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5. Februar 2024 11 Minuten

Mimose mit Glaskinn

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist geschafft: Nach dem tektonischen Bundesverfassungsgerichtsurteil ist der Bundeshaushalt für das laufende Jahr nun entschieden – so spät wie noch nie. Bundestag und Bundesrat stimmten dem 477 Milliarden schweren Paket mit maximaler Ausreizung der Schuldenbremse von 39 Milliarden in der letzten Woche zu.

  • Wofür das Geld ausgegeben und wo gekürzt wird, hat der BR aufgeschlüsselt.
  • Welche Hürden durch ein Begleitgesetz im Bundesrat noch bleiben, weiß das RND.
  • Die verbliebenen politischen und finanziellen Baustellen der Ampel analysiert Corinna Emundts von der Tagesschau.

Keine Haushaltsdebatte ohne zünftigen Schlagabtausch. Bundeskanzler Olaf Scholz hielt sein Wort und brachte mehr Elan in seine Kommunikation und der Oppositionsführer bekam es ab. Mit Attacken wie “Mimose” und “Glaskinn” teilte Scholz für seine Verhältnisse deutlich aus. Friedrich Merz hingegen trat eher staatsmännisch auf, verglich sich aber nach der Kanzlerkritik mit dem ehemaligen Box-Weltmeister Klitschko.

  • Ernsthaft sauer machte Merz jedoch der Neuzuschnitt der Wahlkreise und die „Lex Claudia Roth“. Warum die Union der Ampel hier “Manipulationen am Wahlrecht” vorwirft, fasst die Legal Tribune Online zusammen
  • Eine Analyse zur kommunikativen Bedeutung des Duells Scholz vs. Merz bietet Ulrich Seitz beim Fokus.
  • Die politische Dimension von Mimosen hat die FAZ in einem Interview mit einem Biologen geklärt.

Vizekanzler Robert Habeck möchte ebenfalls aus der kommunikativen Defensive kommen und griff zu einem simplen, aber dennoch ungewöhnlichen Kommunikationsmittel: Er rief den Absender einer Beschwerdemail einfach mal an, der dann auch entsprechend verdutzt war. Laut Wirtschaftsministerium war der Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen jedoch kein Einzelfall: Bereits letztes Jahr habe man mit diesen Anrufen begonnen, um Gesprächsbedarf und Probleme zu klären.

Auch der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle bediente sich bei Markus Lanz einer seltenen Technik: Der offenen Selbstkritik. Er räumte ein, dass angesichts der schwierigen Lage die Politik teilweise überfordert ist und “mitunter die handwerkliche Ausgestaltung all dieser Themen unter die Räder kommt”. Kristina Dunz, die in der Talkrunde dabei war, über den schmalen Grat, auf dem sich Kuhle dabei bewegt hat.

Aber neben dem Haushalt gab es noch weitere Entscheidungen im Bundestag.

Durch die BSW-Abspaltung von der Linken ist eine neue Sitzordnung nötig geworden und zumindest laut dieser ist die Wagenknecht-Formation linker als die ehemaligen Genoss:innen. Die können sich zumindest über deutlich mehr Parteieintritte freuen, verlieren jedoch gleichzeitig ihren Gruppenvorsitzenden Dietmar Bartsch, der bei der Fraktionsklausur in zwei Wochen nicht mehr für das Amt antritt. Aber auch die anderen Parteien konnten im Januar ungewöhnlich viele neue Mitglieder begrüßen.

Was weder BSW noch Linke aufgrund ihres Gruppenstatus bisher konnten, ist Kleine Anfragen an die Regierung zu richten. Das war bislang nur einer kritischen Masse von 5 % aller Abgeordneten oder den Fraktionen vorbehalten. Für die beiden Gruppen gelten nun jedoch neue Regelungen: Bis zu zehn Kleine und Große Anfragen pro Monat sind möglich, dazu kommen weitere Rechte im Ältestenrat und im Bundestagsplenum. Ein Plädoyer gegen die geplanten Obergrenzen für Anfragen hält Isa Lachmann bei FragDenStaat und bezeichnet die Einschränkungen als “Angriff auf die Informationsfreiheit”.

Nebenher hat der Bundestag noch dem Bundesrat die Mittel um fast 700.000 Euro gekürzt – und sich selbst zugeschlagen. Zwar „nur“ für Besuchergruppen, aber trotzdem war von einer “Gemeinheit” die Rede.

Auch in dieser Woche gibt es Neuigkeiten bei den Parteigründungen: Mit DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) will eine der türkischen AKP-nahestehende Partei in den Bundestag und im Juni auch schon ins Europäische Parlament. Die genauen Pläne der in Köln gegründeten Gruppierung fasst das RND zusammen, Kritik daran kommt aus den übrigen Parteien.

(Fast) gänzlich geschlossen zollte der Bundestag hingegen Marcel Reif für seine bewegende Rede zum Holocaust-Gedenken (hier im Video) Respekt. Was blieb, war vor allem die kurze, aber eindringliche Mahnung: „Sei ein Mensch“.  

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff


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