Die Ampelsprenger

Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Recherchen, die die politische Landschaft nachhaltig verändern.
Ob das “FDP-Drehbuch zum D-Day” dazu gehört, wird sich zeigen. Das Potenzial dazu haben die am Freitag erschienen Investigativrecherchen von Süddeutscher Zeitung (€) und ZEIT in jedem Fall. In Kurzform: Die FDP-Spitze, genannt “F-Kabinett”, hat den kalkulierten Bruch der Ampel über Wochen geplant, während öffentlich und gegenüber den Koalitionspartnern das Gegenteil behauptet wurde. Dass sich eine Parteiführung in einer hochdysfunktionalen Regierung professionell auf verschiedene Exit-Szenarien vorbereitet, ist nicht nur legitim, sondern sogar Pflicht politischer Verantwortungsträger:innen. Dass sie eins dieser Szenarien aber zielgerichtet herbeiführt, während sie sich nach außen konstruktiv gibt – und das ist der Kern der Recherche –, ist hingegen eine Steilvorlage für Politikverachtung.
- Welche Folgen diese Enthüllungen noch für die FDP haben könnten, erläutern Andrea Römmele und Dominik Rzepka beim ZDF.
- Die FDP wiegelt ab und Christian Lindner zeigte sich in einem kurzen Pressestatementwenig beeindruckt („Wo ist die Nachricht?“), dementiert aber auch nicht.
- Vor diesem Hintergrund liest sich auch Volker Wissings Antwort (Videoausschnitt | Komplettes Gespräch) auf Markus Feldenkirchens Frage nach den Hintergründen des Ampel-Aus noch mal anders.
- Die Historie der Villa Erlenkamp, wo ein Teil der FDP-Pläne geschmiedet wurde, hat sich die Märkische Allgemeinenäher angesehen.
- Welche Überlegungen Lindner gerade privat umtreiben, zeigt unser Fundstück der Woche.
Auch in der Terminfindung für die Neuwahl gibt es nun mehr Klarheit. Nach der Vertrauensfrage am 16. Dezember wird der neue Bundestag voraussichtlich am 23. Februar 2025 gewählt. Der Weg dahin wird herausfordernd. Wie Deutschland in den Winterwahlkampfsprint startet, hat die Tagesschau zusammengefasst. Mehr Hintergründe zur kommenden Bundestagswahl:
- Den Übergang zwischen Vertrauensfrage & Neuwahl erläutert der Tagesspiegel (€). Die wichtigsten Fragen zur Vertrauensfrage und zum anschließenden Zeitplan beantwortet zudem das ZDF in einem FAQ.
- Die zentralen Wahlkampfthemen analysiert die taz.
- Auf privater Ebene porträtiert t-online die drei (voraussichtlichen) Kanzlerkandidaten Scholz, Merz und Habeck sowie „Schattenkandidat“ Pistorius.
- Welche neuen Regeln im Wahlkampf für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen gelten könnten, zeigt Netzpolitik auf und beschäftigt sich zudem mit potentiellen Problemen der Wahlsoftware.
- Warum die Kleinparteien sich vor der Neuwahl benachteiligt sehen, erläutert die FAZ. Der SSW plant dennoch schon fleißig den Wiedereinzug in den Bundestag, während die Freien Wähler auf drei Direktmandate in Bayern hoffen.
- Was in knapp 100 Tagen vor einer Wahl noch alles passieren kann, hat Thorsten Faas in einem Vergleich zur Situation 2021 verdeutlicht.
- Durch die fehlende Mehrheit bei der Haushaltsplanung wird nun eine Sitzung im Bundestag gestrichen. Die Reaktionen von AfD, Linken und BSW fasst die Tagesschauzusammen.
- Können Sie das Wort „Regierungskrise“ auch nicht mehr hören? Christian Tretbar erklärt beim Tagesspiegel (€), warum wir eigentlich gerade ein „Demokratiefest“ erleben.
Eine neue Umfrage bringt wieder Dynamik in die K-Frage der SPD. Boris Pistorius würde demnach gegen Friedrich Merz mit deutlichem Abstand gewinnen. Der Tagesspiegel über den steigenden Druckauf Scholz innerhalb der SPD.
Die Grünen versuchen derweil, sich aus der Ampel-Aufarbeitung herauszuhalten und den Blick nach vorn zu richten. Der Parteitag am Wochenende in Wiesbaden hat zumindest oberflächlich dazu beigetragen: Robert Habeck wurde mit 96.5 % zum Kanzlerkandidaten gekürt und auch die neue Parteiführung um Franziska Brantner (78 %) und insbesondere Felix Banaszak (93 % gegen vier Gegenkandidaten) konnte gute Ergebnisse einfahren. Die neu gefassten Beschlüsse hat die FAZ im Überblick, die Personalentscheidungen fasst der Spiegel zusammen.
- Wie Habeck nun Kanzler werden will, analysiert die Tagesschau.
- Bislang profitiert die Partei wenigstens in einer Hinsicht vom Ampel-Aus: Rund 11.000 Neueintritte konnten die Grünen seitdem verzeichnen, allein 2.000 am BDK-Wochenende, der höchste Wert im Parteienvergleich.
- Warum Habeck wegen der Anzeige einer Beleidigung als „Schwachkopf“ zuletzt in die Schlagzeilen geriet, erklärt die taz.
Ein Update zum “Projekt Silberlocke” der Linken, das zu ihrer parlamentarischen Lebensversicherung werden soll, bietet der Merkur. Neue Bewegung gibt es zudem im Prozess eines AfD-Verbotsverfahrens: 113 Bundestagsabgeordnete reichten vergangene Woche im Parlament den Prüfantrag für ein AfD-Verbotein, noch im Dezember soll darüber diskutiert werden.
Ganz gelassen kann es die Union angehen. Die Welt am Sonntag analysiert, welche Koalitionsmöglichkeiten für Merz denkbar wären und wie die potenziellen Partner sich mühen. Teil der CDU-Fraktion könnte auch der bisherige oberste Verfassungsschützer Thomas Haldenwang sein. Dieser will für die CDU in Wuppertal in den Bundestag. Wie er auf Kritik daran reagiert, weiß der Spiegel.
Derweil in Washington: Donald Trump hat seine Sprecherin und Chef-Kommunikatorin ernannt. Mehr über die 27-Jährige Senkrechtstarterin Karoline Leavitt weiß die Tagesschau. Elon Musk fängt hingegen wohl an, dem restlichen MAGA-Regierungsteam auf die Nerven zu gehen.
Mit den besten Grüßen zum Wochenstart
Wahltrend
Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.
Buch
Verfassungsgefühle
von Ute Frevert
Die Angriffe rechtspopulistischer und autoritärer Kräfte auf den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung wie in Polen oder Ungarn haben hierzulande zu einer Diskussion über den Schutz des Bundesverfassungsgerichts und entsprechende Gesetzesvorschläge im Parlament geführt. Dass die Verfassung und ihre Organe als schutzwürdig angesehen werden, liegt auch an den positiven Gefühlen, die ihnen mehrheitlich entgegengebracht werden. Wie lange es gedauert hat, bis sich die Deutschen für das Grundgesetz begeistern konnten, zeigt Ute Frevert in ihrem Buch. Die Historikerin untersucht darin, welche Emotionen Verfassungen auslösen können, warum Gefühle wichtig für die Bindungskraft der Texte sind und wie sich dies in Deutschland von 1848/49 bis heute dargestellt hat. Dabei betrachtet sie neben der Reichsverfassung von 1871 und der Weimarer Republik auch die DDR-Verfassung und deren Nachwirkungen nach der Deutschen Einheit. Eine emotionale Verankerung gab es demnach kaum, in der BRD habe sich erst ab den 1970er Jahren eine gewisse Wertschätzung für Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht entwickelt, unter anderem mit dem Begriff des „Verfassungspatriotismus“. Zugleich rät Frevert, sich nicht auf die Zuneigung der Deutschen zu ihrer Verfassung zu verlassen, sondern das Grundgesetz auch juristisch zu stärken.
Weitere Buchempfehlungen finden Sie auf www.politbooks.de.
Social-Media-Fundstück
Porsche vs. S-Bahn
Christian Lindner ohne Porsche? Am Tag der Zeit-Recherche zum Ampel-Bruch beantwortete der FDP-Chef diese wichtige Frage mit einem Bild aus der Berliner S-Bahn.