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4. November 2024 10 Minuten

Herbstwoche der Entscheidungen

Liebe Leserin, lieber Leser,

“als würde man einem Auffahrunfall zuschauen”, “grauenhafte Performance”, “es brennt die Hütte”, “konzeptionelle Hilflosigkeit”.

Dass es nicht gut um die Ampel steht, ist bekannt. Wie ernst die Lage ist, verdeutlichen diese Zitate aus den letzten Tagen – nicht etwa von der Opposition, sondern aus der ersten Reihe der Koalition über die eigene Arbeit. Die Union muss derzeit eigentlich nicht viel mehr tun, als dem Treiben zuzuschauen und regelmäßig Neuwahlen zu fordern. Friedrich Merz, Carsten Linnemann, Markus Söder und Co wirken angesichts der gegnerischen Arbeitsverweigerung sichtlich unterfordert.

Denn das Regierungsbündnis arbeitet weiterhin am liebsten gegen sich selbst. Neuestes Highlight: Am Freitagnachmittag kursierte ein Papier von Christian Lindner durch das politische Berlin. Inhalt sind wirtschaftspolitische Forderungen, die in keiner Weise mit den Positionen der Koalitionspartner vereinbar sind. Und das sollen sie – im von Lindner angekündigten „Herbst der Entscheidungen“ – offensichtlich auch gar nicht sein. Der Urheber beklagte Indiskretion, SPD und Grüne sind verärgert, die Union applaudiert. Man kennt das. Jetzt sollen es mehrere Vier- und Sechs-Augen-Gespräche zwischen Scholz, Habeck und Lindner in den nächsten Tagen richten, damit die Koalition nicht endgültig in die Binsen geht.

  • Vier mögliche Szenarien nach einem Ampel-Aus bietet die Tagesschau im Überblick.
  • Vor 42 Jahren läutete schon mal ein wirtschaftspolitisches Papier der FDP einen Koalitionsbruch ein. Was es mit dem Vergleich zum Lambsdorff-Papier auf sich hat, erklärt die Augsburger Allgemeine.
  • Von “Nebelkerze” bis “Scheidungsurkunde”: Die Reaktionen auf das Wirtschaftspapier fasst der Spiegel zusammen.
  • Die Grünen, die letzte Woche wieder einen Negativ-Meilenstein in den Umfragen aufstellten, brauchen zudem eine neue Parteispitze. Die Vorsitzkandidat:innen Brantner und Banaszak haben nun eine Personalliste für den Fall ihrer Wahl vorgelegt, wie der Spiegel berichtet.

Einen Meilenstein hat Olaf Scholz nun immerhin genommen: Er überholte Kurt Georg Kiesinger bei den Amtstagen als Kanzler. Wie lange er in dieser Disziplin noch punkten wird, könnte auch vom Ausgang der US-Wahlabhängen: Sollte Trump gewinnen, könnte das noch mal letzte Kohäsionskräfte innerhalb der Ampel aktivieren, so die Vermutung.

In der Nacht zu Mittwoch deutscher Zeit wird sich an den amerikanischen Wahlurnen entscheiden, wer ins Weiße Haus einzieht – auch wenn es wohl noch länger dauern könnte, bis der oder die Wahlgewinner:in offiziell feststeht. Ob es so eng wird wie im Jahr 2000, als nur 537 Stimmen in Florida den Unterschied machten, wird sich zeigen. Sieben andere kuriose Fakten über die US-Wahl hat der Focus zusammengetragen.

  • Was es mit dem “Garbage Gate” auf sich hat und wie dieses mit Bidens Presseabteilung zusammenhängt, fasst der Merkur zusammen.
  • Jill Stein, Cornel West und Chase Oliver: Diese Präsidentschaftskandidat:innen der US-Nischenparteien porträtiert die Berliner Morgenpost.
  • Das US-Wahlsystem hat so einige Besonderheiten, Legal Tribune Online beantwortet die wichtigsten rechtlichen Fragen.
  • Drei Gründe, warum der Wahlausgang wieder einmal so ungewiss ist und Trump weiterhin derart große Unterstützung erhält, erläutert Reinhard Krumm für das IPG Journal.
  • Eine Social-Media-basierte Prognose zur Wahl hat Fanpage Karma durchgeführt.
  • Auf bestimmte Bevölkerungsgruppen maßgeschneiderte Desinformation im US-Wahlkampf hat sich der ARD-Faktenfinder angeschaut.
  • Die Rolle von Memes beleuchtet das österreichische FM4.
  • In Kallstadt in Rheinland-Pfalz liegen die deutschen Wurzeln von Trump. Die Rheinpfalz über das schwierige Verhältnis zur alten Heimat.
  • Trotz aller politischen Widrigkeiten: 50 Gründe, Amerika zu lieben, hat die tazaufgelistet.
  • Die Probleme und die Zukunft der US-Demokratie wird zudem in unserem Buch der Woche verhandelt.

Angesichts dieser Weltlage sehnen sich nicht wenige nach der guten alten Bundesrepublik, auch wenn man diese gar nicht mehr erlebt hat. Vor 75 Jahren wurde Bonn Bundeshauptstadt und blieb es bis 1990.

  • Das ZDF mit einem kurzen Rückblick auf die Epoche.
  • Auf den Abschied aus Bonn blickt Phoenix zurück.
  • Ein geradezu sentimental anmutender ARD-Bericht aus den 60ern ordnet das Phänomen Lobbyismus aus damaliger Perspektive ein.

Wahltrend

Der pollytix-Wahltrend zur Sonntagsfrage, Vorwochenvergleich in gefärbten Zahlen. Die Angaben berechnen sich aus dem gewichteten Mittel aller Sonntagsfragen der letzten 20 Tage. Den kompletten Wahltrend und alle Einzelumfragen finden Sie hier, mehr zur Methodologie hier.

Buch der Woche

Die Unvereinigten Staaten

von Stephan Bierling

Das Duell Harris vs. Trump um die US-Präsidentschaft gilt gemeinhin als Schicksalswahl für die Zukunft der Demokratie in den USA. Wie es so weit kommen konnte, dass mittlerweile vorrangig parteipolitische Konfrontation, Diffamierung und Skandalisierung die politische Kultur des Landes prägen und man es gar am Rand eines neuen Bürgerkriegs wähnt, erklärt Stephan Bierling in seinem jüngsten Buch. Der Politikwissenschaftler und Experte für die transatlantischen Beziehungen erläutert darin zum einen die Entwicklungsgeschichte aller entscheidenden Institutionen: der US-Verfassung, der Parteien, des Wahlsystems, des Präsidentenamts, der Bürokratie, des Kongresses, der Judikative und des Föderalismus. Er beleuchtet zum anderen aber auch die gesellschaftlichen Spaltungen und die Rolle nicht-staatlicher Akteure als „Brandbeschleuniger der Polarisierung“. Durch diesen gelungenen Rundumblick wird deutlich, wie sehr sich die politische Kultur der USA in den letzten Jahrzehnten zum Schlechteren gewandelt hat. Zugleich diskutiert Bierling, welche Korrekturen an der Verfassung und am politischen System für eine zeitgemäßere Demokratie nötig wären. Vorausgesetzt, für solch eine Neubelebung besteht in naher Zukunft überhaupt noch die Möglichkeit.

Weitere Buchempfehlungen finden Sie auf www.politbooks.de.

Social-Media-Fundstück

Grab him by the facts – @AntiquarianMuse

Donald Trump verweist bei seinen Wahlkampfauftritten gern darauf, wie viele Menschen er mobilisieren könne. Wie es in der Realität aussieht, offenbart diese Kamerafahrt, direkt nach Trumps Behauptung, er hätte die Halle zwanzigmal füllen können.

STAKEHOLDER DER WOCHE

Democrats Abroad

Democrats Abroad versteht sich als Vertretung der im Ausland lebenden US-Amerikaner:innen innerhalb der demokratischen Partei. Mithilfe von 52 Länderkomitees in Europa, Afrika, Asien und Amerika möchte die Organisation zur Stimmabgabe im Ausland aufrufen, politische Partizipation vereinfachen und US-Bürger:innen im Ausland über ihre Rechte informiert halten. Die deutsche Vertretung von Democrats Abroad hat rund 15.000 Mitglieder und 14 regionale Vertretungen. Vorsitzende der Gesamtorganisation ist Martha McDevitt-Pug

Mit den besten Grüßen zum Start einer Woche, in der es um sehr viel geht

Philipp Sälhoff

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