die Proteste werden dabei teilweise von rechten Kräften unterwandert und politisch instrumentalisiert.

  • Einen Live-Ticker zu den heutigen Protesten hat der Spiegel geschaltet.
  • Was in der Restwoche zu erwarten ist, fasst Felix Huesmann beim RND zusammen.
  • Warum die Proteste zu einer weiteren gesellschaftlichen Radikalisierung führen können, hat die Tagesschau analysiert.

Einen Vorgeschmack hat Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits am Donnerstagabend bekommen, als er in Schlüttsiel auf der Rückkehr von einer Urlaubsreise von wütenden Landwirten empfangen wurde, die versuchten, die Fähre zu stürmen (Video). Ein Gesprächsangebot nahm der aufgebrachte Mob nicht wahr. Nur durch das entschlossene Handeln von Besatzung und Polizei, die Pfefferspray einsetzen musste, wurde Schlimmeres verhindert. Die politische Protestkultur ist vielfältig und das muss sie auch sein, aber Politiker:innen im privaten Kontext zu bedrängen, stößt zu Recht auf breite Kritik und parteiübergreifende Solidarität mit dem Vizekanzler. Was Habeck widerfuhr, müssen viele Kommunalpolitiker:innen übrigens fast tagtäglich erleben, wenn sie vor Ort angegangen werden.

  • Reaktionen auf den Angriff hat der NDR zusammengetragen.
  • Wie im Vorfeld mittels Desinformation über Messenger zu einem angeblichen Bürgerdialog mobilisiert wurde, hat Lars Wienand für t-online recherchiert.
  • Warum dieses ganze Setup von Rechtsextremisten und Tag-X-Preppern herbeigesehnt wird, hat Konstantin Kuhle auf LinkedIn analysiert.
  • Der Präsident des bayerischen Bauernverbands zeigte vorher bereits ein erschreckendes Demokratieverständnis, als er die körperliche Unversehrtheit von Politiker:innen unter Vorbehalt stellte.
  • Auch Olaf Scholz und Rainer Haseloff waren in Sachsen-Anhalt mit wütenden Bürger:innen konfrontiert. Besonders die Beleidigung des Ministerpräsidenten durch einen Anwohner schlug einige Wellen.

Die Proteste finden im gesamten Bundesgebiet statt, aber gerade in Ostdeutschland verliert die Ampel massiv an Zustimmung. Den letzten demoskopischen Knall gab es in Sachsen: Die regierende CDU rutscht auf 30 % ab und die Kanzlerpartei könnte mit 3 % sogar aus dem Landtag fliegen. Warum die SPD sich im Osten so schwer tut, analysiert Torben Ostermann. Die AfD hingegen klettert auf 37 %. Um genau die gleiche Rate ist auch ihre Mitgliederzahl innerhalb des letzten Jahres gestiegen.

  • Welche Konsequenzen es hätte, wenn die AfD stärkste Kraft bei den kommenden Landtagswahlen wird, beantwortet Wolfgang Schroeder beim WDR.
  • Die Debatte über ein Verbot der teilweise rechtsextremen Partei läuft derweil weiter. Der Deutschlandfunk mit den wichtigsten Fragen dazu.

 

Eine neue Partei am rechten Rand könnte die Konstellation noch schwieriger machen. Doch Hans-Georg Maaßen scheint das nicht abzuschrecken: Aus der Werteunion will der ehemalige Verfassungsschutzpräsident eine neue Partei machen und mit ihr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg antreten. Am 20. Januar soll auf einer Mitgliederversammlung der Grundstein für die endgültige Abspaltung von der Union gelegt werden. Maaßens genaue Pläne und Erwartungen hat die Berliner Zeitung zusammengefasst, die Rheinische Post bewertet die Erfolgschancen der Partei jedoch als eher gering.

Auch das BSW von Sahra Wagenknecht will bei den Landtagswahlen antreten und kann zwei prominente Neuzugänge verkünden: Der Finanzmarktexperte Fabio De Masi von den Linken und der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, haben sich Wagenknecht angeschlossen und gehen als EU-Spitzenkandidaten ins Rennen.

  • Warum die Hürden für eine Teilnahme bei den Landtagswahlen trotzdem hoch sind, erklärt der Spiegel.
  • Die heutige formale Parteigründung hat ebenfalls der Spiegel zusammengefasst.
  • Die anschließende Pressekonferenz mit Wagenknecht im Livestream.
  • Warum auch neue Parteien sehr wahrscheinlich mit dem Vorwurf des Populismus konfrontiert sein werden, erklärt unser Buch der Woche.

Unzufrieden mit der Ampel ist auch die FDP. In einer Mitgliederabstimmung über den Verbleib in der Koalition votierten nur 52 % für den Verbleib. Knapper kann es kaum ausgehen. 40 % der 66.000 Berechtigten nahmen an der nicht bindenden Befragung teil. Die Auswirkungen auf die Regierungsarbeit analysiert Frank Jahn für die Tagesschau. Am Wochenende stand zudem das traditionelle Dreikönigstreffen der Partei an, hier analysiert vom ZDF.

Angesichts der politischen Gesamtlage fast schon unterhaltsam wirkt dagegen die Posse um den Berliner Bürgermeister Kai Wegner. Er hat nun zugegeben, eine Beziehung mit seiner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch zu führen. Welche Fragen und Probleme das für die Landesregierung aufwirft, zeigt der RBB auf.

Der Politikbetrieb hat vor dem Jahreswechsel zudem eine prägende Figur verloren: Wolfgang Schäuble. Er war unter anderem Kanzleramtschef, Innen- und Finanzminister sowie Bundestagspräsident und gehörte mehr als 50 Jahre dem Deutschen Bundestag an; so lange wie niemand sonst. Am 26. Dezember 2023 starb Schäuble mit 81 Jahren, am Freitag wurde er in Offenburg beigesetzt. Friedrich Merz war einer der Trauerredner, Angela Merkel war allerdings nicht dabei. Am 22. Januar findet im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes ein Trauerstaatsakt zu Ehren Schäubles statt, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angeordnet hat.

  • Schäubles Leben in Bildern.
  • Seine besten Zitate hat die Tagesschau zusammengestellt.
  • Schäubles Nachfolger im Bundestag soll der Stuttgarter Stefan Kaufmann werden. Dessen Lebenslauf kennt ntv.

Auch der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ist im Alter von 98 Jahren gestorben. Einen Rückblick auf sein Leben wirft Rudolf Balmer für die taz. Warum es sich bei Delors und Schäuble um zwei große Europäer gehandelt hat, erläutert Michael Gahler von der EVP im DLF-Interview.

Nicht nur in Europa wird sich in diesem Jahr mit der Europawahl viel bewegen, weltweit wird die Hälfte aller Menschen in mehr als 70 Ländern ihre Stimme bei Wahlen abgeben können. Eurotopics hat eine internationale Presseschau als Ausblick darauf. Los geht es aber mit dem Wechsel von Belgien an die EU-Ratspräsidentschaft und dem von Italien auf den G7-Vorsitz.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart und Frohes Neues – kann man wohl noch wünschen, genaue Empfehlungen dazu finden Sie hier.

Philipp Sälhoff

 


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